Der Falschaussage bezichtigt
Angeblich viele Lügen in kurzer Zeit: Habeck-Interview unter der Lupe
3.2.2025, 14:42 (CET)
Der Bundestags-Wahlkampf läuft auf Hochtouren, dabei rückt das Thema Desinformation in den Fokus. Beispielsweise kursiert in verschiedenen sozialen Medien ein Video, in dem Robert Habeck (Grüne) innerhalb von 90 Sekunden mehrfach der Lüge überführt worden sein soll. Ein Interview mit dem Bundeswirtschaftsminister wird durch Einblendungen kommentiert, insgesamt sechs Falschaussagen des Vizekanzlers will der Urheber entdeckt haben.
Bewertung
Eine der kritisierten Aussagen von Robert Habeck ist aus heutiger Sicht tatsächlich falsch, das Interview ist allerdings älter. Weitere Vorwürfe bestätigten sich nicht. Die Einblendungen sind in Teilen korrekt, arbeiten aber auch mit falschen Zahlen oder beziehen sich nicht auf die von Habeck getroffenen Aussagen.
Fakten
Die angeblichen Lügen Habecks stammen aus einem Interview des Vizekanzlers mit der ZDF-Sendung «heute journal» im Dezember 2023. Der Upload des Videos mit den Kommentaren fand mehr als ein Jahr nach dem Interview statt.
Hat Habeck beim Thema Steuern gelogen?
Die erste angebliche Lüge besteht darin, dass Habeck sagte, man habe sich politisch darauf geeinigt, keine Steuern zu erhöhen. Eine Einblendung widerspricht dem. Steuern würden erhöht, unter anderem durch Einführung neuer Steuern, wie zum Beispiel der Plastiksteuer.
Richtig ist: Tatsächlich erfolgte im vergangenen Jahr eine Steuererhöhung. Die Ticketsteuer für Passagierflüge wurde zum 1. Mai 2024 erhöht. Eine weiterhin oft genannte Mehrbelastung der Bürgerinnen und Bürger sind die gestiegenen Kosten für den Brennstoffemissionshandel, auch CO2-Steuer genannt.
Diese trifft Kunden nur indirekt, hat laut ADAC aber tatsächlich seit 2021 zu einem Anstieg der Tankpreise geführt. Das zugrundeliegende Gesetz über einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen wurde allerdings bereits 2019 beschlossen. Damals regierten CDU/CSU und SPD, Habeck selbst ist erst seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestags.
2024 stieg außerdem der Gaspreis, da die Mehrwertsteuer auf Gas wieder auf 19 Prozent erhöht wurde. Die Senkung auf sieben Prozent war von vorneherein als vorübergehend festgelegt worden. Somit wurde keine Steuererhöhung vorgenommen. Gleiches gilt für die Mehrwertsteuer in der Gastronomie.
Plastiksteuer: Bis heute nicht eingeführt
Die in der Einblendung genannte Plastiksteuer wurde auf EU-Ebene bereits 2021 eingeführt und bisher durch den Staat bezahlt. Ursprünglich war geplant, sie ab 1. Januar 2025 auf die Hersteller von Plastikverpackungen umzulegen. Im April 2024 berichtete «Bild» dann, dass sich die Umsetzung dieses Vorhabens verzögere, seitdem gab es keine öffentlich bekannten Entwicklungen.
Weitere neue Steuern wurden durch die Ampel-Regierung nicht eingeführt, eine Erhöhung gab es jedoch im Bereich der Ticketsteuer. Der Beschluss hierzu wurde am 8. Januar 2024 öffentlich, ob Habeck dieses Vorhaben zum Zeitpunkt des Interviews bekannt war, ist unklar.
Die zweite «Lüge» ist nicht zu finden
In der zweiten vorgeblich identifizierten Lüge findet sich durch die Einblendung gar kein Widerspruch zu Habecks Aussage. Dieser sagt, es sei eine Möglichkeit, dass der Staat die Kosten für die Bürger weniger abfedert, wenn er weder neue Einnahmen generiert noch Schulden macht.
Dazu wird lediglich eine Meinungsäußerung eingeblendet: «Der Staat muss nichts tun. Er kann auch einfach die Bürger in Ruhe lassen und nicht ständig in ihre Taschen langen.»
Was kostet die Energiewende?
