Kein Beleg für Betrug
Auszählungsstände bei Wahlen werden nicht überall gleichzeitig aktualisiert
13.3.2025, 11:14 (CET)
Etwa jede siebte Stimme ging bei der Bundestagswahl an eine Partei, die nicht im nächsten Bundestag vertreten sein wird. Das liegt vor allem daran, dass es die FDP und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nicht über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft haben. Im Zusammenhang mit den knappen Ergebnissen kursiert in sozialen Medien ein Video, in dem auf Unregelmäßigkeiten bei der Auflistung von Stimmen in einzelnen Wahlkreisen hingewiesen wird.
Ein Beispiel: So werde etwa auf der Wahlergebnisseite der Stadt Hagen für den Wahlkreis 137 (Hagen - Ennepe-Ruhr-Kreis I, NRW) 7.385 Stimmen für das BSW angegeben und 187 Stimmen für das Bündnis Deutschland, eine Kleinpartei, die als rechtskonservativ und wirtschaftsliberal gilt. Inzwischen hat sich der Stand beim BSW auf der Seite leicht geändert.
Auf der Webseite der Bundeswahlleiterin werden dem BSW im Hagener Wahlkreis dagegen 7.316 Stimmen und dem Bündnis Deutschland 225 Stimmen zugerechnet. Danach werden in dem Video ähnliche Beispiele aus anderen Wahlkreisen gezeigt.
Während der Sprecher in dem Video betont, er möchte nicht unterstellen, «dass da irgendwie Betrug vorliegt», wird in Beiträgen auf Facebook genau dieser Schluss gezogen: «Dieses Video belegt einen gigantischen Wahlbetrug», heißt es dort. Stimmen seien zwar richtig ausgezählt und gemeldet worden, «vom zuständigen Landeswahlleiter aber dann vorsätzlich auf andere irrelevante Parteien verteilt und die falschen Ergebnisse dann als richtig an den Bundeswahlleiter gemeldet» worden. Ist da etwas dran?
Bewertung
Die Angaben auf Wahlkreis- oder Landesebene spiegeln einen anderen Sachstand wider. Deshalb können sie sich vom vorläufigen Wahlergebnis der Bundeswahlleiterin unterscheiden. Es ist üblich, dass sich noch Änderungen ergeben, bis das endgültige amtliche Wahlergebnis feststeht. Das belegt keinen Wahlbetrug.
Fakten
Die Bundeswahlleiterin nennt es «falsch», das vorläufige Ergebnis der Bundestagswahl 2025 aufgrund der Abweichungen auf Webseiten einzelner Gemeinden als inkorrekt zu bezeichnen. «Die Ergebnisdarstellungen basieren auf unterschiedlichen Sachständen zu unterschiedlichen Zeitpunkten», heißt es auf der Webseite der Bundeswahlleiterin.
Das liegt an der Art und Weise, wie die Stimmen nach Schließung der Wahllokale gezählt und gemeldet werden: Das Ergebnis der Auszählung in einem Wahlbüro reichen die Wahlvorstände an die Gemeindebehörde weiter, die die Ergebnisse ihrer Wahlbezirke an die Kreiswahlleitung weitergibt. Diese wiederum ermittelt mit den Schnellmeldungen das Wahlergebnis im Wahlkreis, zählt noch die Briefwahlstimmen dazu und gibt das Ergebnis an die Landeswahlleitung weiter. Diese meldet die Ergebnisse der Bundeswahlleiterin und ermittelt das Ergebnis des jeweiligen Bundeslands, das sie ebenfalls der Bundeswahlleiterin sendet.
Die Bundeswahlleitung gibt in der Wahlnacht ein vorläufiges Endergebnis der Bundestagswahl bekannt. Auf der Webseite der Bundeswahlleiterin werde dieses vorläufige Endergebnis dann nicht mehr angepasst - bis das endgültige Ergebnis festgestellt wird. Dies wird nun voraussichtlich am 14. März passieren.
Abweichungen bis zur Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses üblich
In der Zwischenzeit wird auf Wahlkreis- und Landesebene weiter geprüft - die Ergebnisstände auf deren Webseiten sind also mitunter aktueller. Es ist üblich, dass sich nach der Feststellung des vorläufigen Wahlergebnisses in der Wahlnacht und der endgültigen Feststellung des Ergebnisses noch Änderungen ergeben können. «Kleinere Abweichungen in den Ergebnissen nach oben oder unten sind auf die Prüfschritte anhand der Niederschriften, etwaige Nachzählungen und Korrekturen zurückzuführen. Diese treten bei jeder Wahl auf», schreibt die Bundeswahlleiterin.
