Umweltbundesamt

Hochwasser-Grafik: Häufigkeit schwerer Fluten nicht ablesbar

11.6.2024, 15:32 (CEST)

Die jüngsten Hochwasser in Süddeutschland waren extrem. Fachleute erklären, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte. Und warum eine Grafik des Umweltbundesamtes nichts über den Klimawandel aussagt.

Im Frühsommer 2024 halten extreme Überflutungen Süddeutschland in Atem, erst im Januar war vor allem Norddeutschland besonders vom diesjährigen Winterhochwasser betroffen. Häufen sich solche Ereignisse? Dass dem nicht so ist, soll angeblich das Umweltbundesamt (UBA) verbreitet haben. In sozialen Medien wird behauptet, eine UBA-Grafik zeige, dass es «keine signifikanten Trends» bei den Pegelständen in Deutschland gebe.

Bewertung

Falsch. Die Grafik zeigt zwar tatsächlich Pegelstände, aber nur die an ausgewählten Flüssen. Kleine Gewässer wie etwa die Ahr, deren Hochwasser im Sommer 2021 mehr als 180 Menschen das Leben kostete, kommen gar nicht in den Daten vor. Von der Grafik auf die Abwesenheit des Klimawandels zu schließen, hält das UBA für «unseriös».

Fakten

Extreme Hochwasserereignisse wie im Frühsommer 2024 in Süddeutschland können zu schwerwiegenden Schäden führen. «Zu den extremsten Hochwassern kam es bisher in den Sommermonaten, wenn Starkregen oder Dauerregen dazu führen, dass die Landschaft das Wasser nicht mehr zurückhalten kann», schreibt das Umweltbundesamt unter seiner Grafik über die «Spitzenabflüsse in Fließgewässern».

«Die Grafik ist ein kleiner Teil aus dem Monitoringbericht 2023 zur deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel», erklärt das UBA auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Der in der Grafik dargestellte Indikator sei nur ein kleiner Teil des Monitoringberichts. «Von einem einzelnen Indikator mit Messreihen der Vergangenheit auf die Abwesenheit des Klimawandels zu schließen, wäre unseriös», heißt es vom UBA eindeutig.

Was die Grafik zeigt ...

An den UBA-Daten ablesbar sind extreme Pegelstände an ausgewählten Flüssen zwischen den Jahren 1961 und 2021. Der Indikator fokussiere «mit der vorgenommenen Pegelauswahl auf die Flusseinzugsgebiete mittlerer Größe», so das UBA.

Ausgewertet wurden dafür 75 Pegel in Deutschland. Die Balken in der Grafik zeigen aufgeteilt auf Sommer- und Winterhalbjahr, an wie vielen dieser Pegel (Anteil in Prozent) jeweils Hochwasser gemessen wurde - aufgeteilt in mittleres, großes und sehr großes Hochwasser.

Zum Beispiel kam es der Grafik zufolge im Sommerhalbjahr 1998 (1. Mai bis 31. Okotober) an mehr als 40 Prozent der ausgewählten Pegel zu sehr großem Hochwasser. Das bedeutet: Das langjährige Pegelmittel wurde an ihnen mindestens um das Zweieinhalbfache überstiegen. Weitere zusammen 20 Prozent der Pegel zeigten damals mittleres oder großes Hochwasser an. Seinerzeit war der Oktober extrem regenreich, deutschlandweit kam es zu massiven Überflutungen.

... und was sie nicht zeigt

«Der Indikator zu den Hochwassertagen erlaubt keine Aussagen zur Schwere der Hochwasserereignisse», klärt das UBA auf. Denn als Hochwassertage gelten alle Tage, an denen das langjährige Mittel des jeweiligen Pegels überschritten wurde - unabhängig davon, wie hoch diese Überschreitung ausgefallen ist.

Soll heißen: Teils gab es trotz langem Balken keine erkennbaren Schäden für Leib und Leben in Deutschland, in anderen Jahren wiederum zeigt die UBA-Grafik keine besonderen Auffälligkeiten, obwohl bestimmte Regionen in Deutschland unter Wasser standen - wie etwa beim Jahrhunderthochwasser an der Oder im Sommer 1997.

Was an der Grafik auch nicht abzulesen ist: Fluten an kleineren Gewässern. «Für kleinräumige Hochwasserereignisse oder Sturzfluten ist die Dichte der berücksichtigten Pegel nicht ausreichend», heißt es im Monitoringbericht (S. 77).

