Falsche Zahlen genannt
AfD-Politikerin von Storch übertreibt bei Zuwanderer-Gewalt
5.2.2025, 13:03 (CET)
In der jüngsten ARD-Talkshow «Hart aber fair» gab es unter anderem eine Auseinandersetzung über Kriminalität von Zuwanderern. «Wir haben zwei Gruppenvergewaltigungen am Tag, wir haben zehn normale Vergewaltigungen am Tag und wir haben 131 Gewaltdelikte pro Tag in den letzten sechs Jahren gehabt im Schnitt - durch Zuwanderer, in erster Linie von Syrern, von Afghanen und von Irakis», sagte die Berliner AfD-Politikerin Beatrix von Storch am 3. Februar 2025 (in der Sendung ab 1:11 Stunde). Das wird auch in sozialen Medien verbreitet.
Bewertung
Von Storch liegt in allen drei Punkten (Gruppenvergewaltigungen, Vergewaltigungen, Gewaltdelikte) falsch. Die Zahl der Fälle mit tatverdächtigen Zuwanderern liegt der Kriminalstatistik zufolge jeweils weit darunter.
Fakten
In der Aufregung über eine wohl wenig durchdachte Antwort von «Hart aber fair»-Moderator Louis Klamroth auf von Storchs Aussage zur Zuwanderer-Kriminalität geht bei den meisten unter, dass der Satz der AfD-Politikerin einer Überprüfung tatsächlich nicht standhält.
«Zwei Gruppenvergewaltigungen am Tag»?
Zuletzt hatten Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) oder die frühere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) behauptet, es gebe jeden Tag eine Gruppenvergewaltigung «aus dem Milieu der Asylbewerber heraus». Von Storch spricht nun sogar von täglich zwei solchen Fällen. Doch beides ist nicht richtig.
Denn über eine Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) vom Juni 2024 zu genau diesem Thema lassen sich solche Aussagen nicht mit Zahlen belegen.
In Deutschland hat es dieser PKS-Auswertung zufolge (s. Antwort auf Frage 1) im Jahr 2023 insgesamt 761 Gruppenvergewaltigungen gegeben, die bei der Polizei angezeigt wurden - also rund zwei täglich. In den Vorjahren schwankte es etwas (2022: 789, 2021: 677, 2020: 704, 2019: 710, 2018: 659). Die größte Gruppe unter den Tatverdächtigen sind deutsche Männer.
Zwischen 2018 und 2023 lag der Anteil der nicht-deutschen Tatverdächtigen jeweils bei 50 Prozent oder minimal darunter (s. Antwort auf Frage 2). Grob könnte man daraus ableiten, dass eine der beiden täglichen Gruppenvergewaltigungen im Schnitt von Nicht-Deutschen begangen wurde.
Aber: Zuwanderer, zu denen die PKS neben Asylbewerbern auch Schutz- und Asylberechtigte, Kontingentflüchtlinge, Menschen mit Duldung oder mit unerlaubtem Aufenthalt zählt (S. 4.), sind nur ein kleiner Teil dieser Gruppe. Die meisten tatverdächtigen Ausländer sind nicht zugewandert, sondern zum Zeitpunkt der Tat etwa als Geschäftsleute, Touristen oder Studierende nur vorübergehnd im Land.
Die PKS-Sonderauswertung gibt auch die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer an (s. Antwort auf Frage 8c). Ihr Anteil an allen Tatverdächtigen bei Gruppenvergewaltigungen ging über die letzten Jahre beständig zurück: von 21,8 Prozent im Jahr 2018 auf 14,1 Prozent im Jahr 2023):
- 2023: 146 (von insgesamt 990 Tatverdächtigen)
- 2022: 142 (von 943)
- 2021: 165 (von 970)
- 2020: 164 (von 907)
- 2019: 194 (von 899)
- 2018: 183 (von 839)
Zuwanderer können also bei jährlich mehr als 600 oder 700 Gruppenvergewaltigungen nicht jeden Tag eine oder gar zwei - wie von Storch behauptet - solcher Taten begangen haben.
