Die Wendung ins Paradoxe fehlt
Kafka sagte nichts über Idioten in Parteien
30.5.2024, 17:17 (CEST)
Kritik an politischen Systemen und Missständen findet sich oft auch in der Literatur wieder. Manche Autoren gehen dabei subtiler, andere direkter vor - und werden in aktuellen Debatten zitiert. Der Schriftsteller Franz Kafka zum Beispiel hat angeblich sehr deutliche Worte für politische Parteien gefunden: «Ein Idiot ist ein Idiot. Zwei Idioten sind zwei Idioten. Zehntausend Idioten sind eine politische Partei.» Aber stammt das Zitat wirklich von Kafka?
Bewertung
Nein. Die Äußerung findet sich weder in seinen digital zugänglichen Texten, noch ist es Kafka-Experten bekannt. Ein Zitatforscher konnte eine ähnliche Formulierung auf einen italienischen Humoristen zurückführen.
Fakten
Franz Kafka war ein in Prag geborener deutschsprachiger Autor, zu seinen bekanntesten Werken gehören unter anderem «Die Verwandlung» oder «Der Prozess». Daneben sind zahlreiche Textfragmente, Briefe und Tagebücher von ihm erhalten.
Letztere wurden digitalisiert und sind auf einer Website der Universität Wien durchsuchbar. Dort ist ein solcher Ausspruch über Idioten und politische Parteien nicht zu finden. Einige Erzählungen und Textfragmente befinden sich auch im digitalen Archiv «Projekt Gutenberg». Dort wird eine Suche nach dem Zitat ebensowenig fündig.
Die Einschätzung von Kafka-Experten
Leben und Werk des Prager Autoren beschäftigen seit Jahrzehnten zahlreiche Literaturwissenschaftler. So zum Beispiel den Kafka-Biographen Reiner Stach. Er hat sich in drei Bänden
über 18 Jahre hinweg mit dem Autor auseinandergesetzt. «Dieses Zitat stammt natürlich nicht von Kafka.», stellte Stach auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) klar. «Er hat sich auch überhaupt niemals über irgendjemanden in dieser Weise geäußert.»
Professor Dr. Harald Neumeyer von der Universität Erlangen-Nürnberg forscht ebenfalls zu Kafkas Arbeit. «Mir ist dieses angebliche Zitat noch in keinem der von mir gelesenen Kafka-Texte begegnet», versicherte er der dpa. Außerdem entspräche die Aussage seiner Meinung nach nicht dessen Ausdrucksweise, «weil das für Kafka eigentlich typische Moment einer Wendung ins Paradoxe fehlt.»
Den falschen Zitaten auf der Spur
Wenn Kafka das also nicht gesagt hat, ist es dann frei erfunden? Auch nicht ganz: Eine Internetsuche führt zum Blog von Autor und Zitatforscher Gerald Krieghofer. Er hat sich ebenfalls schon mit dem angeblichen Kafka-Zitat befasst.
Seinen Recherchen zufolge geht die Aussage wohl auf einen italienischen Humoristen namens Leo Langanesi zurück. Anfang der 2000er Jahre sei das Zitat dann in einem satirischen Beitrag erstmals Kafka zugeschrieben worden. Das Internet übernahm den Rest und heute kursiert das Idioten-Zitat, das nicht von Kafka stammt, in den verschiedensten Sprachen.
«Die falschen Kafka-Zitate sind sehr, sehr beliebt», erklärte Krieghofer der dpa. Es würden ihm aber seltener Zitate untergeschoben als zum Beispiel Einstein, Goethe, Tucholsky oder Karl Valentin. Dabei gebe es solche Kuckuckszitate für jeden Lebensbereich, erklärte der Zitatforscher: Vom Motivationsspruch für die Managerrede bis zum Wohlfühlzitat.
Kritischer sieht Krieghofer solche Falschzitate im politischen Umfeld, wenn eine Aussage mehr Gewicht erhält, weil sie von jemand Berühmtem getätigt worden sein soll: «Ich finde einen falsch zugeschriebenen Kalenderspruch viel weniger problematisch als das Erschwindeln einer Autorität in einer politischen Debatte.»
(Stand: 30.5.2024)
Links
Sharepic mit Zitat (archiviert)
Website der Uni Wien mit Kafka-Texten (archiviert)
Kafka bei «Projekt Gutenberg» (archiviert)
Zur Kafka-Biographie von Reiner Stach (archiviert)
Prof. Dr. Harald Neumeyer, Deutsche Kafka-Gesellschaft (archiviert)
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