«Entscheidungshilfe» entstellt Parteiprogramme

3.9.2021, 15:31 (CEST)

Vor einer Wahl kann ein Vergleich unterschiedlicher Parteiprogramme hilfreich sein. Allerdings nur, wenn ein solcher Vergleich nicht pure Fantasie ist, sondern tatsächlich auf dem beruht, was die Parteien wollen. Ein als «Entscheidungshilfe» auf Facebook veröffentlichter Vergleich kommt zu dem Ergebnis, dass die AfD in zehn Punkten völlig andere Positionen vertritt als fünf andere Parteien.

Bewertung

Die Parteiprogramme der AfD-Konkurrenten werden entstellt. Die sogenannte Entscheidungshilfe hat mit den tatsächlichen Programmen nichts zu tun.

Fakten

In dem auf Facebook verbreiteten Sharepic werden das Parteiprogramm der AfD und die angeblichen Positionen von CDU, SPD, Linkspartei, FDP und Grünen verglichen. Das Sharepic ist mit einem Bayern-Logo der AfD und der Interessengemeinschaft der Russlanddeutschen in der AfD versehen. Die Abbildung entspricht jedoch nicht dem offiziellen Muster der AfD Bayern oder der AfD-Russlanddeutschen.

Tabellenartig werden verschiedene Behauptungen mit den angeblichen Positionen der anderen Parteien und der Angabe «Ja» oder «Nein» verglichen. Auch zwei «Jein» gibt es.

In dem Post wird behauptet, nur die AfD wolle «Grenzen sichern und kontrollieren». Das ist falsch. Im CDU-Wahlprogramm heißt es, die europäischen Außengrenzen müssten «wirksam geschützt werden» (Seite 25). Die europäische Grenzschutzbehörde Frontex müsse zu einer echten Grenzpolizei ausgebaut werden. Einreisen an den Außengrenzen müssten umfassend elektronisch überwacht werden. Insgesamt werden acht Maßnahmen für besseren Grenzschutz genannt. Die FDP fordert in ihrem Wahlprogramm einen schnelleren Aufbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex auf die vorgesehene Stärke von 10 000 Beamten (Seite 58).

SPD und Linkspartei äußern sich in ihren Wahlprogrammen nicht ausdrücklich zur Frage eines verstärkten Grenzschutzes. Im Wahlprogramm der Grünen wird das Prinzip sicherer Herkunftsstaaten abgelehnt. Flughafenverfahren sowie die sofortige Zurückweisung an den deutschen Grenzen sollen abgeschafft werden (Seite 186).

In dem Post wird auch behauptet, nur die AfD wolle «die GEZ abschaffen oder reformieren». Mit der (mittlerweile umbenannten) Gebühreneinzugszentrale GEZ ist offensichtlich der heutige «Beitragsservice» von ARD, ZDF und Deutschlandradio sowie das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einem Zwangsbeitrag der Bürger gemeint.

Tatsächlich bekennt sich die CDU in ihrem Wahlprogramm (Seite 137) zu einem starken, unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zugleich heißt es jedoch: «Wir setzen uns für eine Reform des Auftrags ein, der dem technischen Fortschritt und dem veränderten Nutzungsverhalten Rechnung trägt.» Die Rundfunkanstalten sollten stärkere Kooperationen eingehen und Synergien schaffen. Auch im Zukunftsprogramm der SPD heißt es, der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks solle von den Ländern in einer digitalen Medienwelt weiter entwickelt werden (Seite 50).

Die FDP fordert in ihrem Programm einen «moderneren und schlankeren» öffentlich-rechtlichen Rundfunk, eine Reduzierung der Kanäle und eine Absenkung des Rundfunkbeitrags (Seite 39). Die Linke fordert in ihrem Wahlprogramm eine «breite gesellschaftliche Debatte» über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie eine Reihe von Reformen (Seite 128).

