Kein Video aus Deutschland
Über die Hälfte der Afghanen im Flugzeug waren Frauen und Kinder
10.3.2025, 17:05 (CET), letztes Update: 12.3.2025, 09:08 (CET)
Die Bundesregierung holt über verschiedene Aufnahmeprogramme Menschen aus Afghanistan nach Deutschland. Einer dieser Flüge Ende Februar wird in Medien und in den sozialen Netzwerken heftig diskutiert - zum Beispiel die Frage, wer ins Land kommt und ob Frauen und Kinder unter den Schutzsuchenden sind.
Mit Blick auf die 155 Menschen, die am 25. Februar in Berlin angekommen sind, heißt es in einem Beitrag, es seien «155 Burschen eingeflogen» worden - also ausschließlich männliche Schutzsuchende. Auch im Video in dem Beitrag sind ausschließlich Männer auf einer Fluggastbrücke zu sehen. Zudem sollen «47 vorwiegend Frauen und Kinder abgeschoben» worden sein. Worauf beziehen sich die Zahlen - und stimmen sie überhaupt?
Bewertung
Die Angaben über den Flug nach Deutschland sind falsch. Von 155 Menschen an Bord waren nach Angaben des Auswärtigen Amtes mehr als die Hälfte Frauen und Kinder. Das Video zeigt auch nicht den Flug im Auftrag der Bundesregierung, sondern mutmaßlich einen Flug aus der Türkei nach Afghanistan.
Fakten
155 Afghaninnen und Afghanen sind am 25. Februar 2025 mit einem Charterflug im Auftrag der Bundesregierung am Berliner Flughafen angekommen. Es handelt sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes um Personen aus unterschiedlichen Aufnahmeprogrammen für Menschen aus Afghanistan.
Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte in der Bundespressekonferenz, dass sich 80 Frauen und Mädchen unter den Passagieren befunden hätten. Über 60 der Passagiere seien minderjährig gewesen, über 40 von ihnen jünger als zehn Jahre. Die Angabe, es seien nur Männer beziehungsweise «Burschen» an Bord des Flugzeugs gewesen, ist also falsch.
Über ein Programm der Bundesregierung können ehemalige afghanische Ortskräfte und Familienangehörige nach Deutschland einreisen. Als Ortskräfte werden Personen bezeichnet, die bis zur Machtübernahme der islamistischen Taliban im Jahr 2021 für deutsche Behörden oder Organisationen in Afghanistan gearbeitet haben.
Ein weiteres Programm, das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan, richtet sich an «besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen sowie ihre Familienangehörigen». Den Angaben des Auswärtigen Amtes zufolge geht es dabei um über 45.000 Menschen, von denen ein Großteil bereits nach Deutschland gereist sei.
Video zeigt mutmaßlichen Linienflug nach Afghanistan
Das Video, das in mehreren Beiträgen zu sehen ist und das ausschließlich Männer auf einer Fluggastbrücke an einem Flughafen zeigt, wird auf irreführende Weise verwendet: Es zeigt nicht den Charterflug am 25. Februar und hat auch nichts mit den deutschen Afghanistan-Aufnahmeprogrammen zu tun.
Zu sehen ist der Flughafen der türkischen Hauptstadt Ankara. Das zeigen Details wie ein Hinweisschild, das Flughafengebäude im Hintergrund und die Glaswand der Fluggastbrücke. Sie finden sich auch auf anderen Aufnahmen vom Flughafen Ankara.
Das Video wurde bereits am 24. Februar auf einem Tiktok-Kanal veröffentlicht. In einem Sticker im Video ist von «Ankara - Kabul» die Rede. Auf dem Kanal finden sich viele weitere Aufnahmen von Flügen auf dieser Route. Beworben werden Linienflüge mit Ariana Afghan Airlines. Die Fluggesellschaft bietet Verbindungen von und nach Afghanistan an, zum Beispiel aus der Türkei. Laut dem Flughafen in Ankara gab es am 24. Februar einen Flug von dort nach Kabul.
Deutscher Charterflug startete in Pakistan
Ein reichweitenstarker englischsprachiger Account auf X rückte das Video aus Ankara jedoch in einen falschen Zusammenhang mit den deutschen Evakuierungsflügen. Der deutsche Charterflug am 25. Februar war weder in Kabul noch in Ankara gestartet, sondern in Islamabad in Afghanistans Nachbarland Pakistan. Laut Medienberichten gab es Zwischenstopps in Dubai und auf Zypern. Dem Auswärtigen Amt zufolge handelte es sich um Tankstopps.
Am 5. März gab es einen weiteren Charterflug für Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland. Laut Auswärtigem Amt waren von 132 Personen an Bord 74 Frauen und Mädchen, knapp 60 Passagiere waren minderjährig.
Die Angabe in einigen Social-Media-Beiträgen, «47 vorwiegend Frauen und Kinder» seien abgeschoben worden, bezieht sich mutmaßlich auf einen Abschiebeflug am 17. Februar. Dieser ging von Hannover in die irakische Hauptstadt Bagdad.
Kritik vom Flüchtlingsrat
Zu den Menschen an Bord gibt es nur wenige Informationen. Aus Niedersachsen wurden nach Angaben des dortigen Innenministeriums 16 Personen abgeschoben. Sie seien allesamt volljährige Männer gewesen. Die restlichen Abgeschobenen kamen aus zehn weiteren Bundesländern. Ob sie überwiegend weiblich beziehungsweise minderjährig waren, ist nicht bekannt.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisierte die Abschiebungen. So soll unter den Abgeschobenen aus Niedersachsen ein 30 Jahre alter Jeside aus der Region Shingal gewesen sein, in der die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) 2014 einen Genozid an der ethnisch-religiösen Minderheit beging.
Berichtigung
Im viertletzten Absatz wurde bei der Zahl der Minderjährigen die Angabe «knapp» ergänzt.
(Stand: 12.3.2025)
Links
dpa-Meldung zum Flug am 25. Februar (archiviert)
Protokoll aus der Bundespressekonferenz am 26. Februar (archiviert)
Ortskräfteprogramm (archiviert)
Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (archiviert)
Flughafen Ankara auf weiterem Video (archiviert)
Verbindungen von Ariana Afghan Airlines (archiviert)
Flug Ankara-Kabul am 24. Februar (archiviert)
Irreführender Beitrag auf X (archiviert; Video archiviert)
«Augsburger Allgemeine» über Flug am 25. Februar (archiviert)
dpa-Meldung zum Flug am 5. März (archiviert)
dpa-Meldung zu Abschiebungen in den Irak (archiviert)
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