Richterin Bader Ginsburg lobte Pädophilie nicht

04.08.2020, 16:15 (CEST)

Die Richterin am Obersten Gerichtshof der USA, Ruth Bader Ginsburg (87), wird seit Jahren von Politikern der Republikaner und von rechten Kräften wegen ihrer feministischen und liberalen Haltung kritisiert. In jüngerer Zeit wird in sozialen Medien erneut ein sogenanntes Meme mit dem Bild der lächelnden Bader Ginsburg und dem als Zitat präsentierten Ausspruch «Pädophilie ist gut für Kinder» verbreitet.

BEWERTUNG: Dass Ruth Bader Ginsburg den Satz geäußert hat, «Pädophilie ist gut für Kinder», ist durch nichts belegt. Durch einen von ihr mitverfassten Bericht aus dem Jahr 1977 konnte aber der Eindruck entstehen, sie sei für eine Senkung des Mindestalters für Sexualverkehr auf 12 Jahre.

FAKTEN: Es gibt keinerlei Beleg dafür, dass Ruth Bader Ginsburg jemals den Satz gesagt hat: «Pedophilia is good for children» (Pädophilie ist gut für Kinder). Behauptungen, Bader Ginsburg habe sich für die Straflosigkeit von Sex mit Kindern eingesetzt, sind über die Jahrzehnte hinweg immer wieder von ihren politischen Gegnern veröffentlicht worden. Sie stützen sich dabei auf einen von der «US Commission on Civil Rights» im April 1977 veröffentlichten und an den US-Präsidenten sowie Senat und Abgeordnetenhaus weitergeleiteten Bericht.

Der Bericht mit dem Titel «Sex Bias in the U.S. Code» (Sexuelle Voreingenommenheit in der US-Gesetzgebung) war gemeinsam von Bader Ginsburg und Brenda Feigen Fasteau verfasst worden. Schon 1974 war eine erste Version des Berichts unter dem Titel «The Legal Status of Women Under Federal Law» veröffentlicht worden.

In dem 250 Seiten starken per Schreibmaschine geschriebenen Bericht geht es darum, dass den Gesetzestexten zufolge in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen Frauen weniger Rechte haben als Männer oder die Rechte von Frauen gar nicht gesondert erwähnt werden, weil nur vom «man» (Mann) gesprochen wird. Besonders untersucht werden in diesem Zusammenhang die Gesetzestexte über Streitkräfte und Soziale Sicherheit.

Ein wesentlicher Teil des Berichts befasst sich mit männlichen Pronomen in einzeln aufgelisteten und zitierten Gesetzestexten, mit denen die Belange von Frauen sprachlich ausgeblendet würden. Die beiden Autorinnen fordern, dass - wo immer möglich - eine «geschlechtsneutrale Terminologie» in Gesetzestexten benutzt werden soll.

So kritisiert der Bericht auf Seite 95, dass das damalige US-Recht eine Vergewaltigung als sexuelle Gewalt eines Mannes gegenüber einer Frau definiert. Dies entspreche nicht dem Grundsatz gleicher Rechte: Nicht nur Frauen, sondern auch Jungen und Männer könnten Opfer sexueller Gewalt sein.

Auf Seite 102 dieses Berichts führen die beiden Autorinnen, denen von 15 Jura-Studenten zugearbeitet wurde, ein Gesetz des Senats von 1973 an, wonach Geschlechtsverkehr strafbar sein soll, wenn er «mit einer Frau, die nicht seine Ehefrau oder jünger als 16 Jahre ist» stattfinde. Der Bericht empfiehlt stattdessen, eine Vergewaltigung als eine «sexuelle Handlung mit einer anderen Person, die nicht Ehepartner ist», zu definieren, sofern diese erzwungen, mit Drogen herbeigeführt wird oder wenn «die andere Person jünger als 12 Jahre ist».

