Die EU-Bürger dürfen durchaus entscheiden

18.3.2021, 14:55 (CET)

Die Europäische Union ist am Willen der Bürger wenig interessiert - jedenfalls wird das gerne von EU-Gegnern behauptet. Der Wille des Volkes spiele für die abgehobenen Bürokraten in Brüssel und den EU-Hauptstädten keine Rolle, heißt es dann. Tatsächlich werden Bürger aber an wichtigen Entscheidungen durchaus direkt beteiligt. In einem luxemburgischen Facebook-Post (hier archiviert), in dem wegen der Pläne für einen EU-Impfpass die sofortige «Auflösung der EU» gefordert wird, heißt es unter anderem: «Für einen EU Beitritt wurde niemals ein Bürger gefragt.»

BEWERTUNG: Die Behauptung ist falsch. Tatsächlich hat es zu Fragen der Mitgliedschaft in der EU mehr als 20 Volksabstimmungen gegeben.

FAKTEN: Als Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande am 25. März 1957 mit den Römischen Verträgen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gründeten, gab es noch keine vorherige Volksabstimmung. Die Regierungen waren von ihren nationalen Verfassungen ermächtigt, internationale Vereinbarungen abzuschließen.

In einem Papier des Europaparlaments vom Januar 2017 über Referenden in EU-Fragen wird allerdings darauf verwiesen, dass seither in 16 von 22 Kandidatenländern bei Referenden über den Beitritt zur EU entschieden wurde. In Frankreich gab es nach Angaben der EU-Kommission 1972 die erste Volksabstimmung über eine EU-Frage: Es ging darum, ob man neue Mitglieder aufnehmen wollte - was von den Franzosen befürwortet wurde.

Bei der ersten EU Erweiterung fanden 1972 dann in drei der vier Kandidatenländer Volksabstimmungen über die EU-Mitgliedschaft statt. Dabei stimmten Dänemark und Irland zu, Norwegen lehnte den Beitritt ab. Großbritannien, wo zunächst kein Referendum stattfand, holte die Volksabstimmung 1975 nach. Damals entschieden sich die Briten mehrheitlich klar dafür, in der europäischen Gemeinschaft zu bleiben.

Alleine 2003, kurz vor der bisher größten Erweiterung der EU vom Mai 2004 um zehn Staaten, fanden zehn Referenden über die Mitgliedschaft in der EU statt. Auch Kroatien entschied 2012 per Referendum über den Beitritt. Das bisher letzte Referendum in Sachen Mitgliedschaft ist die Entscheidung der Briten von 2016, die EU zu verlassen. Schon 1994 hatten auch Österreich, Finnland und Schweden bei Volksabstimmungen für den Beitritt zur EU gestimmt, während Norwegen erneut dagegen stimmte. Dies bedeutet, dass in mehr als der Hälfte der EU-Staaten vor dem Beitritt die Bevölkerung befragt wurde. 

Grönland hatte sich 1982 per Volksabstimmung zum Verlassen der EU entschieden, die zu Finnland gehörende Insel Åland votierte 1994 hingegen für die Mitgliedschaft in der EU unter finnischer Flagge. 1997 und 2001 scheiterten zwei Volksabstimmungen über einen EU-Beitritt in der Schweiz. Eine ausführliche Datensammlung findet sich unter anderem bei Oxford University Press.

Die EU-Bürger waren aber nicht nur in vielen Ländern gefragt, über die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft abzustimmen. Immer wieder ging es auch um andere zentrale Fragen. So gab es in Dänemark und Irland 1986 und 1987 Volksabstimmungen über die sogenannte Einheitliche Europäische Akte, Anfang der 90er-Jahre Volksabstimmungen über den Maastricht-Vertrag auch in Frankreich und Italien sowie später zwei Abstimmungen in Irland über den Vertrag von Nizza. Dänemark und Schweden lehnten 2002 und 2003 die Mitgliedschaft im Euro-Währungssystem per Referendum ab.

Auch die Luxemburger waren gefragt: 2005 stimmten sie ebenso wie die Spanier dem Entwurf einer europäischen Verfassung zu. Da Frankreich und die Niederlande mit Volksabstimmungen diesen Entwurf ablehnten, wurden geplante Referenden in Dänemark, Großbritannien, Irland, Polen, Portugal und Tschechien wieder abgesagt.

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Links:

Facebook-Post: https://m.facebook.com/achmet.albern.5/posts/279625940296036 (archiviert: https://archive.ph/31isi)

EU-Kommission zu Referenden: https://europa.eu/citizens-initiative-forum/blog/case-transnational-referendums-european-union_de (archiviert: https://archive.ph/82X3C)

EU-Parlament über Referenden: https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2017/571402/IPOL_STU(2017)571402_EN.pdf (archiviert: https://archive.ph/cGnZA)

Oxford University Press: https://oxfordre.com/politics/view/10.1093/acrefore/9780190228637.001.0001/acrefore-9780190228637-e-503 (archiviert: https://archive.ph/r0SZV)

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