Dieser Sicht schließen sich auch die Bundesländer an: Auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zu den abweichenden Darstellungen verwiesen die Landeswahlleitungen in Nordrhein-Westfalen und in Bayern ebenfalls auf die Erklärungen der Bundeswahlleiterin.
Der Politikforscher und Wahlrechtsexperte Robert Vehrkamp der Bertelsmann Stiftung sieht in den Abweichungen einen typischen Fall «für das örtliche und zeitlich asynchrone Einlaufen von Auszählungsergebnissen». Dass die Abweichungen auf irgendeine Form von Manipulation hindeuten, sei «bewusst fehlinterpretiert».
Abweichungen könne man nie zu 100 Prozent vermeiden. «Es werden sich einzelne Auszählungsfehler finden, aber das sind Einzelfälle. Wahlen sind und sollen von Menschen gemachte Prozesse sein», sagte Vehrkamp der dpa. Der Auszählungsprozess in Deutschland sei mit sehr vielen «Sicherheitsschleifen und dem Mehraugenprinzip ausgestattet».
Bisherige Anpassungen ohne Konsequenz für Stimmanteil
Die Bundeswahlleiterin warte mit der Ausrufung des vorläufigen Wahlergebnisses, «bis sie auf der Grundlage der mitgeteilten Ergebnisse und ihrer Erfahrung hinreichend sicher ist, dass Abweichungen im späteren endgültigen Wahlergebnis nicht mehr dazu beitragen können, dass eine Partei wie das BSW doch noch die Fünfprozenthürde überschreitet», sagte Vehrkamp.
Seit der Bundestagswahl haben sich bei der Überprüfung des vorläufigen Ergebnisses tatsächliche einige Änderungen ergeben: So kommt das BSW etwa im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen auf 1.295 Zweitstimmen mehr. Grund für das abweichende BSW-Ergebnis waren demnach meist Zuordnungsfehler zu der ähnlich klingenden Partei «Bündnis Deutschland». Am Stimmenanteil von 4,1 Prozent für das BSW in NRW ändert das nichts.
Auch in Hessen gibt bei den absoluten Zahlen der Stimmen zwar Abweichungen - etwa im Vergleich zum vorläufigen Ergebnis 226 mehr Stimmen für das BSW - diese bleiben aber ohne Folgen für die Prozentzahlen der Stimmanteile der Parteien.
Wegen des knapp verpassten Einzugs in den Bundestag zieht die BSW-Parteigründerin Sahra Wagenknecht nach Karlsruhe, um eine erneute Auszählung zu erreichen. Der Antrag sei am Dienstag (11. März) beim Bundesverfassungsgericht eingereicht worden, sagte eine BSW-Sprecherin der dpa. Ob die Klage Erfolg haben wird, ist noch unbekannt.
Das amtliche Endergebnis soll am 14. März vom Bundeswahlausschuss festgestellt werden. Danach könnte dagegen Einspruch erhoben und nötigenfalls geklagt werden.
(Stand: 12.3.2025)
Links
Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung über das Bündnis Deutschland (archiviert)
Vorläufiges Wahlergebnis des Wahlkreis 137 auf der Seite der Bundeswahlleiterin (archiviert)
Vorläufiges Wahlergebnis des Wahlkreis 137 auf der Seite der Landeswahlleiterin (archiviert)
Vorläufiges Wahlergebnis des Wahlkreis 137 auf der Seite der Stadt Hagen mit Stand 26. Februar (archiviert)
Bundeswahlleiterin zu den Abweichungen bei der vorläufigen Ergebnisdarstellung (archiviert)
Bundeswahlleiterin zur Ergebnisermittlung (archiviert)
Mitteilung der Landeswahlleiterin in NRW (archiviert)
dpa-Meldung über NRW via «Zeit» (archiviert)
Mitteilung des Landeswahlleiters in Hessen (archiviert)
dpa-Meldung über BSW-Klage, veröffentlicht von «sueddeutsche.de» (archiviert)
Facebook-Beitrag mit der Behauptung (archiviert, Video archiviert)
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