Unrealistische Szene

Aufnahme von Schwangerschaftsabbruch stammt aus Spielfilm

5.12.2024, 12:39 (CET)

Das Thema Abtreibung sorgt weltweit für Debatten. Ein Video soll angeblich einen Fötus zeigen, der bei einem Schwangerschaftsabbruch «unter Qualen leidet». Doch die Szenen sind nicht echt.

Hinweis: Die Links in diesem Artikel können verstörende Bilder enthalten

Befürworter des Rechts auf Abtreibung argumentieren, dass Frauen die Entscheidung über ihren eigenen Körper und ihre Lebensumstände treffen sollten. Gegner berufen sich auf den Schutz ungeborenen Lebens. Ein Video, das in diesem Zusammenhang auf Facebook verbreitet wird, soll nun die Ultraschallaufnahmen eines Schwangerschaftsabbruchs zeigen. Einem Post zufolge zeige es ein Baby, das «unter Qualen darum kämpft, der Pinzette eines Abtreibungsarztes zu widerstehen». Aber stammen diese Bilder wirklich von einer Abtreibung? Und kennt ein so kleiner Fötus wirklich «Qualen»?

Bewertung

Die Bilder stammen aus einem Spielfilm. Die angeblichen Ultraschallbilder zeigen somit keinen echten Schwangerschaftsabbruch. Das bestätigte eine Abtreibungsärztin der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Ein Fötus in diesem Stadium kann zudem noch keine Schmerzen oder Angst empfinden.

Fakten

Mithilfe einer Bilderrückwärtsuche lässt sich feststellen, dass das Video aus einer Szene des US-amerikanischen Spielfilms «Unplanned» stammt. Der Film wurde von dem evangelikalen Filmstudio «Pure Flix» produziert. Nach eigenen Angaben stellt die Firma Filme her, die «den Glauben, die Familie und das Heimatland feiern».

Expertin sieht bei Aufnahme kein Bezug zur Realität

«So etwas habe ich noch nie gesehen», erklärt Gabie Raven, medizinische Leiterin und Ärztin mehrerer Abtreibungskliniken, der dpa. Raven übt ihren Beruf seit über 30 Jahren aus und arbeitet bei Abtreibungen mit Ultraschallbildern. «Ein Fötus befindet sich in einem Ballon aus Fruchtwasser. Das ist das Schwarze auf den Bildern. Wenn man den Ballon durchsticht, fließt das Fruchtwasser sofort ab. Das sieht man hier nicht. Sie sind also gar nicht im Mutterleib mit diesem Instrument.»

In dem Film heißt es, der Fötus sei 13 Wochen alt. Die Abtreibung wird in der Szene mit einem Absaugrohr durchgeführt. Das wirkt laut Gabie Raven jedoch nicht sehr glaubwürdig. «Man saugt einen 13 Wochen alten Fötus nicht so einfach ab, wie es in diesem Film geschieht», so Raven. Außerdem habe sie noch nie zuvor gesehen, dass sich ein Fötus so bewegt. «Normalerweise sieht man sehr wenig Bewegung», sagt sie.

13 Wochen alter Fötus spürt weder Schmerz noch Angst

Der Film wurde wegen der falschen Darstellung heftig kritisiert. «Die Vorstellung, dass ein Fötus zucken oder Angst zeigen oder versuchen würde, vor einem Absaugrohr wegzulaufen, ist wirklich eine grobe Lüge», sagte die Gynäkologin und Abtreibungsärztin Jen Villavicencio kurz nach der Veröffentlichung des Films gegenüber der «HuffPost». «Alle Beweise sagen, dass das nicht möglich ist.»

Ein 13 Wochen alter Fötus sei zwar in der Lage, eine Art Reflex auf eine Berührung zu zeigen, erklärt auch Gabie Raven. Das sei aber noch nicht dasselbe wie Schmerz oder ein Bewusstsein für das, was passiert. «Wenn mich jemand davon überzeugen könnte, dass das wahr ist», sagt Raven und verweist auf das Filmmaterial, «würde ich sofort aufhören zu arbeiten.»

