Demokratie oder nicht?

Kurz-Video entstellt Habeck-Äußerungen über China

20.6.2022, 14:32 (CEST), letztes Update: 20.6.2022, 14:36 (CEST)

Eine Minute und sechs Sekunden aus einem Interview, das insgesamt 43 Minuten dauert: Gibt dieser Ausschnitt das Wesentliche wieder oder manipuliert er die Worte von Robert Habeck?

Der deutsche Grünen-Politiker Robert Habeck, derzeit Wirtschaftsminister und Vizekanzler, plant angeblich die Einführung eines effizienteren politischen Systems wie in China. Das jedenfalls suggeriert ein in sozialen Medien verbreiteter Video-Ausschnitt aus einem Interview.

Bewertung

Der Video-Schnipsel ist aus dem Zusammenhang gerissen und verkehrt die eigentliche Aussage Habecks in ihr Gegenteil.

Fakten

In einem Facebook-Post wird ein 1:06 Minuten dauernder Ausschnitt aus einem insgesamt 43 Minuten langen Gespräch verbreitet, das der Buchautor Richard David Precht mit dem damaligen Co-Bundesvorsitzenden der Grünen, Habeck, führte. Das Gespräch wurde am 17.12.2018 vom ZDF verbreitet und ist auch auf YouTube in voller Länge abrufbar.

Der mit dem Logo «Expresszeitung» versehenen Video-Ausschnitt zitiert Habeck mit den Worten: «Also man muss das zugeben, dass das so ist. Und dann muss man sich entscheiden: Will man daran festhalten, dass ein demokratisches System, das im Grunde dem Kern von Selbstbestimmung und auch Beteiligung von Menschen verpflichtet ist, noch eine Chance hat? Dann muss man jetzt aber in großer Geschwindigkeit radikale Schritte in der Politik einführen. Oder gibt man es auf und dann wird man zu zentralen, zu zentralistischen Systemen hingehen, die natürlich schneller sind.»

Habeck bezieht sich dann auf die zuvor von Precht erwähnte größere Effizienz Chinas beim Treffen politischer Entscheidungen und fährt fort: «China - da gibt es eben keine Opposition und keine Mitbestimmung. Und wenn die Fehler machen, dann werden die trotzdem nicht abgewählt. Vielleicht gibt es mal irgendwann eine Revolte in China, aber erst einmal ist das System effizienter. Wollen wir das, oder wollen wir das nicht? Und ich glaube, die Entscheidung kann man nicht ökonomisch treffen, die kannst du nur wertegeleitet treffen, und ich würde sagen: Ja, das wollen wir.»

In dem Video-Ausschnitt wird dann mittels Bild und Ton immer wieder der Eindruck betont, als habe Habeck mit seinem Satz «Ja, das wollen wir» das angeblich effizientere System Chinas gemeint.

Tatsächlich bezieht sich Habeck mit dem «Ja, das wollen wir» auf die erste von ihm aufgeworfene Frage «Will man daran festhalten, dass ein demokratisches System, das im Grunde dem Kern von Selbstbestimmung und auch Beteiligung von Menschen verpflichtet ist, noch eine Chance hat?».

Das geht unter anderem daraus hervor, dass er an das «Ja, das wollen wir» den - in der entstellten Version weggeschnittenen - Satz anschließt: «Dann müssen wir aber den Wettlauf mit der technischen Entwicklung aufnehmen und auch mit der Macht der Konzerne.» Damit bezieht er sich auf die zuvor für die demokratische Entwicklung genannte Voraussetzung, dass «in großer Geschwindigkeit radikale Schritte in der Politik» eingeführt werden müssten.

Auch der Gesprächszusammenhang, der beim Betrachten der gesamten Unterhaltung deutlich wird, lässt an Habecks Ablehnung des chinesischen Systems keinerlei Zweifel. Vor der fraglichen Gesprächspassage sprechen Precht und Habeck über die «Langsamkeit der Demokratie» und Anhörungen und Bürgerbeteiligungen auf dem Weg zu einem Gesetz. Habeck bekennt sich (Minute 08:55) dazu: «Das wollen wir ja auch. Aber dadurch entsteht eine Wirklichkeit, dass die Politik nicht mehr immer auf Ballhöhe der Herausforderungen ist.»

Wenig später (Minute 11:30) sagt Habeck auf die Frage Precht, welche schnellen und radikalen Schritte denn nun notwendig seien: «Nun ist das (die Politik) ja mein Beruf. Und wenn ich jetzt sagen würde, wir müssen einfach aufgeben und sagen, das ist einfach nicht mehr zu steuern oder jedenfalls nicht mehr mit demokratischen Mitteln, dann kann ich gleich morgen meinen Rücktritt einreichen. Ich muss ja daran glauben, dass es eine Chance gibt, die Prinzipien der Moderne, wenn ich so reden darf, neu zu formulieren. Neu scharf zu stellen und zu übersetzen.»

Auch diese Äußerung widerspricht der in dem Facebook-Post enthaltenen Unterstellung, Habeck wolle ein politisches System nach dem Muster Chinas.

(Stand: 20.06.2022)

Links

Facebook-Post, archiviert

ZDF-Video Webseite

Video bei YouTube, archiviert

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-luxembourg@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.