Robert Habeck argumentiert in der Folge, die hohen Energiepreise kämen «von außen». Auch dies sei laut Einblendung eine Lüge, Grund für die hohen Energiepreise sei die Energiewende der Regierung. Die Kosten dafür würden sich bis 2025 auf mindestens 500 Milliarden Euro belaufen.
Da die Energiewende noch nicht abgeschlossen ist, stehen deren Kosten noch nicht fest. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags spricht von Auswertungen, die die Kosten auf Beträge zwischen 500 Milliarden Euro pro Jahr oder 13,3 Billionen Euro insgesamt bis zum Jahr 2045 beziffern, also deutlich höher als im Video behauptet. Beschlossen wurde die Energiewende im Juni 2011 von einer Koalition aus Union und FDP.
Wo kommen die gestiegenen Energiepreise her?
Die gestiegenen Energiepreise waren laut Europäischem Rat vor allem auf ausbleibende Lieferungen aus Russland sowie auf Hitzewellen im Sommer 2022 zurückzuführen. Das lässt sich aus deutscher beziehungsweise europäischer Perspektive durchaus als Gründe «von außen» begreifen.
Die Energiewende spielt für die Strompreise eine Rolle, da Gas- und Kohlekraftwerke weiterhin zur Stromerzeugung genutzt werden und die hier gewonnene Energie verhältnismäßig teuer ist. Eingesetzt werden sie allerdings nur, wenn kein günstigerer Weg, etwa durch erneuerbare Energien, möglich ist. Die Eigenproduktion von Atomstrom beendete Deutschland 2023. Um Kosten zu verringern, wird auch regelmäßig Strom aus Nachbarländern importiert.
Gestiegen sind zudem die Netzentgelte, laut Bundesnetzagentur vor allem, da keine Bezuschussung durch den Bund mehr erfolgt. Inzwischen sind die Strompreise für Neukunden laut dem Preisvergleich-Portal Verivox aber wieder auf das Niveau von 2021 gefallen.
Die Energiewende ist also deutlich teurer als im Video behauptet. Auf die Schwankung der Energiepreise hat sie aber nur dann einen Einfluss, wenn zu wenig Strom aus erneuerbaren Energien oder dem Import zur Verfügung steht. Die dann entstehenden Kosten sind zum Großteil auf die gestiegenen Gaspreise zurückzuführen. Die Ursachen dafür kommen, wie von Habeck behauptet, zum größten Teil «von außen».
Wer wird subventioniert?
Weiter geht es mit Habecks Aussage «Wir haben Subventionen gestrichen.» Der Urheber will ihn auch hier der Lüge überführen, schließlich gebe es noch Subventionen, allein 50 Milliarden pro Jahr für Migration. Dazu 33 Milliarden Entwicklungshilfe pro Jahr, die unter anderem an China und Indien gehen.
Tatsächlich gibt es weiterhin Subventionen. Habeck hat aber auch nicht behauptet, dass alle diese Finanzhilfen abgeschafft wurden. In der laufenden Legislatur wurden Subventionen abgebaut, wenn auch aus Sicht des Bundesrechnungshofs nicht genug. Laut Subventionsbericht der Bundesregierung sind die Finanzhilfen und Steuerentlastungen mit 67,1 Milliarden Euro für das Jahr 2024 auch deutlich höher als noch 2021 (37,9 Milliarden Euro).
Der Punkt «Migration» taucht im Bericht nicht auf. Für eine Finanzhilfe, die unter anderem «zur Herstellung einer Willkommenskultur und Integration von ausländischen Auszubildenden, Flüchtlingen und Fachkräften», verwendet wird, waren für 2024 136,5 Millionen Euro angedacht. Weitere Subventionen aus diesem Bereich finden sich nicht. Die Gesamtkosten hingegen, die pro Jahr durch Flucht und Migration entstehen, liegen nach Berechnungen der «Welt» in dem genannten Bereich.
Entwicklungshilfe sogar höher als behauptet
Habeck hat also nicht über Subventionen gelogen, die Einblendung ist stark missverständlich formuliert und verwendet falsche Zahlen. Und die Entwicklungshilfe?
Deutschland zahlte 2023 35,05 Milliarden Euro Entwicklungshilfe, mehr als in der Einblendung behauptet. Zu den Empfängerländern gehören auch Indien und China. China erhält jedoch seit 2010 keine Entwicklungshilfe im klassischen Sinne mehr, sondern laut Ministerium nur noch «punktuell» für einzelne Projekte. So hat das Deutsch-Chinesische Zentrum für nachhaltige Entwicklung seit 2017 rund neun Millionen Euro erhalten.