In dem Post wird weiter behauptet, dass CDU, SPD, Linke und Grüne die «unbegrenzte Aufnahme von Asylbewerbern» forderten. Auch dies ist falsch. Vielmehr will die CDU laut Wahlprogramm (Seite 26) die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge weiter reduzieren, mehr sichere Herkunftsländer ausweisen, den Familiennachzug nicht ausweiten, Sammelabschiebungen erleichtern und den «Druck auf Identitätstauscher und Mitwirkungsverweigerer» erhöhen. Die europäische Asylpolitik müsse grundlegend reformiert werden.

Die SPD betont die Notwendigkeit eines funktionsfähigen europäischen Asylsystems und die «vollumfängliche» Wahrung des Rechts auf Asyl. Legale Migrationswege sollten geschaffen werden (Seite 58). Die Linkspartei ist klar gegen eine Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsrechte und fordert «legale und sichere Einreisemöglichkeiten in die EU». Die Rechte von Flüchtlingen sollten ausgeweitet werden. Die Grünen fordern (Seite 184) ein «modernes Einwanderungsgesetz, dass neue Zugangswege für Bildung-und Arbeitsmigration schafft». Geduldete Migranten sollten nach fünf Jahren ein sicheres Bleiberecht bekommen.

In dem Post wird behauptet, nur die AfD wolle die Kindererziehung bei der Rente anrechnen. Innerhalb der Union ist die von der CSU geforderte sogenannte «Mütterrente» in der Tat umstritten. Kanzlerkandidat Armin Laschet lehnt sie ab, CSU-Chef Markus Söder zeigte sich hingegen überzeugt, dass die Mütterrente in einem Koalitionsvertrag stehen werde. Tatsächlich wird die Kindererziehung bereits seit 2014 bei der Rente berücksichtigt. In dieser Diskussion geht es darum, eine Benachteiligung für Eltern von Kindern, die vor 1992 geboren wurden, zu korrigieren. Die Linkspartei ist ebenfalls für die sogenannte Mütterrente. Sie fordert, dass diese vollständig aus Steuern finanziert wird.

Mit dem Post wird auch behauptet, nur die AfD sei gegen die «Erhöhung der Strompreise durch EEG». Tatsächlich fordert die CDU in ihrem Wahlprogramm die Abschaffung der im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vorgesehenen Umlage (Seite 42). Die SPD will die EEG-Umlage bis 2025 abschaffen (Seite 10). Die schrittweise Abschaffung der EEG-Umlage verspricht auch die FDP (Seite 59), eine «strukturelle Reform des EEG» will die Linkspartei (Seite 69). Die Grünen wollen eine Senkung der EEG-Umlage, die langfristig auslaufen soll (Seite 26).

Andere Behauptungen der «Entscheidungshilfe» halten einem näheren Blick ebensowenig stand. Nicht alleine die AfD ist gegen Linksextremismus: «Dem gewaltbereiten Linksextremismus muss konsequent begegnet werden», heißt es etwa im CDU-Wahlprogramm (Seite 113). Die FDP erwähnt beide politischen Richtungen: «Politischen Extremismus von Rechts- bis Linksextremismus lehnen wir ebenso ab wie religiös oder nationalistisch motivierten Extremismus.» (Seite 40) Im SPD-Programm wird neben dem Rechtsextremismus der Linksextremismus nicht explizit erwähnt. Auch die Linkspartei spricht ebenso wie die Grünen lediglich von Rechtsextremismus.

Andere Behauptungen in dem Post sind schwerer zu verifizieren. Zur Frage «Der Islam gehört zu Deutschland» äußert sich kein Programm der anderen Parteien unter Benutzung dieser Formulierung. Allerdings betonen die anderen Parteien, dass niemand wegen seiner Religion benachteiligt oder diskriminiert werden darf. Auch die Frage «EU reformieren oder verlassen» stellt sich in den anderen Parteiprogrammen in dieser Einfachheit nicht. Allerdings äußern sich die anderen Parteien zur Bedeutung Europas. Die Grünen betonen dabei die Notwendigkeit, das europäische Parlament zu stärken und häufiger Mehrheitsentscheidungen zu treffen - was eine Reform der EU-Verträge bedeuten würde (Seite 213).

(Stand: 03.09.2021)

Links

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Erscheinungsbild IGdRD (archiviert)

AfD-Wahlprogramm, archiviert

CDU-Wahlprogramm, archiviert

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