Anschlag in Solingen

«Tagesschau»-Reporter sprach auch über Islamismus

26.8.2024, 15:13 (CEST)

Der Messerangriff in Solingen war, wie inzwischen bekannt ist, wohl islamistisch motiviert. Kurz nach der Tat waren die Hintergründe aber noch unklar - was auch ein ARD-Reporter so schilderte.

Der mutmaßliche Terroranschlag in Solingen bewegt viele Menschen. Ein Angreifer hat dort am Freitagabend auf einem Stadtfest drei Menschen getötet und weitere zum Teil schwer verletzt. Schon kurz nach der Tat berichteten viele Medien direkt aus Solingen über den Messerangriff. Ein kurzes Video aus einer «Tagesschau»-Sendung vom Samstagmorgen ruft in den sozialen Netzwerken wütende und irritierte Reaktionen hervor: «Tagesschau-Journalist Rupert Wiederwald spekuliert über einen fremdenfeindlichen Anschlag in Solingen», heißt es. Tatsächlich zeigt das Video, wie der Reporter über ein solches mögliches Motiv spricht. Handelt es sich um eine Fehleinschätzung der «Tagesschau» oder gar eine bewusste Irreführung?

Bewertung

Hier fehlt Kontext. In dem kurzen Video ist nicht zu hören, dass der Reporter wenige Sekunden zuvor auch über ein mögliches islamistisches Motiv sprach. Die Einschätzung stammt vom Morgen nach der Tat. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Behörden noch nichts zu einem Tatverdächtigen oder zum Motiv mitgeteilt.

Fakten

Der acht Sekunden lange Videoclip stammt aus einer Schalte des ARD-Senders Tagesschau24 zu einem Reporter in Solingen. Das Gespräch wurde am Samstagmorgen geführt. Das zeigen zum einen die Zeitstempel im «Tagesschau»-Artikel, in dem das vollständige Video aufrufbar ist. Zum anderen passt der Schatten im Hintergrund des Reporters zu dem Sonnenstand ungefähr gegen 8.30 Uhr morgens am Klosterwall in Solingen.

Das vollständige Video auf der «Tagesschau»-Website zeigt auch, dass der kurze Clip auf irreführende Weise geschnitten wurde. Der Reporter schilderte, was zu diesem Zeitpunkt über den Messerangriff in Solingen bekannt war und gab unter anderem wieder, was die Behörden mitgeteilt hatten. In einer längeren Passage (ab Minute 6:22) geht es um die Formulierung «Anschlag». Als solchen, und nicht etwa als Amoktat, hatte die Polizei die Tat bereits in der Nacht auf Samstag bezeichnet.

«Von einem Terroranschlag kann man schlicht und ergreifend noch nicht sprechen, weil es einfach keine Erkenntnisse zur Motivlage gibt», sagt der Reporter. «Also, war das ein Anschlag, den man verübt hat, um beispielsweise islamistischen Terror zu vollbringen, oder war das ein Anschlag, den man verübt hat, weil man beispielsweise vielleicht gegen Ausländer ist? Also, da gibt es diverse Möglichkeiten, die dahinter stehen, und solange man nicht weiß, welche Motivlage dieser Täter hat, möchte man auch erst einmal nicht von einem Terroranschlag sprechen, weil man schlicht und ergreifend nicht das Motiv benennen kann.»

Reporter sprach auch von möglichem islamistischen Motiv

In der Einschätzung wird also auch ein mögliches islamistisches Motiv genannt. Beide Fälle, sowohl Islamismus als auch Fremdenfeindlichkeit, werden vom Reporter als mögliche Gründe genannt, aus denen die Tat von den Behörden als Terroranschlag eingestuft werden könnte.

Was war zu diesem Zeitpunkt über den Hintergrund der Tat bekannt? Die Polizei fahndete noch nach dem Täter, wie unter anderem aus einer Pressemitteilung vom frühen Samstagmorgen hervorgeht. Es gab auch keine von der Polizei veröffentlichte Täterbeschreibung. Die Boulevardzeitung «Bild» veröffentlichte am Samstagvormittag eine Beschreibung des Täters, nannte dafür aber keine Quelle.

Ein Tatverdächtiger stellte sich am Samstagabend in Solingen der Polizei. Ebenfalls am Samstagabend beanspruchte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in einer Mitteilung den Anschlag für sich. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte bereits kurz zuvor von einem «Akt des Terrors» gesprochen.

Tatverdächtiger Syrer soll IS angehören

Tatverdächtig ist ein 26 Jahre alter Syrer. Gegen ihn wurde am Sonntag Haftbefehl unter anderem wegen Verdachts einer IS-Mitgliedschaft und wegen Mordes erlassen. Laut Bundesanwaltschaft teile der Mann die Ideologie der Terrormiliz und habe sich ihr zu einem derzeit nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 23. August angeschlossen.

Wegen seiner radikal-islamistischen Überzeugungen habe er den Entschluss gefasst, auf dem Solinger Stadtfest eine möglichst große Anzahl aus seiner Sicht ungläubiger Menschen zu töten. In der IS-Mitteilung hieß es, der Angreifer habe die Attacke aus «Rache für Muslime in Palästina und anderswo» verübt. Der Angriff habe einer «Gruppe von Christen» gegolten.

Der Tatverdächtige soll Medienberichten zufolge im Jahr 2022 nach Deutschland gekommen sein und einen Asylantrag gestellt haben. Eine Abschiebung nach Bulgarien, wo er in die EU eingereist war, scheiterte demnach, da der Mann untergetaucht sein soll. Den Sicherheitsbehörden war er nach dpa-Informationen nicht als islamistischer Extremist bekannt.

Das geschnittene «Tagesschau»-Video wurde am Samstagmorgen von einem AfD-Politiker auf der Plattform X veröffentlicht und wenig später von einem weiteren Account verbreitet. Der WDR, für den der Reporter arbeitet, reagierte am Nachmittag via X und schrieb von einem «verkürzten und damit sinnentstellenden Schnitt der vollständigen Antwort, in der es zunächst um die Möglichkeit eines islamistischen Anschlags geht».

(Stand: 26.8.2024)

Links

«Tagesschau»-Artikel mit vollständigem Video (archiviert; Video archiviert)

Sonnenstand in Solingen am Samstagmorgen (archiviert)

Mitteilung der Polizei vom Samstagmorgen (archiviert)

«Bild»-Artikel (archiviert)

Mitteilung zur Festnahme des Tatverdächtigen (archiviert)

Mitteilung des Generalbundesanwalts vom Sonntag (archiviert)

Videoclip auf X (archiviert; Video archiviert)

Weiterer Beitrag auf X (archiviert; Video archiviert)

Antwort des WDR auf X (archiviert)

Beitrag auf Facebook (archiviert; Video archiviert)

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