So wird etwa die Hochwasserkatastrophe im Ahr- und Erfttal im Sommer 2021 mit mehr als 180 Toten und immensen Schäden gar nicht in den Daten abbildet (S. 79). Denn die für dieses Gebiet relevanten Pegel werden für den UBA-Indikator nicht ausgewertet - sondern der Behörde zufolge (S. 9-12) nur in diesen Flussgebieten: Donau, Rhein, Maas, Weser, Ems, Elbe, Oder, Eider, Schlei, Trave, Warnow und Peene.

Umweltbundesamt: häufiger Starkregen

Kurzum: Anhand dieser UBA-Grafik lässt sich die Häufigkeit von extrem schweren Hochwassern mit großen Schäden in Deutschland weder belegen noch widerlegen. Wer etwas anderes behauptet, liegt falsch.

Das UBA nimmt an anderer Stelle aber explizit Stellung zu veränderten Extremwetterereignissen. Demzufolge lassen sich Klimaveränderungen «direkt mit dem Ausstoß von Treibhausgasen durch den Menschen in Verbindung bringen». Der Klimawandel geht demnach einher mit steigenden Durchschnittstemperaturen, einem höheren Meeresspiegel, stärkeren kurzfristigen Klimaschwankungen und häufigeren Extremwetterereignissen wie Starkregen, Dürren oder Hitzesommern.

Das heißt aber nicht, dass sich ein einzelnes Hochwasserereignis mit dem Klimawandel erklären ließe, schreibt das UBA (S. 77).

Hat der Klimawandel mit den Überschwemmungen zu tun?

«Man kann das Einzelereignis schwer auf den Klimawandel beziehen», sagt auch Fred Hattermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Aber: Fachleute etwa vom PIK oder von der World Weather Attribution meinen, dass extreme Regenfälle wegen des menschengemachten Klimawandels häufiger und intensiver geworden sind. Das gilt insbesondere auch für Europa. Deswegen würden in der Folge Überschwemmungen wahrscheinlich häufiger und heftiger ausfallen.

Andere Fachleute wie etwa vom Deutschen Wetterdienst (DWD) sind vorsichtiger. Bisher ergäben die Daten nur Tendenzen, aber sie seien noch nicht statistisch belastbar, sagt DWD-Klimaexperte Thomas Deutschländer der dpa.

Dem UBA zufolge (S. 77) beeinflussen neben dem Klimawandel zahlreiche andere Entwicklungen das Hochwassergeschehen: zunehmende Versiegelung und Bodenverdichtung in den Einzugsgebieten sowie Begrenzungen natürlicher Überflutungsflächen und Eindeichungen.

Künftig stärkere Regenfälle

Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen als kältere Luft. «Wo mehr Wasser reinpasst, kann auch mehr Wasser rausfallen. Das ist dann der Grund, warum wir auf das warme Wasser gucken», sagt Deutschländer. Dann gibt es künftig stärkere Regenfälle? «Aufgrund der Tatsache, dass mehr Feuchtigkeit in die Wolken reinpasst, würde ich sagen: Wir sollten als Menschen davon ausgehen, dass es dazu kommt.»

Auch im Monitoringbericht (S. 77) heißt es: «Mit der Erwärmung kann die Atmosphäre grundsätzlich mehr Wasserdampf speichern, also Feuchtigkeit aufnehmen, und das Potenzial für Starkregen nimmt zu.»

Hattermann vom PIK betont, dass diese Regenfälle nicht gleichmäßig verteilt fallen - es kommt darauf an, wie die weltweiten Winde die Niederschläge verteilen. In vielen Regionen komme es wegen des Klimawandels über längere Zeiträume auch zu stärkeren Dürren.

Wenn es nun regnet, dann oft intensiver. «Die Niederschläge, die wir insbesondere im Sommer sehen, sind häufiger Starkregen-Niederschläge», erklärt der PIK-Forscher. Dann gebe es wieder längere Perioden ohne Niederschläge. «Weniger geworden dagegen sind die schönen Landregen, die die Natur so richtig durchatmen lassen.»

(Stand: 10.6.2024)

Links

UBA über Spitzenabflüsse in Fließgewässern (archiviert)

UBA-Grafik über Spitzenabflüsse in Fließgewässern (archiviert)

UBA-Factsheet über Spitzenabflüsse in Fließgewässern (archiviert)

UBA über Klimawandelfolgen (archiviert)

Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel, zu Hochwasserereignissen: S. 76-79 (archiviert)

DWD über Niederschläge im Oktober 1998 (archiviert)

«Kachelmannwetter» über Fluten im Oktober 1998 (archiviert)

Bundesanstalt für Gewässerkunde über Hochwasser an der Oder 1997 (archiviert)

Facebook-Post mit Falschbehauptung (Post archiviert, Grafik archiviert)

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