Kinderkrankenhaus in Kiew

Arzt trägt andere Kleidung als Mann, der mit roter Flüssigkeit begossen wird

25.7.2024, 14:22 (CEST)

Beiträge im Netz legen nahe, dass Verletzungen nach dem Angriff auf eine Kinderklinik in Kiew inszeniert wurden. Doch ein Video, was das belegen soll, hat wenig mit der Realität zu tun.

Bei einem der heftigsten Angriffe auf Kiew war Mitte Juni eine Rakete in ein Gebäude auf dem Gelände des Kinderkrankenhauses «Ochmatdyt» eingeschlagen. Zwei Erwachsene, darunter eine Ärztin, wurden getötet. Die Ukraine, die UN und unabhängige Experten machen Russland für den Angriff verantwortlich, dafür gibt es nachprüfbare Belege. Doch in sozialen Medien verbreiten sich nach wie vor Behauptungen, dass alles ganz anders war: «Es ist ein Video aufgetaucht, in dem ein Polizist einen Arzt des Kinderkrankenhauses Okhmatdyt mit einem Blutbeutel übergießt», heißt es in einem Facebook-Beitrag. Von dieser Szene, bei der ein Mann mit ukrainischer Polizeiweste und ein Mann in weißer Kleidung zu sehen sind, wird auch ein Video gezeigt. Weiter heißt es in dem Facebook-Beitrag: «Anschließend verbreiteten sie in den westl. Medien Bilder eines blutüberströmten Kinderarztes, der Trümmer in einem Krankenhaus beseitigt». Begleitet wird das von einem Foto, das einen Mann in weißer Kleidung mit großem Blutfleck auf dem Rücken beim Weiterreichen von Trümmersteinen zeigt. Doch diese zwei Aufnahmen haben allen bekannten Informationen nach nichts miteinander zu tun.

Bewertung

Details der Kleidung und des Blutflecks, der in dem Video aufgetragen wird, passen nicht zu Kleidung und Blutfleck des ukrainischen Arztes auf Pressebildern vor Ort am angegriffenen Krankenhaus. Der Arzt bezeichnete die Behauptungen zudem als Fake und Propaganda.

Fakten

Der Arzt mit dem Blutfleck am Rücken ist auf Bildern und in Videos zu sehen, die kurz nach dem Angriff auf das Kinderkrankenhauses «Ochmatdyt» am 8. Juli von Medien veröffentlicht wurden. Er hilft dort etwa, Trümmer zu entfernen.

Betrachtet man das Video, in dem ein Mann mit Polizeiweste rote Flüssigkeit über einen Mann in Weiß schüttet, fallen Details auf, die nicht zu den Aufnahmen passen, die kurz nach dem Angriff am «Ochmatdyt»-Kinderkrankenhauses entstanden:

  • So hat etwa die weiße, blutbefleckte Kleidung des Arztes, der vor Ort in den Trümmern hilft, eine Naht, die quer über die Schulterblätter läuft. An dem weißen Oberteil des Mannes, der mit roter Flüssigkeit begossen wird, ist solch eine Naht nicht zu sehen.
  • Auch Form und Anordnung der roten Flecken sind nicht identisch.
  • Ebenso ist erkennbar, dass in dem Video beim Übergießen rote Spritzer auf der Hose landen. Diese wiederum sind auf der Hose des Arztes in den Krankenhaus-Trümmern nicht zu sehen.
  • Dafür hat seine Hose rechts eine Gesäßtasche - in dem Video ist eine solche nicht erkennbar.
  • Die Hosenbeine sind auf dem Foto vom Krankenhausgelände zudem viel länger als in dem Video, in dem der vermeintliche Polizist rote Flüssigkeit vergießt.

Gesichter nicht zu erkennen

All diese Details zeigen: Es handelt sich sehr sicher nicht um die gleiche Person. Nichts deutet darauf hin, dass das Video mit der Übergießen-Szene etwas mit dem realen Geschehen vor Ort am angegriffenen ukrainischen Kinderkrankenhaus zu tun hat. Da weder Gesichter der Personen erkennbar sind, noch der Ort der Aufnahme genauer zu erkennen ist, lassen sich die Urheber des Videos bisher nicht klären.

Der Name des Arztes, der auf den Fotos vor Ort zu sehen ist, lautet Oleh Holubtschenko. Er arbeitet als plastischer Chirurg am Kinderkrankenhaus «Ochmatdyt». Beim Raketeneinschlag sei er gerade in einem Operationssaal gewesen, sagte er in einem Videointerview mit der Nachrichtenagentur AP. «Als die Explosion passierte, habe ich nicht alles mitbekommen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich bereits auf dem Boden, etwa zwei bis drei Meter vom Tisch entfernt. Irgendwie war ich über den Tisch geflogen», berichtete Holubtschenko.

Er sei sofort aufgestanden und habe gefragt, ob es allen gut gehe. Dann habe er sich um die Beatmung des fünf Monate alten Kindes gekümmert, das gerade operiert worden sei. Einem weiteren Arzt zufolge, der in dem Beitrag ebenfalls interviewt wird, wurde Holubtschenko durch Glassplitter am Rücken verletzt - offenbar aber nicht schwer. Dies würde das Blut erklären.

Arzt nennt Video «sehr lächerlich und sehr traurig zugleich»

Holubtschenko hat in einem Beitrag auf Instagram selbst zu dem kursierenden Video Stellung bezogen. Er nennt die Szene, in der ein Mann von einem Mann mit einer Polizeiweste mit roter Flüssigkeit beschmiert wird, ein «Fake-Video». Er sei überrascht gewesen und habe zunächst gelacht, sich dann aber alles genau angesehen.

«Wie kann man so etwas tun, wenn du weißt, dass es umgekommene Ärzte gibt, dass es auf ein Kinderkrankenhaus ging? Wie kann man auf ein solches Propagandaniveau sinken?», fragt er in dem Instagram-Beitrag. «Am Anfang wurde gesagt, dass ich ein Arzt sei, dann ein Schauspieler, danach wurde nach zwei Wochen irgendein Fake-Video veröffentlicht. Daher ist das sehr lächerlich und sehr traurig zugleich.»

In Folge des Angriffs kamen zwei Erwachsene, darunter eine Ärztin, zu Tode. Die Ukraine und das UN-Menschenrechtsbüro machen Russland für den Raketenangriff verantwortlich. Auch unabhängige Experten kommen anhand von nachprüfbaren Belegen zu dem Schluss, dass die Zerstörung zu einem russischen Marschflugkörper passt - und ausdrücklich nicht zu einer ukrainischen Flugabwehrrakete, was Russland ohne Belege behauptet hatte.

(Stand: 24.7.2024)

Links

Foto des Arztes von der Nachrichtenagentur AP (archiviert)

Video, in dem der Arzt zu sehen ist (archiviert)

Video der Nachrichtenagentur AP mit Interview (archiviert, Video archiviert)

Instagram-Beitrag mit Stellungnahme des Arztes (archiviert, Video archiviert)

dpa-Faktencheck «Schaden an Kinderklinik in Kiew passt zu russischem Marschflugkörper»

Facebook-Beitrag mit der Behauptung (archiviert, Foto archiviert, Video archiviert)

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