Es gibt zudem auch wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Föten vor der 26. Schwangerschaftswoche keine Schmerzen empfinden können. Demnach sind die erforderlichen Verbindungen, um Signale von sensorischen Nerven an das Gehirn zu senden, sowie die Gehirnstrukturen, die zur Verarbeitung dieser Signale benötigt werden, erst in oder nach der 26. Schwangerschaftswoche entwickelt.

Das britische Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG) kam nach einer Überprüfung der wichtigsten Studien seit 2010 zu dem Schluss, dass «die Beweise darauf hindeuten, dass die Möglichkeit einer Schmerzwahrnehmung vor der 28 Schwangerschaftswoche unwahrscheinlich ist».

Abtreibungen in Deutschland in der Regel vor der 13. Woche

Die Diskussion über Abtreibung auf das zu konzentrieren, was ein 13-Wochen-Fötus fühlen kann oder nicht, ist laut Raven ebenfalls nicht richtig. Es ist selten, dass eine Schwangerschaft so spät abgebrochen wird.

Tatsächlich fanden in Deutschland im Jahr 2023 etwa 97 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche vor der 12. Woche statt. In 78 Prozent der Fälle erfolgt die Abtreibung vor der 9. Woche. Der Fötus ist dann noch so wenig entwickelt, dass die Schwangerschaft mit einer Abtreibungspille abgebrochen werden kann. In den USA fanden 2021 45 Prozent der Abtreibungen in den ersten sechs Wochen statt und 93,5 Prozent vor oder in der 13. Woche.

In Deutschland regelt Paragraf 218 des Strafgesetzbuches den Schwangerschaftsabbruch. Grundsätzlich ist ein Schwangerschaftsabbruch nur in den ersten 12 Wochen nach Beginn der Schwangerschaft straffrei und bedarf einer Beratung. Nach dieser Frist ist ein Abbruch in besonderen Ausnahmefällen, wie etwa bei einer medizinischen oder kriminologischen Indikation möglich.

Wahrheitsgehalt von Filmgeschichte umstritten

Der Film «Unplanned» basiert auf einem autobiografischen Buch von Abby Johnson, der ehemaligen Leiterin einer Abtreibungsklinik in Bryan im US-Bundesstaat Texas. Die Geschichte erzählt unter anderem von der ersten Abtreibung, die Johnson mit eigenen Augen sieht und sich daraufhin gegen diese Praxis engagiert.

Doch es ist unklar, ob der Schwangerschaftsabbruch, den Johnson gesehen haben will, tatsächlich stattgefunden hat. Texanische Medien weisen auf mehrere Widersprüche in ihrer Geschichte hin. So behauptet Johnson beispielsweise, dass die Abtreibung am 26. September 2009 stattgefunden habe und der Fötus 13 Wochen alt gewesen sei.

Die Organisation «Planned Parenthood», die die Abtreibungsklinik betreibt, in der Johnson arbeitete, erklärte gegenüber «Texas Monthly», dass am Tag der angeblichen Abtreibung in der Klinik keine ultraschallunterstützten Abtreibungen stattfanden. Außerdem sei keine der Frauen, bei denen an diesem Tag ein solcher Eingriff vorgenommen wurde, länger als zehn Wochen schwanger gewesen.

(Stand: 3.12.2024)

Links

Informationen über «Planned Parenthood» (archiviert)

BzgA zu medikamentösen Schwangerschaftsabbruch (archiviert)

«Texas Monthly» über Film (archiviert)

«Texas Observer» über Film (archiviert)

Szene aus «Unplanned» (archiviert)

Regelungen zu Abtreibungen in Deutschland (archiviert)

Informationen über gesetzliche Regelungen (archiviert)

Studie über Schmerzempfinden von Föten (archiviert)

Informationen über «Pure Flix» (archiviert)

«Huffpost» über Film (archiviert)

«Guardian»-Kritik über Film (archiviert)

RCOG-Untersuchung zu Schwangerschaftsabbrüchen (archiviert)

Informationen über Abtreibungsgesetze in den USA (archiviert)

Zahlen zu Schwangerschaftsabbrüchen in den USA (archiviert)

Zahlen zu Schwangerschaftsabbrüchen in den USA II (archiviert)

Informationen über Abby Johnson (archiviert)

ABC News über Film (archiviert)

Statistik zu Abtreibungen in Deutschland (archiviert)

Facebook-Post (archiviert, Video archiviert)

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