Mess-Code fehlinterpretiert

Feuer in polnischer Mülldeponie - keine Giftwolke über Europa

17.05.2024, 16:23 (CEST)

Dass eine Mülldeponie brennt, ist an und für sich nichts völlig Ungewöhnliches. Manche nutzen eine solche Katastrophe aber für ihre Verschwörungsmythen. Wie jetzt bei einem Fall in Polen.

Nach dem Brand in einer Mülldeponie in Polen werden steile Behauptungen über das Ausmaß der Katastrophe in sozialen Medien verbreitet. «Giftwolke über Deutschland und Österreich», heißt es etwa in einem Video vom 13. Mai 2024. Chemikalien würden sich über die Luft verteilen, ohne dass darüber berichtet werde.

Bewertung

Falsch. Es gibt keine besonderen Auffälligkeiten bei der Luft- und Wassermessung. Darüber haben diverse Medien berichtet. Eine als Beleg angeführte Landkarte zur angeblichen Luftverschmutzung wird falsch gelesen.

Fakten

Am 10. Mai 2024 ist in der südpolnischen Stadt Siemianowice Slaskie nahe Kattowitz ein Feuer auf einer illegalen Mülldeponie ausgebrochen. Dort seien Plastikbehälter mit Chemikalien gelagert gewesen, schreibt die Stadt am Folgetag in einer Pressemitteilung.

Demnach haben die Rettungskräfte während der stundenlangen Brandbekämpfung auch die chemische Zusammensetzung des Rauchs und der Luft in der Umgebung analysiert und keine lebens- oder gesundheitsgefährdenden Stoffe gefunden. Dennoch wurde der Bevölkerung als Vorsichtsmaßnahme empfohlen, sich nicht im Freien aufzuhalten und Fenster und Türen zu schließen. Eine gigantische, schwarze Wolke war über der Stadt zu sehen. Der Brand sei noch am selben Tag unter Kontrolle gewesen.

Wie die überregionale Tageszeitung «Rzeczpospolita» am Tag des Unglücks berichtet, war der Brand auf rund 5000 Quadratmetern ausgebrochen. Die städtische Feuerwehr spricht von rund 230 Feuerwehrleuten, die das Feuer auf rund 6000 Quadratmeter gelöscht hätten. Auch der österreichische öffentlich-rechtliche Sender ORF hat über den Vorfall berichtet.

Was hat es mit der Rauchwolke auf sich?

Dem polnischen Nachrichtensender TVN24 gegenüber warnt am 13. Mai der Wissenschaftler des Instituts für Geowissenschaften an der Schlesischen Universität in Kattowitz, Wojciech Rykala, dass ein Feuer wie dieses eine langfristige Verschmutzung der umliegenden Umwelt verursachen könnte. Das ist eine hypothetische Aussage.

Und in der Praxis? An fünf Stationen in der Gegend wurde am Tag des Brandes und später Schwebstaub untersucht, sagt die Umweltschutzinspektorin der Region, Agata Bucko-Serafin, in einer Mitteilung der Stadt vom 13. Mai. Es seien keine überhöhten Konzentrationen von Benzol und Feinstaub festgestellt worden. Es ist also unbedenklich für die Menschen in Polen - und erst recht in Deutschland und Österreich.

Genauso wurde das Wasser nahe der Mülldeponie rund um die Uhr überprüft. Unmittelbar nach dem Brand habe es tatsächlich eine recht hohe Schadstoffbelastung gegeben, die aber durch schnelle Maßnahmen eingedämmt werden konnte, sagt Umweltschutzinspektorin Bucko-Serafin in einem Interview vom 15. Mai. «Wir haben kein Fischsterben beobachtet.»

Was hier erfunden wird

Trotz all dieser Informationen, mutmaßt ohne jegliche Belege ein Nutzer in seinem Video (ab 10:38 Min.) über den Vorfall: «Es ist Fakt, dass die Luft, die wir jetzt gerade aktuell einatmen, gefährlich sein könnte. Und es ist auch Fakt, dass das Wasser und die Luft in Polen selbst extrem kontaminiert sein könnte.»

Herangezogen für die unbelegte These wird eine Karte des chinesischen Projekts World Air Quality Index («aqicn.org»), auf der sich die angebliche Luftverschmutzung an bestimmten Messstationen ablesen lässt.

In Deutschland und Österreich hätten nach dem Brand in Siemianowice Slaskie sehr viele Stationen den gefährlichen Höchstwert von 500 angezeigt, wird behauptet. Doch wenn man tatsächlich einmal auf eine der entsprechenden Stationen klickt, zeigt sich: Der Wert 500 wird wie hier offensichtlich vergeben, wenn die Messstation aktuell «nicht verfügbar» ist.

Das erklärt auch, warum an vielen Stationen in der Nähe des Wertes 500 meist völlig unbedenkliche Werte im ein- oder niedrigen zweistelligen Bereich angezeigt sind.

Mit Blick auf die historischen Daten zum Beispiel der Messstation in der Lilienbrunngasse im Zentrum Wiens zeigt sich: Es gibt keine Auffälligkeiten - auch nicht unmittelbar nach dem 10. Mai.

Warum die Staatsanwaltschaft ermittelt

Wie die Stadt am 14. Mai mitteilt, ermittelt die Bezirksstaatsanwaltschaft in Siemianowice Slaskie wegen der Brandursache und der illegalen Lagerung von Abfällen oder Gefahrstoffen für Mensch und Umwelt.

(Stand: 17.05.2024)

Links

Stadt Siemianowice Slaskie über Brand (archiviert)

Stadt Siemianowice Slaskie über Ablauf der Brandbekämpfung (archiviert)

Stadt Siemianowice Slaskie über staatsanwaltliche Ermittlungen (archiviert)

Stadt Siemianowice Slaskie über Umweltbelastung (archiviert)

Feuerwehr Siemianowice Slaskie über Brand (archiviert)

X-Post der Bevölkerungswarnung (archiviert)

«Rzeczpospolita» über Mülldeponie-Brand (archiviert)

ORF-Bericht über Brand (archiviert)

TVN24-Bericht über Brand mit Stellungnahme Rykalas (archiviert)

Interview mit Umweltschutzinspektorin Bucko-Serafin (archiviert)

«aquin.org» über aktuelle Luftverschmutzung um Siemianowice Slaskie (archiviert)

Nicht verfügbare «aqicn.org»-Messstation mit Wert 500 (archiviert)

«aquin.org» über eigene Luftqualitätswerte (archiviert)

«aquin.org» mit historischen Messddaten der Lilienbrunngasse in Wien (archiviert)

Youtube-Video mit Falschbehauptung über Brand (archiviert)

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