Pro-russische Desinformation
Selenskyj erläutert Unterschiede zwischen US-Militärhilfen
10.2.2025, 14:18 (CET)
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj über die US-Militärhilfen für sein Land gesprochen. In sozialen Medien kursieren dazu Beiträge, in denen er mit den Worten zitiert wird: «Ich weiß auch nicht, wo die Milliarden alle geblieben sind.» Nutzer wittern Korruption und behaupten, Selenskyj gebe damit zu, dass Milliardenbeträge veruntreut worden seien. Auch Elon Musk repostete einen Beitrag mit dieser Behauptung auf seiner Plattform X.
Bewertung
Selenskyj äußerte sich nicht zu angeblich verschwundenen Geldern, sondern erklärte den Unterschied zwischen direkter Militärhilfe und anderen Unterstützungsmaßnahmen der USA. Ein großer Teil der bewilligten Mittel wird in den USA für die Herstellung und Lieferung von Waffen genutzt - nicht als direkte Finanztransfers an die Ukraine.
Fakten
Am 1. Februar 2025 gab Selenskyj der Nachrichtenagentur AP ein Interview. Das vollständige Video ist auf YouTube abrufbar. Die kontroverse Aussage fällt ab Minute 40:35, als er die US-Militärhilfe thematisiert.
Der US-Kongress habe 177 Milliarden bewilligt, aber «ich sage Ihnen das als Präsident eines Landes, das sich im Krieg befindet: Wir haben nur etwas über 75 erhalten. Sprich, rund 100 Milliarden dieser 177 oder 200 Milliarden, wie manche behaupten, haben wir nie bekommen», erklärte Selenskyj. Bei den erhaltenen Militärhilfen handele es sich außerdem um Waffen, nicht um «Bargeld».
Selenskyj beschreibt damit nicht eine Veruntreuung, sondern die Struktur der US-Hilfen. Von den insgesamt fünf Hilfspaketen im Umfang von 174,2 Milliarden Dollar wurde ein großer Teil innerhalb der USA verwendet, unter anderem zur Produktion von Waffen.
Aussage aus dem Kontext gerissen
Laut der Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR) gingen 106 Milliarden Dollar direkt an die Ukraine, davon 70 Milliarden in Form militärischer Unterstützung. Der Rest wurde innerhalb der USA ausgegeben, etwa für die Herstellung von Rüstungsgütern oder die Auffüllung eigener Bestände.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) dokumentiert ähnliche Zahlen. Es beziffert die US-Hilfen für die Ukraine bis Oktober 2024 auf 119 Milliarden Dollar, davon 66 Milliarden Militärhilfe und 50 Milliarden finanzielle Unterstützung. Unterschiede zu anderen Berechnungen ergeben sich aus unterschiedlichen Definitionen und Berechnungsmethoden.
Die IfW schrieb zudem in einer Veröffentlichung vom Februar 2023 (PDF, Seite 18-19) über die US-Unterstützung für die Ukraine: «Ein großer Teil der (damals) 113 Milliarden Dollar wird jedoch nicht direkt an die Ukraine fließen, sondern stattdessen für eine Reihe von Ausgabenzwecken verwendet. Beispiele hierfür sind (...) die Prävention von Terrorismus und Cyberkriminalität, Investitionen in die nationale Infrastruktur, groß angelegte Käufe von Militärgütern, die in den USA verbleiben sollen (...), oder Mittel, die für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge in den USA bestimmt sind.»
Video manipulativ gekürzt
Im Interview zählt Selenskyj selbst verschiedene Hilfsformen auf: «Trainings, Bildung, Transport, humanitäre Programme, Sozialprogramme». Danach sagt er (frei übersetzt): «Ich weiß nicht, wo all das Geld hin ist.» Im von Musk geteilten Video wurde diese Aussage so gekürzt, dass darauf die Behauptung von Korruption aufgebaut wurde.
Dieser Zusammenschnitt enthält am oberen rechten Rand ein Wasserzeichen, dass vermutlich die Herkunft des Videos zeigt: einer russischen Telegram-Gruppe @smotri_media verbreitet. Dort wurde es zumindest am 02. Februar, einen Tag nach dem Interview geteilt. Es endet genau an der Stelle, bevor Selenskyj seine Aussage präzisiert.
Denn im AP-Interview fügt Selenskyj wenige Sekunden später hinzu: «Es gibt vielleicht Hunderte verschiedener Programme.» Er meint damit nicht, dass Gelder verschwunden seien, sondern dass sie über verschiedene Kanäle verteilt werden. Ebenso, dass er keinen Einblick darüber hat, inwiefern die USA ihre vom Kongress verabschiedeten Hilfen innerhalb ihrer Landesgrenzen nutzen.
Keine Hinweise auf großangelegte Veruntreuung
Dass es in der Ukraine Fälle von Korruption gibt, ist bekannt. Im Januar 2024 deckte der ukrainische Geheimdienst einen Korruptionsfall im Verteidigungsministerium auf, bei dem rund 40 Millionen Dollar veruntreut wurden. Unter anderem berichtete Reuters darüber.
Jedoch gibt es keine Beweise für eine systematische Unterschlagung von US-Hilfen. Die Mittelverwendung wird von amerikanischen und ukrainischen Behörden streng kontrolliert, und bisher wurden keine Hinweise auf eine Milliardenbetrugsaffäre gefunden.
(Stand: 07.02.2025)
Links
AP-Interview mit Wolodymyr Selenskyj auf YouTube (archiviert)
Ukraine Oversight: Finanzierung (archiviert)
CFR über US-Unterstützung (archiviert)
IfW über US-Unterstützung (archiviert)
IfW-Paper von 2023 (PDF, archiviert)
Geteilter X-Beitrag von Musk mit Behauptung (archiviert)
Reuters über Korruptionsvorwürfe in der Ukraine (archiviert)
Post in @smotri_media Telegram-Channel (archiviert)
Über dpa-Faktenchecks
Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.
Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.
Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.
Schon gewusst?
Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.