Einfuhr von Solarzellen

In den USA kommt genug Strom aus den Steckdosen

08.06.2022, 16:22 (CEST)

Nicht jede Mitteilung mit vielen Ausrufezeichen enthält eine Sensation. Das gilt auch für eine Behauptung über einen angeblichen Strommangel in Amerika.

Glaubt man düsteren Propheten im Internet, dann gehen in den USA bald die Lichter aus. In sozialen Netzwerken jedenfalls wird behauptet, US-Präsident Joe Biden habe den Notstand ausgerufen, weil Ausfälle der Stromversorgung bevorstünden.

Bewertung

In den USA herrschen weder Strommangel noch ein akuter Notstand. Die Behauptung ist aus dem Zusammenhang gerissen.

Fakten

In einem Facebook-Post heißt es, mit insgesamt fünf Ausrufezeichen versehen: «Strommangel: Notstand in den USA ausgerufen». US-Präsident Biden habe den Notstand erklärt, «weil Ausfälle der Stromversorgung für die Verbraucher und Industrie, sowie Störungen an den Energiemärkten bevorstehen». Der damit erweckte Eindruck, es gebe einen Strommangel in den USA und dort herrsche große Not, ist falsch.

Tatsächlich hat Biden in einer Erklärung vom 6. Juni, die als «Declaration of Emergency» gekennzeichnet ist, eine Reihe von Maßnahmen zur Förderung der Solarenergie mitgeteilt. Unter anderem wird für die Dauer von 24 Monaten die zollfreie Einfuhr von Solarzellen und -modulen aus Kambodscha, Malaysia, Thailand und Vietnam erlaubt. Damit werden bisherige Importverbote außer Kraft gesetzt, die wegen einer noch laufenden Untersuchung des US-Handelsministeriums verhängt worden waren. Dabei geht es unter anderem um die Frage, ob Solarzellen aus China, deren Einfuhr verboten ist, über die vier genannten Länder in die USA weitergeleitet wurden. Nach Beginn der Untersuchung waren zahlreiche große Energieprojekte in den USA zum Erliegen gekommen.

In einem erläuternden Papier des Weißen Hauses vom 6. Juni heißt es, mit der Ausnahmeregelung für zwei Jahre werde eine «Brücke» geschaffen, die es den US-Herstellern erlauben solle, eigene Produktionskapazitäten aufzubauen und wichtige Projekte der «sauberen Energie» zu verwirklichen. Das stärke die heimische Wirtschaft. Bauprojekte und neue gut bezahlte Jobs würden für ein besseres Stromnetz und für einen effizienten Kampf gegen den Klimawandel sorgen.

Der US-Präsident berief sich auf ein Gesetz über die Beschaffung von Verteidigungsgütern (Defense Production Act/DPA), das 1950 während des Korea-Krieges erlassen worden war. Dies soll es dem Energieministerium ermöglichen, sehr schnell in den USA auch mit staatlichen Aufträgen die Herstellung von Solarmodulen, von Material für die Isolation von Gebäuden, von Wärmepumpen, von Brennstoffzellen und von Netzinfrastruktur zu fördern.

Eine Reihe von US-Präsidenten hat den Defense Production Act seit 1950 schon mehr als 50 Mal eingesetzt. Zuletzt zwang Donald Trump in der Covid-19-Pandemie den Autohersteller General Motors mit diesem Gesetz zur Herstellung von Beatmungsgeräten. Der Gesetzestext des Defense Production Act gibt dem Präsidenten verstärkte Befugnisse zum Eingriff in die private Wirtschaft - er setzt aber voraus, dass der Präsident eine «Emergency» geltend macht, also einen Notstand oder eine Dringlichkeit.

Die Erklärung eines solchen Notstandes gehört daher zum normalen politischen Repertoire des Weißen Hauses. Nach einer Aufstellung der renommierten Brennan Center for Justice der Universität New York kann der US-Präsident in nicht weniger als 123 Fällen Sondervollmachten beanspruchen, sofern er selbst einen Notstand erklärt. In weiteren 13 Fällen gibt es diese erweiterten Rechte nur, wenn auch der Kongress der Ansicht ist, dass ein solcher Notstand vorliegt.

Seit 1917 haben US-Präsidenten einer als «unvollständig» gekennzeichneten Liste von Wikipedia zufolge mindestens 79 mal einen nationalen Notstand erklärt, um bestimmte politische Entscheidungen treffen zu können. Von diesen Notständen seien noch immer 42 offiziell in Kraft, darunter die 1979 von Präsident Jimmy Carter verhängten Sanktionen gegen den Iran. «Die USA befinden sich seit 40 Jahren in einem fast ständigen Notstand», schrieb die Zeitung «Pacific Standard» im Februar 2019.

Die von Biden angeordnete Erleichterung der Einfuhren von Solarmodulen und die Aufträge der Zentralregierung sollen dafür sorgen, dass die von Biden geplante Verdreifachung der Solarenergie bis 2024 erreicht wird. Die derzeitige Produktion in Höhe von 7,5 Gigawatt soll um 15 auf 22,5 Gigawatt steigen. Dafür müsse die Versorgung mit entsprechenden Solarmodulen gesichert sein. «Die Nichtverfügbarkeit von Solarzellen und -modulen gefährdet den geplanten Zubau, was wiederum die Verfügbarkeit ausreichender Stromerzeugungskapazitäten zur Deckung der erwarteten Kundennachfrage gefährdet», heißt es in der Erklärung Bidens.

Die Behauptung, wegen Strommangels sei der Notstand in den USA ausgerufen worden, ist vor diesem Hintergrund zumindest völlig aus dem Zusammenhang gerissen.

(Stand: 08.06.2022)

Links

Facebook-Post, archiviert

Erklärung Biden, archiviert

Erläuterungspapier Weißes Haus, archiviert

Hintergrund Defense Production Act, archiviert

Artikel Pacific Standard, archiviert

Gesetzestext, archiviert

Liste Brennan Center, archiviert

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-luxembourg@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.