Die Autorinnen nehmen inhaltlich zu diesen Vorschlägen keinerlei Stellung, sondern fordern «geschlechtsneutrale» Formulierungen. Auch die vorhergehenden und nachfolgenden Absätze befassen sich mit sprachlichen gender-neutralen Veränderungen von Gesetzestexten. Abgesehen von der Erwähnung von 12 Jahren wird die Senkung des Mindestalters für sexuelle Beziehungen nirgendwo sonst im Bericht thematisiert. Verteidiger Bader Ginsburgs haben stets argumentiert, es müsse sich um einen Irrtum in dem umfangreichen Papier gehandelt haben, möglicherweise um einen Tippfehler.

Die Tatsache, dass dem Anschein nach in dem Bericht vom April 1977 ein Mindestalter für Geschlechtsverkehr von 12 Jahren empfohlen wird, ist von Gegnern der liberalen Bader Ginsburg als Forderung nach einer Herabsetzung des «age of consent», also des Alters, von dem an man mit sexuellen Beziehungen einverstanden sein kann, gedeutet worden. Entsprechende Vorwürfe gegen sie wurden bereits vor der Ernennung zur obersten Richterin laut.

Zu den Kritikern Ginsburgs gehörte auch der konservative Rechtswissenschaftler Eugene Volokh, der als Professor an der kalifornischen Universität UCLA lehrt und auch als Kommentator und Blogger auftritt. Volokh rückte im September 2005 von seiner Kritik ab. Er habe «irrtümlicherweise nicht erkannt, wie wahrscheinlich dies ein Irrtum war», schrieb der zu dem Mindestalter von 12 Jahren. Seiner Auffassung nach handelte es sich aber nicht um einen Tippfehler.

Volokh wies darauf hin, dass sich die Autorinnen des Berichts in ihren Empfehlungen für gendergerechte Gesetzesprache auf einen Paragrafen 1633 beziehen, tatsächlich aber den Text eines Paragrafen 1631 zitieren. Offensichtlich hätten die Autorinnen eine sogenannte «Romeo-und-Julia-Regelung» empfehlen wollen, wie es sie in zahlreichen US-Staaten gibt. Dabei hängt die Strafe vom Altersunterschied zwischen den Sexpartnern ab: Sex mit einem Mädchen unter 16 Jahren kann demnach legal sein, wenn der Partner weniger als fünf Jahre älter ist - der gleiche Vorgang kann aber bei Erwachsenen eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen.

Volokh schrieb, er könne verstehen, dass der Bericht von 1977 als Forderung nach einer Herabsetzung des Mindestalters verstanden worden sei. So sei es auch ihm gegangen. Mittlerweile finde er es aber «höchst unwahrscheinlich», dass dies die Absicht der beiden Autorinnen gewesen sie: «Die Empfehlungen beriefen sich auf die richtige Gesetzesstelle, zitierten aber die falsche.» Bader Ginsburg sei für die Endfassung des Berichts mitverantwortlich gewesen und könne sich jetzt nicht darüber beklagen, missverstanden worden zu sein.

---

Links:

Beitrag auf Facebook: https://www.facebook.com/emmi.maus.9828/posts/291898815593076 (archiviert: http://archive.vn/7nKob)

Bericht «Sex Bias in the U.S. Code»: https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=mdp.39015002294216&view=1up&seq=1 (archiviert: https://archive.vn/w1EfY)

Vorwürfe gegen Bader Ginsburg von 1993: https://www.govinfo.gov/content/pkg/GPO-CHRG-GINSBURG/pdf/GPO-CHRG-GINSBURG-4-19-2.pdf (archiviert: https://perma.cc/78LH-BMNY)

Einschätzung von Eugene Volokh: http://volokh.com/2005/09/30/it-looks-like-justice-ginsburg-likely-was-the-victim-of-a-drafting-error/ (archiviert: https://archive.vn/uRIU0)

---

Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: factcheck-luxembourg@dpa.com