Die Entwicklungshilfe für Indien besteht zum größten Teil aus Darlehen. Habeck hatte sich im Interview nicht zu Entwicklungshilfen geäußert.
Insolvenzen und Bürokratie
Als fünfte Lüge des Vizekanzlers identifiziert der Urheber die Aussage, die Wirtschaft werde durch den Klima- und Transformationsfonds unterstützt. Per Einblendung wird entgegnet: «Die Wirtschaft wird dadurch nicht unterstützt, sie wird durch immer höhere Abgaben und Bürokratie zerstört. Es gab 18,8 % mehr Insolvenzen als im Vorjahr.»
Der Klima- und Transformationsfonds beinhaltet Fördermaßnahmen für Unternehmen und Privatpersonen. Ein Problem mit Bürokratie gibt es unabhängig davon. Der Normenkontrollrat verzeichnet in den vergangenen zehn Jahren einen starken Anstieg des laufenden Erfüllungsaufwands.
Zahl der Insolvenzen in den vergangenen Jahren tatsächlich gestiegen
Bei der Anzahl der Insolvenzen ist unklar, auf welches Jahr sich der Urheber bezieht. Der genannte Anstieg stimmt für den November 2023 im Vergleich zum Vorjahresmonat. Für 2024 verzeichnet das Statistische Bundesamt einen Anstieg von 16,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, für 2023 einen Anstieg von 18,1 Prozent.
Keine höchsten Strompreise aller Zeiten
Die finale «Lüge», der Habeck hier überführt werden soll, ist seine Aussage, dass Verbraucherinnen und Verbraucher beim Strompreis entlastet würden. Dem hält der Urheber entgegen: «Die Bürger müssen durch grüne Energiepolitik mehr zahlen denn je.» Zum Zeitpunkt des Interviews wurden Verbraucher bei Energiekosten tatsächlich entlastet, denn die Mehrwertsteuer für Gas war reduziert und der Bund dämpfte die Strompreise mit einem Milliardenzuschuss.
(Stand: 23.1.2025)
Links
Video auf Facebook (archiviert)
Interview von Robert Habeck mit dem «heute journal» (archiviert)
Berichterstattung über Erhöhung der Ticketsteuer (archiviert)
Pressemitteilung zur Plastiksteuer (archiviert)
«Bild»-Bericht zur Plastiksteuer (archiviert)
ADAC zur CO2-Steuer (archiviert)
Tagesschau.de zur Ticketsteuer (archiviert)
Gesetz über einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen(archiviert)
Bekanntmachung des Gesetzes über einen nationalen Zertifikatehandel für Brenstoffemissionen (archiviert)
Biografie Robert Habeck (archiviert)
Bundesnetzagentur über Umsatzsteuer auf Gas (archiviert)
Berichterstattung über Mehrwertsteuer in Gastronomie (archiviert)
Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages zu den Kosten der Energiewende (archiviert)
Beschluss der Energiewende (archiviert)
Europäischer Rat über Anstieg der Energiepreise seit 2021 (archiviert)
Berichterstattung zu Stromimport wegen hohen Gaspreisen (archiviert)
Verivox Strompreisentwicklung (archiviert)
Bundesnetzagentur über Grund für gestiegenes Netzentgelt (archiviert)
Bundesrechnungshof zum Subventionsbericht der Bundesregierung (archiviert)
Subventionsbericht der Bundesregierung (archiviert)
«Welt»-Bericht über Kosten von Flucht und Migration (archiviert)
Gesamtsumme Entwicklungshilfe 2023 (archiviert)
Entwicklungszusammenarbeit mit China (archiviert)
Entwicklungszusammenarbeit mit Indien (archiviert)
Deutsch-Chinesisches Zentrum für Nachhaltige Entwicklung (archiviert)
Transparenzportal der Bundes (archiviert)
Überblick über den Klima- und Transformationsfonds 2024 (archiviert)
Jahresbericht des Normenkontrollrates (archiviert)
Statistisches Bundesamt über Insolvenzen im November 2023 (archiviert)
Statistisches Bundesamt über Insolvenzen 2024 (archiviert)
Statistisches Bundesamt über Insolvenzen 2023 (archiviert)
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