Keine Aktion «über Nacht»

Der Bundestag änderte 2023 das Wahlrecht, nicht Olaf Scholz

26.11.2024, 16:22 (CET)

Hat der Bundeskanzler kurz vor der Neuwahl das Wahlrecht geändert? Das ist nicht nur frei erfunden, sondern hat auch nichts mit dem Ablauf der Gesetzgebung in Deutschland zu tun.

Am 23. Februar wählt Deutschland voraussichtlich einen neuen Bundestag. Die vorgezogene Neuwahl beschäftigen viele Menschen auch online. In einem Video heißt es über den Bundeskanzler: «UNGLAUBLICH! SCHOLZ ÄNDERT DAS WAHLRECHT!» Politiker hätten sich das «über Nacht ausgedacht», «jetzt auf einmal» gebe es das neue Wahlrecht.

Bewertung

Falsch. Bereits 2023 hat der Bundestag mit den Stimmen der Ampel-Koalition ein neues Wahlrecht beschlossen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Wahlrecht, abgesehen von einem Teilaspekt, für zulässig. Es gab also in den letzten Tagen oder Wochen keine Neuerung am Wahlrecht.

Fakten

Der Bundestag hat am 17. März 2023 eine Wahlrechtsreform beschlossen, die das Parlament verkleinern und dauerhaft auf 630 Abgeordnete begrenzen soll. Der Entwurf dazu stammte von SPD, Grünen und FDP, den Fraktionen der damaligen Ampel-Koalition. Während Grüne und FDP geschlossen für die Neuerungen stimmten, gab es bei der SPD zwei Nein-Stimmen und eine Enthaltung.

Es ist also falsch zu behaupten, Bundeskanzler Olaf Scholz habe das Wahlrecht geändert oder gar «manipuliert», wie es ebenfalls in dem kursierenden Video heißt. Alle drei Ampel-Parteien haben die Reform ausgearbeitet und der Bundestag hat darüber demokratisch abgestimmt.

Mit der Reform soll der zuletzt auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag ab der nächsten Wahl 2025 dauerhaft auf 630 Mandate schrumpfen. Um das zu erreichen, wird auf Überhang- und Ausgleichsmandate verzichtet. Diese blähten den Bundestag bisher auf. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei über Direktmandate mehr Sitze erringt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustünden. Sie durfte diese Sitze behalten, andere Parteien erhielten dafür Ausgleichsmandate.

Die Reform war umstritten. Denn nach den neuen Regeln könnte es künftig vorkommen, dass ein Bewerber zwar seinen Wahlkreis direkt gewinnt, aber trotzdem nicht in den Bundestag einzieht.

Zudem sollte eine strikte Fünf-Prozent-Klausel gelten. Die sogenannte Grundmandatsklausel sollte entfallen. Sie sorgt bisher dafür, dass Parteien auch dann in der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag einzogen, wenn sie unter fünf Prozent lagen, aber mindestens drei Direktmandate gewannen. Davon profitierte 2021 die Linkspartei.

Die Wahlrechtsreform passierte im Mai 2023 auch den Bundesrat - ging also den üblichen, rechtlich konformen Weg der Gesetzgebung. Union und Linkspartei sahen sich allerdings von der Reform benachteiligt und zogen vor das Bundesverfassungsgericht.

Ende Juli 2024 erklärte das Bundesverfassungsgericht dann die Aufhebung der sogenannten Grundmandatsklausel im neuen Wahlrecht für verfassungswidrig und setzte diese Regelung vorerst wieder in Kraft. Damit gilt sie bei der kommenden Bundestagswahl am 23. Februar erst einmal weiter. Die Begrenzung des Bundestages auf 630 Abgeordnete und den Wegfall der sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandate, haben die Karlsruher Richter dagegen bestätigt.

Deutschland hat somit ein gültiges Wahlrecht und steht nicht vor Änderungen, die erst kürzlich eingeführt wurden. Die Wahlrechtsreform war zwar umstritten, doch sie ging den vorgesehenen demokratischen Gang der Gesetzgebung und hatte auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand - bis auf die geplante Abschaffung der Grundmandatsklausel, die das Gericht wieder in Kraft setzte.

(Stand: 26.11.2024)

Links

Mitteilung des Bundestages zur Verabschiedung des neuen Wahlrechts (archiviert)

dpa-Bericht zur Wahlrechtsreform, veröffentlicht von «Zeit.de» (archiviert)

Mitteilung des Bundesrats zur Billigung der Wahlrechtsreform (archiviert)

Mitteilung des Bundesverfassungsgerichts zum Urteil im Juli 2024 (archiviert)

Youtube-Video mit Behauptung (archiviert)

Facebook-Beitrag mit der Behauptung (archiviert)

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