Beschränkungen für Ungeimpfte und Juden nicht vergleichbar

15.02.2022, 15:36 (CET)

Manche Gegner der Impfung zum Schutz vor einer COVID-19-Infektion vergleichen sich gerne mit den vom Nationalsozialismus in Deutschland verfolgten Juden. Die Schutzmaßnahmen - also Impfnachweise oder Testbescheinigungen vor Betreten von beispielsweise Gaststätten oder Theatern - werden mit diskriminierenden Maßnahmen gegen Juden in Nazi-Deutschland gleichgesetzt.

Bewertung

Die Schutzmaßnahmen gegen das Corona-Virus sind mit der Diskriminierung und Verfolgung von Juden in Deutschland nicht vergleichbar.

Fakten

In einem in Luxemburg verbreiteten Facebook-Post heißt es: «Wer sagt, 1933 wurde im Deutschen Reich Juden der Zutritt exakt überall dort verboten, wo heute nicht Inokulierte (Nichtgeimpfte) und Getestete nicht rein dürfen, ist weder Antisemit noch Leugner des Holocausts, sondern Tatsachenverbreiter!» Dieser Post ist mit dem Hashtag #coronadiktatur versehen.

Diese Behauptung ist aus zwei Gründen falsch: Erstens ist jeder Vergleich zwischen Nichtgeimpften und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus aus grundsätzlichen Erwägungen unsinnig. Zweitens ist aber auch die Behauptung, 1933 sei im Deutschen Reich Juden der Zutritt «exakt überall dort verboten» worden, wo heute Nichtgeimpfte keinen Zutritt hätten, angesichts des tatsächlichen Zeitablaufes historisch falsch. Wesentliche Beschränkungen der Bewegungsfreiheit von Juden, auch wenn diese in der Substanz nicht mit Corona-Einschränkungen vergleichbar sind, fanden erst später statt.

Der grundsätzliche Unterschied zwischen Impfverweigerern und Juden während der Nazi-Herrschaft besteht vor allem im Unterschied zwischen Fremdzuschreibung und Selbstzuschreibung. Anders ausgedrückt: Die Frage, wer Jude sei, wurde gemäß der nationalsozialistischen Rassenideologie von der Regierung entschieden. Die von dieser Klassifizierung Betroffenen hatten keinerlei Möglichkeit, daran etwas zu ändern.

Ganz im Gegensatz dazu handelt es sich bei der Entscheidung, sich nicht gegen Covid-19 impfen zu lassen, um eine freie Entscheidung jedes Einzelnen, die auch jederzeit korrigiert werden könnte. Zudem sind die Folgen der Einstufung als Jude im Nationalsozialismus in keiner Weise vergleichbar mit den Folgen einer verweigerten Corona-Impfung.

Die Behauptung von Impfgegnern, sie würden heute so behandelt wie zwischen 1933 und 1945 die Juden behandelt wurden, wird wegen der völlig unterschiedlichen Ausgangslage und der völlig unterschiedlichen Konsequenzen als Leugnung des Holocausts und folglich auch als antisemitisch verstanden. Unter Bezug auf die «Selbstinszenierung als Opfer mit gelbem Stern» sagte der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beispielsweise am 24. Januar 2022: «Das ist eine Bagatellisierung des Antisemitismus und eine Verhöhnung der jüdischen Opfer des Holocaust.»

Zur Absurdität der Inanspruchnahme der Judenverfolgung durch Impfverweigerer hat auch das österreichische Bundeskanzleramt in einem Papier Stellung genommen.

In dem fraglichen Facebook-Post wird der Vergleich mit der Behauptung hergestellt, Nichtgeimpfte hätten heute überall dort keinen Zutritt mehr, wo 1933 den Juden der Zutritt verboten worden sein. Unabhängig von den Aspekten Fremdzuschreibung, Selbstzuschreibung und Schwere der Konsequenzen entspricht diese Behauptung nicht den historischen Tatsachen.

Tatsächlich nahm nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler vom 30. Januar 1933 die Diskriminierung von Juden in Deutschland stetig zu. Vom 1. bis 3. April 1933 gab es einen von der NSDAP organisierten Boykott jüdischer Geschäfte. Dabei ging es vor allem darum, die «arischen» Deutschen vom Betreten jüdischer Geschäfte abzuhalten. Mit dem «Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» vom 7. April 1933 begann dann in größerem Umfang die Entfernung von Juden aus dem öffentlichen Dienst. Jüdische Anwälte wurden nicht länger zugelassen, in zahlreichen Berufsverbänden wurde der «Arierparagraph» ebenfalls zur Voraussetzung der Mitgliedschaft gemacht.

Aus einer vom Deutschen Bundesarchiv verbreiteten und im Verlag Droste erschienenen knapp 900-seitigen Materialsammlung zum Thema «Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933-1945» geht hervor, dass in den Jahren 1933 und 1934 vereinzelt an Ortsschildern Hinweise wie «Juden unerwünscht» angebracht wurden. Sie wurden in mehreren Fällen von den Behörden wieder entfernt.

Im Laufe der folgenden Jahre wurden Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung von Juden mit einer Vielzahl von Gesetzen ständig verschärft. Dazu gehören unter anderem die sogenannten «Nürnberger Gesetze» vom 5. September 1935, mit denen Juden ihre Rechte als Staatsbürger verloren.

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 fanden in ganz Deutschland organisierte Pogrome und Massenverhaftungen statt, die von den Nationalsozialisten als «Reichskristallnacht» verniedlicht worden. Sie leiteten die massenhafte Vernichtung von Juden ein.

Im Dezember 1938 trat in Berlin ein sogenannter «Judenbann» in Kraft, wonach eine Reihe von Straßen, Plätzen, Anlagen und Gebäuden nicht mehr von Juden betreten werden durften. Ebenfalls für Juden verboten waren von nun an Theater, Kinos, Ausstellungen, Hallenbäder und bestimmte Straßen. Ähnliche Verbote gab es in ganz Deutschland, in Hamburg beispielsweise seit November 1938.

Juden durften keine Immobilien oder Wertsachen mehr besitzen, keinen Führerschein haben und jüdische Kinder durften keine deutschen Schulen mehr benutzen. Juden durften jedoch weiterhin Bahnen und andere Nahverkehrsmittel benutzen, was nach Angaben des Reichssicherheitshauptamtes vom November 1941 von vielen arischen «Volksgenossen» kritisiert wurde. Im März 1942 wurde die Benutzung von Verkehrsmitteln außer für den Arbeitsweg für Juden verboten.

Der Judenstern für Juden wurde im September 1941 verpflichtend. Er musste auf der linken Brustseite des Kleidungsstückes getragen werden und diente dazu, Einschränkungen und der Bewegungsfreiheit von Juden zu kontrollieren. Die Behauptung, 1933 sei im Deutschen Reich Juden der Zutritt exakt überall dort verboten worden, wo heute Nichtgeimpfte und Getestete keinen Zugang hätten, ist also erkennbar keine Tatsachenbehauptung.

(Stand: 15.02.2022)

Links

Facebook-Post, archiviert

Steinmeier-Rede, archiviert

Bundeskanzleramt Wien, archiviert

NS-Stimmungsberichte, archiviert

Judenbann, archiviert

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