«Zehn normale Vergewaltigungen am Tag»?
Das Bundeskriminalamt fasst Straftaten wie Vergewaltigung, besonders schwere Fälle der sexuellen Nötigung und der sexuellen Übergriffe in einem Straftatenschlüssel (Nummer 111000) zusammen. Aus den jährlichen PKS ist abzulesen, dass auch hier deutsche Staatsangehörige die größte Gruppe unter den Tatverdächtigen stellen.
Wäre von Storchs Aussage von zehn Vergewaltigungen am Tag durch Zuwanderer richtig, dann müssten jährlich etwa 3.650 solcher Fälle unter den Straftatenschlüssel 111000 fallen. Doch die Kriminalstatistik sagt etwas anderes (PKS 2023, S. 40, PKS 2021, S. 11, PKS 2019, S. 14):
- 2023: 1.193 (von insgesamt 12.186 Fällen)
- 2022: 1.155 (von 11.896)
- 2021: 1.140 (von 9.903)
- 2020: 1.155 (von 9.752)
- 2019: 1.242 (von 9.426)
- 2018: 1.316 (von 9.234)
Die AfD-Politikerin übertreibt also stark und nennt dreifach höhere Zahlen als in der Polizeilichen Kriminalstatistik stehen.
«131 Gewaltdelikte pro Tag»?
Unter dem Begriff Gewaltkriminalität fasst die PKS (S. 3) mehrere Straftaten zusammen - unter anderem Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Raub, gefährliche und schwere Körperverletzung oder Geiselnahme. Hier gilt genauso: Die meisten Tatverdächtigen sind Deutsche.
Sollte es - wie von Storch behauptet - täglich 131 Gewalttaten mit verdächtigen Zuwanderern geben, wären das aufs Jahr gesehen fast 48.000 solcher Fälle. Doch auch das geben die Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) bei Weitem nicht her (PKS 2023, S. 14, PKS 2021, S. 11, PKS 2019, S. 14):
- 2023: 25.732 (von insgesamt 214.099 Fällen)
- 2022: 21.388 (von 197.202)
- 2021: 19.158 (von 164.646)
- 2020: 22.171 (von 176.672)
- 2019: 24.064 (von 181.054)
- 2018: 27.310 (von 185.377)
Das Problem gewalttätiger Zuwanderer ist nicht zu leugnen. Je nach Jahr stellen sie zwischen 10,8 Prozent (2022) bis 14,7 Prozent (2018) der Verdächtigen von Gewalttaten. Doch klar ist: Von Storch argumentiert mit völlig überhöhten Zahlen.
Grundsätzlich ist zudem zu bedenken, wenn man mit Zahlen aus der PKS hantiert: Die Statistik trifft keinerlei Aussage darüber, ob eine Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde der Auffassung der Polizei etwa in Bezug auf die Tatverdächtigen oder die mutmaßlich begangene Tat folgt. Auch gibt sie keine Auskunft, ob die Tatverdächtigen später von einem Gericht schuldig gesprochen wurden oder nicht. Gleichzeitig ist die Dunkelziffer etwa bei Vergewaltigungen hoch, weil nicht alle Taten angezeigt werden.
(Stand: 5.2.2025)
Links
PKS-Sonderauswertung vom 3.6.2024 (archiviert)
PKS mit Definition «Zuwanderer», S. 53 (archiviert)
PKS über Straftatengruppen, Gewaltkriminalität S. 3 (archiviert)
Merz-Rede im Bundestag am 31.1.2025, Zitat ab 8:17 Min. (archiviert)
Merz-Rede im Bundestag am 31.1.2025, Zitat ab 8:17 Min. (archiviert)
X-Post von Kristina Schröder (archiviert)
Von-Storch-Aussage im Clip, Zitat ab 11:46 Min. (Post archiviert, Video archiviert)
Sendung «Hart aber fair» vom 3.2.2025
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