Lange vor Moskauer Anschlag

Interview mit Kyrylo Budanow entstand im Januar 2023

3.4.2024, 18:58 (CEST)

Alte Aussagen als aktuell zu präsentieren, ist ein gängiges Muster von Falschinformationen. So hat auch ein Video mit einem ukrainischen Geheimdienstchef nichts mit dem Moskauer Terroranschlag zu tun.

Nach dem Terroranschlag auf das Veranstaltungszentrum Crocus City Hall im Nordwesten Moskaus am 22. März wird die Zahl der Toten aktuell mit mindestens 144 angegeben. Mehr als 550 Menschen wurden verletzt. Es gebe auch immer noch Vermisste, hieß es in russischen Staatsmedien. Die Tat hat die Terrormiliz Islamischer Staat für sich reklamiert. In sozialen Netzwerken verbreiten sich jedoch nach wie vor Behauptungen, die eine Beteiligung der Ukraine andeuten wollen.

«Der ukrainische Geheimdienstchef Budanov hat gerade öffentlich erklärt, dass er "sehr froh" sei, den Crocus-Terroranschlag in Moskau zu sehen», heißt es etwa in einem Facebook-Beitrag. Dazu ist ein Video eines Interviews zu sehen, in dem der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR, Kyrylo Budanow, gefragt wird, was seine Reaktion sei, auch wenn er für den Vorfall keine Verantwortung übernehme. Doch dabei geht es nicht um einen aktuellen Fall.

Bewertung

Zeitlich falsch zugeordnet. Das Videointerview ist mehr als ein Jahr alt. Budanow hat sich hier nicht über den Terroranschlag in Moskau geäußert, sondern zu einem Angriff auf eine russische Militärbasis.

Fakten

Im Video ist oben rechts ein kleines Logo des US-Senders ABC News eingeblendet. Und tatsächlich findet sich bei dem Sender ein Bericht und ein Video des ABC-Interviews mit Kyrylo Budanow, dem Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes. Allerdings fand es lange vor dem Terroranschlag auf die Crocus City Hall statt. Die ABC News-Korrespondentin Britt Clennett interviewte Budanow bereits im Januar 2023.

Dabei fragte sie ihn nach einem Angriff auf einen Militärflugplatz im Süden Russlands Ende Dezember 2022, mehr als 500 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Der Militärflugplatz, auf dem Russland strategische Bomber für Raketenangriffe auf die Ukraine stationiert, wurde damals mehrfach attackiert. Beim ersten Angriff wurden nach russischen Militärangaben zwei Kampfjets leicht beschädigt, bei der zweiten Attacke starben drei Soldaten.

Die ABC-Journalistin Clennett fragt Budanow: «Was ist Ihre Reaktion auf den Angriff, auch wenn sie nicht die Verantwortung dafür übernehmen?» Budanow antwortet: «Ich bin sehr froh, dies zu sehen. Das ist meine Reaktion.» Auf die Frage, ob er glaube, es werde weitere Angriffe innerhalb Russlands geben, antwortet er, dass er das denke, und dass die Angriffe «tiefer und tiefer» innerhalb Russlands passieren würden.

Genau dieser Austausch verbreitet sich nun erneut. Er hat mit dem Terroranschlag in der Crocus City Hall nichts zu tun.

Bereits mehrfach reklamierte der IS die Tat bei Moskau für sich. Westliche Sicherheitsbehörden und Experten halten dies für glaubhaft und vermuten den IS-Ableger Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) hinter dem Anschlag. Trotzdem behaupteten Kremlchef Wladimir Putin und andere russische Vertreter schon kurz nach dem Anschlag ohne Vorlage von Beweisen, dass angeblich die Ukraine in das Verbrechen verwickelt sei. Die Ukraine, die sich seit mehr als zwei Jahren gegen einen russischen Angriffskrieg verteidigt, hat dies strikt zugewiesen.

Dem russischen Ermittlungskomitee zufolge sollen die Tatverdächtigen ausgesagt haben, dass ein unbekannter «Koordinator» die Terroristen per Sprachnachrichten auf Telegram nach dem Anschlag in Richtung der ukrainischen Grenze gelenkt und ihnen eine Belohnung in Aussicht gestellt haben soll, die sie demnach in der ukrainischen Hauptstadt Kiew erhalten sollten. Unabhängige russische Medien wiesen darauf hin, dass einige der festgenommenen Männer schwer verletzt im Gerichtssaal auftauchten und höchstwahrscheinlich von russischen Sicherheitskräften gefoltert worden waren. Auch russische Menschenrechtler haben sich entsetzt gezeigt und darauf hingewiesen, dass unter Folter erzwungene Geständnisse kaum einen Wert hätten.

(Stand: 3.4.2024)

Links

Artikel bei ABC mit Interview (archiviert)

Videointerview bei Youtube (archiviert)

dpa-Bericht über russische Vorwürfe zu Terrorangriff, veröffentlicht von «boerse-frankfurt.de» (archiviert)

dpa-Bericht über Angriffe auf russischen Militärflugplatz im Dezember 2022, veröffentlich von der «Berliner Zeitung» (archiviert)

X-Beitrag mit dem Video (archiviert, Video archiviert)

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