Falsches über von der Leyen

Video vergleicht völlig verschiedene Dokumente

22.4.2024, 17:50 (CEST), letztes Update: 22.4.2024, 17:53 (CEST)

Man kann Äpfel mit Birnen vergleichen. Doch daraus weit reichende Folgerungen abzuleiten, geht leicht schief. So geschehen bei einer Behauptung über die europäische Klimaschutz-Politik.

Ein Video, das ein Facebook-Nutzer in Luxemburg teilt, rechnet mit der EU-Politik in Sachen Klimaschutz ab. Der Sprecher in dem Video behauptet, dass «die Klimadebatte völlig faktenfrei und reine politische Agenda» gewesen sei. Das gehe aus einem neuen «Strategiepapier des EU-Parlaments» hervor. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und «das ganze EU-Parlament» hätten «zugegeben, dass die ganze Klimahysterie gelogen war». Bei genauerer Betrachtung merkt man: Hier geht einiges durcheinander.

Bewertung

Das angebliche Strategiepapier des EU-Parlaments gibt es nicht. Die Abgeordneten und von der Leyen haben auch keine Klima-Lüge zugegeben.

Fakten

Nach einer halben Minute heißt es in dem Video, «die EU» lege alle fünf Jahre ein Strategiepapier vor. Darin würden die «aller-allerwichtigsten politischen Themen» aufgelistet. 2019 habe das Klimathema noch «ganz oben» auf der Liste gestanden.

Als Beweis dafür zieht der Sprecher nicht ein eingangs erwähntes «Strategiepapier des EU-Parlaments» heran, sondern ein anderes Dokument über Prioritäten der Europäischen Kommission für die Jahre 2019 bis 2024. Das, sagt er, seien die Vorhaben der Euopäischen Union, also deren Strategiepapier. Anschließend vergleicht er dieses Papier mit dem derzeit in Brüssel kursierenden Entwurf für ein EU-Strategiepapier für die Jahre 2024 bis 2029.

Da liegt schon der erste dicke Fehler: Das Dokument zu den Jahren 2019-2024 ist nämlich keineswegs ein EU-Strategiepapier, sondern eine Absichtserklärung der heutgen Kommissionspräsidentin, mit der von der Leyen damals für ihr Amt kandidierte. Unter dem Titel «Eine Union, die mehr erreichen will - Meine Agenda für Europa» heißt es deshalb entsprechend: «Von der Kandidatin für das Amt der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen».

Das eigentliche Strategiepapier ist ein anderes

Das wirkliche Strategiepapier für die Jahre 2019-2024, das man mit dem Entwurf für das Strategiepapier der Jahre 2024-2029 vergleichen könnte, umfasst acht Seiten und ist unter dem Titel «Eine neue Strategische Agenda 2019-2024» im Juni 2019 veröffentlicht worden.

Die EU-Strategie wurde damals und wird auch 2024 vom Europäischen Rat festgelegt. Diesem Gremium gehören die Staats- oder Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten an. Präsident des Europäischen Rates ist Belgiens früherer Regierungschef Charles Michel. Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, darf an den Sitzungen des Europäischen Rates zwar teilnehmen, hat dort aber kein Stimmrecht.

Der Autor des Videos vergleicht also zwei völlig unterschiedliche Dokumente und stellt fest, dass im Papier der Kandidatin Von der Leyen das Wort «Klima» 18 mal auftaucht. Dann zieht er einen Artikel des Magazins Politico vom 11. April über den Entwurf für die EU-Strategie bis 2029 heran und teilt mit, dass in diesem Entwurf der Klimawandel oder der Umweltschutz gar nicht mehr vorkomme.

Tatsächlich hat «Politico» auf die Abwesenheit der Klimafragen in dem Strategie-Entwurf hingewiesen. Das haben auch Umweltorganisationen kritisiert. Greenpeace oder der WWF rügten, dass im Ratsentwurf von Charles Michel kaum noch von der Klimakrise die Rede sei. Dort heißt es lediglich, man müsse Innovation und Forschung auch im Bereich der Verteidigung fördern und Europa «auf dem Weg zur Klimaneutralität begleiten». Im richtigen EU-Strategiepapier für die Jahre 2019-2024 kam das Wort Klima immerhin acht Mal vor.

Michels Entwurf und von der Leyens Absichten

Der bisherige, nur zwei Seiten lange Entwurf Michels für die künftige EU-Strategie ist allerdings noch nicht das endgültige Papier. Über die tatsächliche Strategie soll der Europäische Rat nach weiteren Diskussionen im Juni 2024 entscheiden. Änderungen sind möglich und auch wahrscheinlich.

Vor allem aber - und das ist der zweite große Fehler - sagt der Ratsentwurf von Charles Michel nichts über die Absichten und Ansichten der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus. Schon gar nicht räumt von der Leyen eine wie auch immer geartete Lüge ein, nur weil in einem Entwurf ihres Ratskollegen Michel irgendwelche Aussagen zu dem Thema fehlen.

Genau das behauptet jedoch das Video: Es deutet die Tatsache, dass die Klimakrise im Ratspapier nicht mehr erwähnt wird, (ab 06:15) zu einem Eingeständnis um, dass die EU diese Krise als «fette Lüge» erfunden habe. Die EU mache «selbst eine 180-Grad-Wende und verbannt den Klimawandel von ihrer Agenda», behauptet der Sprecher und meint: «Wir wurden alle komplett verarscht.»

Auch die entsprechenden Vorwürfe an das Europaparlament entbehren jeder Grundlage. Das Parlament setzt sich immer wieder für mehr Klimaschutz ein und wurde dafür regelmäßig von Lobbyisten kritisiert. Entgegen den Behauptungen, die in Sozialen Netzwerken kursieren, haben die Abgeordeneten daher auch kein entsprechendes Strategiepapier mit von der Leyen veröffentlicht.

(Stand 22.04.2024)

Links

Facebook-Post (archiviert)

Video (archiviert)

Entwurf EU-Strategiepapier 2024 bis 2029 (archiviert)

Papier Von der Leyen (archiviert)

EU-Strategiepapier 2019-2024 (archiviert)

Politico (archiviert)

Greenpeace über Entwurf (archiviert)

Warnung von Umweltschützern (archiviert)

Beratungen im Europäischen Rat (archiviert)

EU-Parlament zum Klimaschutz (archiviert)

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