Freiheitsstatue beweist nichts zum Meeresspiegel

19.05.2022, 16:45 (CEST), letztes Update: 19.05.2022, 17:10 (CEST)

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte - aber manchmal trügt der Schein auch. Etwa, wenn es um die Freiheitsstatue und den Anstieg des Meeresspiegels geht.

Das Gerede über den weltweiten Klimawandel ist völliger Unsinn - meinen jedenfalls einige Nutzer der sozialen Medien. Dass der Meeresspiegel nicht wirklich steige, sehe man schon bei einem Blick auf Fotos der Freiheitsstatue auf Liberty Island vor New York aus den Jahren 1920 und 2020. Daraus nämlich gehe hervor, dass sich 100 Jahre lang am Wasserspiegel nichts geändert habe.

Bewertung

Fotos von der Freiheitsstatue auf einer kleinen Insel vor New York sagen über einen Anstieg des Meeresspiegels nichts aus.

Fakten

In Facebook-Posts wie diesem werden zwei Fotos der Freiheitsstatue auf Liberty Island vor New York in einem Sharepic geteilt. Ein Schwarzweiß-Foto ist mit der Jahreszahl 1920 versehen, ein Farbfoto mit der Jahreszahl 2020. Der ironisch gemeinte Begleittext lautet: «So sieht ein dramatischer Anstieg des Meeresspiegels aus.» Beide Bilder ähneln sich sehr, eine Veränderung des Meeresspiegels ist zumindest auf den ersten Blick nicht erkennbar.

Dies bedeutet jedoch nichts. Und zwar aus mehreren Gründen.

Erstens, weil New York am Atlantik liegt und der Meeresspiegel dort im ewigen Wechsel von Ebbe und Flut innerhalb von 24 Stunden normalerweise um 1,50 m bis 1,80 m steigt oder sinkt. Auch größere Unterschiede (Tidenhub) von mehr als 2 Metern sind möglich. Einzelheiten lassen sich den Gezeitentabellen entnehmen, die beispielsweise für die Schifffahrt im Hafen von New York von Bedeutung sind.

Die ständige Veränderung des Wasserstandes lässt sich auch auf den Fotos unter anderem an jenem feuchten, schwarzen Rand erkennen, der sich direkt oberhalb des Wassers befindet. Schon wegen der erheblichen Veränderung des Wasserspiegels innerhalb nur eines einzigen Tages sagt ein Vergleich von zwei Fotos nichts über einen Anstieg des Wasserspiegels aus.

Zweitens, weil es andere eindeutige Beweise für Veränderungen des Wasserspiegels gibt. Für New York beispielsweise hat der Geo- und Meereswissenschaftler Andrew C. Kemp der renommierten Tufts University bei Boston in einer Studie nachgewiesen, dass der relative Meeresspiegel seit dem Jahr 575 um 1,70 Meter angestiegen ist. Der derzeitige Anstieg von etwa 3 Millimeter pro Jahr sei der stärkste der vergangenen 1500 Jahre.

Drittens, weil der Anstieg des Meeresspiegels nicht einfach durch bloßes Anschauen von Wasser nachgewiesen oder bestritten werden kann. Im Wesentlichen gibt es zwei Methoden der Messung: Die traditionelle Methode beruht auf der Auswertung von Pegelständen, die an den Meeresküsten gemessen werden und aus denen sich pro Jahr oder pro Jahrzehnt Durchschnittswerte errechnen lassen. So geben beispielsweise vom Helmholtz-Zentrum gesammelte Pegelstände Auskunft über die Entwicklung des durchschnittlichen Wasserspiegels seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Ergebnis: Er steigt.

Die moderne Methode nutzt Messungen mittels Satelliten, mit denen Veränderungen der Meereshöhen sehr viel genauer und auch unabhängig vom Land gemessen werden können. So misst beispielsweise der im November 2020 gestartete Forschungssatellit «Sentinel 6» der European Space Agency aus 1336 Kilometern Höhe etwa 95 Prozent der Weltmeere und hat dabei einen Anstieg von genau 3,2 Millimeter pro Jahr festgestellt.

Dass der Meeresspiegel ansteigt - und zwar in den vergangenen Jahrzehnten schneller als früher - ist wissenschaftlich nicht umstritten. Unterschiede gibt es allerdings bei den Vorhersagen, wie sich dieser Anstieg in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entwickeln und auswirken wird. Grund dafür sind vor allem unterschiedliche Annahmen über die weitere Erderwärmung. Das deutsche Umweltbundesamt rechnet beispielsweise bis Ende dieses Jahrhunderts mit einem globalen Anstieg des mittleren Meeresspiegels zwischen 61 und 110 Zentimetern.

(Stand: 19.05.2022)

Links

Facebook-Post, archiviert

Gezeitentabelle, archiviert

Studie Kemp, archiviert

Pegelstände Helmholtz-Zentrum, archiviert

Sentinel 6, archiviert

Umweltbundesamt, archiviert

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