Keine Schuldzuweisungen

Gericht sieht gravierende Versäumnisse bei Behörden 2014 in Odessa

16.4.2025, 15:57 (CEST)

Prorussische Separatisten griffen 2014 in Odessa einen Protestmarsch kiewtreuer Fußballfans an. Hilfe erhielten sie von Behördenchefs. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte anschließend die Ukraine wegen Verstößen gegen die Menschenrechtskonvention.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine wird von einem Informationskrieg begleitet. Falsche Behauptungen werden dabei oft von russischen oder prorussischen Quellen in Umlauf gebracht. In sozialen Netzwerken kursiert derzeit etwa die Behauptung, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe die ukrainische Regierung als Hauptverantwortliche der tödlichen Ausschreitungen in Odessa im Jahr 2014 verurteilt. Das stimmt aber nicht.

Bewertung

Der Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat die Ukraine wegen schwerer Versäumnisse und Untätigkeit der Behörden in Odessa verurteilt. Um eine Schuldzuweisung ging es dabei nicht. Zudem ist der EGMR - anders als behauptet - kein EU-Gericht.

Fakten

Bei Auseinandersetzungen zwischen prorussischen und kiewtreuen Demonstranten kam es am 2. Mai 2014 zu einem Brand in einem Gewerkschaftsgebäude in der südukrainischen Hafenstadt Odessa. Dabei starben 42 Menschen. Bei Ausschreitungen unmittelbar zuvor starben zudem sechs Menschen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte in einem Urteil am 13. März 2025 fest, dass Polizei, Feuerwehr und andere Stellen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen hätten, da sie die Gewalt nicht verhindert beziehungsweise eingedämmt hätten und nicht das ihnen Mögliche getan hätten, um Menschen aus dem brennenden Gebäude zu retten.

Was geschah in Odessa?

Die Gewalt hatte sich am Rande eines Fußballspiels entzündet, wie aus Erkenntnissen des Gerichts sowie einem UN-Report hervorgeht. Die britische BBC hatte auf ihrer Internetseite kurz nach dem Vorfall bereits eine Rekonstruktion der Ereignisse basierend auf ersten Erkenntnissen veröffentlicht.

Fans veranstalteten demnach im Kontext der sogenannten Maidan-Revolution einen Protestmarsch für eine vereinigte und nach Europa orientierte Ukraine. Bei ihrem Marsch durch die Stadt wurden sie von prorussischen Separatisten angegriffen, wobei auch Schusswaffen zum Einsatz kamen. Die Polizei schritt nicht ein.

In den sich anschließenden Straßenschlachten gewannen die Unterstützer einer vereinigten Ukraine die Oberhand, die prorussischen Aktivisten verbarrikadierten sich in dem Gewerkschaftsgebäude. Auf beiden Seiten kamen Wurfgeschosse, Molotow-Cocktails und weitere Waffen zum Einsatz. Das Gebäude fing Feuer, doch trotz mehrmaliger Hilferufe rückte die Feuerwehr aus der nahegelegenen Feuerwache nicht an.

Der Menschengerichtshof in Straßburg erklärte, in ihm vorliegenden Videos sei zu sehen, wie Menschen aus dem brennenden Gebäude springen. Einige der proukrainischen Demonstranten versuchten dabei, ihnen mit improvisierten Leitern zu Hilfe zu kommen. Andere griffen hingegen aus den Fenstern gesprungene Verletzte weiter an. Auch hierbei griffen die Behörden nicht ein.

Polizeichef unterstützte prorussischen Angreifer

Das Gericht erklärte, es habe ausschließlich die Verpflichtungen der Ukraine gegenüber der Europäischen Menschenrechtskonvention untersucht. Dabei spielte es keine Rolle, dass einige Verantwortliche in den Behörden von Odessa in der Zwischenzeit nach Russland geflohen und russische Staatsbürger geworden seien.

Es habe sich zum Beispiel herausgestellt, dass der stellvertretende regionale Polizeichef die prorussischen Angreifer unterstützt habe und später nach Russland geflohen sei. Auch der regionale Feuerwehrchef habe sich nach Russland davongemacht.

Zusammenfassend erklärte das Gericht, dass die Möglichkeiten der ukrainischen Behörden zwar begrenzt gewesen seien, sie aber nicht einmal das Nötigste unternommen hätten, um die Gewalt oder den Brand einzudämmen. Auch bei den anschließenden Ermittlungen sei es zu Unregelmäßigkeiten und gravierenden Versäumnissen gekommen.

Der Europäische Menschengerichtshof in Straßburg sprach daher den Klägern - darunter etliche Hinterbliebene von Opfern - Entschädigungen zu.

(Stand: 15.4.2025)

Links

Behauptung bei Facebook (archiviert)

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, (archiviert)

Bericht des Europarats(archiviert)

UN-Bericht (archiviert)

Rekonstruktion der Ereignisse bei der BBC(archiviert)

Bundeszentrale für politische Bildung zur Maidan-Revolution(archiviert)

Gewerkschaftsgebäude in Odessa

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