Statistik verkehrt ausgewertet
Falsche Prozentzahlen zu Tätern mit und ohne deutschen Pass
15.3.2024, 12:14 (CET)
In Diskussionen über Migration wird immer wieder auch die Kriminalitätsstatistik herangezogen. In einem Beitrag auf Facebook wird behauptet, im Bundesland Niedersachsen habe im Jahr 2023 «fast die Hälfte aller Tatverdächtigen (48,3 Prozent) (...) eine ausländische Staatsbürgerschaft» gehabt. Über andere Bundesländer werden ähnliche Aussagen gemacht. Stimmen sie?
Bewertung
Hier liegen mehrere falsche Berechnungen und falsch interpretierte Zahlen vor. In Niedersachsen beträgt der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen nur rund ein Drittel und nicht fast die Hälfte. Die fehlerhafte Angabe wurde zuerst auf einer Website veröffentlicht, dort aber später korrigiert. Auch für Rheinland-Pfalz wurden falsche Zahlen genannt - und zunächst nirgends richtiggestellt.
Fakten
Die Beiträge gehen auf die polizeiliche Kriminalstatistik aus Niedersachsen für das Jahr 2023 zurück. Das Innenministerium in Hannover hat diese im März 2024 veröffentlicht (Download-Link). Auf einer Seite werden Angaben zur Nationalität von Tatverdächtigen gemacht.
Doch mit den Zahlen ist im Netz eine falsche und irreführende Berechnung durchgeführt worden. Zuerst kursierte diese in einem Nachrichtenartikel unter der Überschrift «Alarm in zwei Nord-Bundesländern: Zum ersten Mal sind die Hälfte aller Kriminellen Ausländer». Gemeint sind hier Niedersachsen und Hamburg.
Ein Nutzer der Plattform X machte als erster darauf aufmerksam, dass diese Schlussfolgerung und die genannten Zahlen falsch sind. Inzwischen ist der Artikel mehrfach überarbeitet und korrigiert worden. Auf Facebook kursieren die falschen Zahlen aber weiterhin. Auch ein X-Beitrag enthält die Falschbehauptung immer noch.
Der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen Niedersachsen wurde in der ursprünglichen Fassung des Texts mit 48,3 Prozent angegeben. Doch das ist falsch. Die Zahlen in der offiziellen Statistik ergeben lediglich einen Anteil von 32,6 Prozent.
Falsche Bezugsgröße gewählt
Hintergrund ist ein einfacher Denkfehler bei der Berechnung: Die vom Innenministerium angegebene absolute Zahl der ausländischen Tatverdächtigen (74 168) wurde mit einer falschen Bezugsgröße ins Verhältnis gesetzt, nämlich mit der Zahl der deutschen Tatverdächtigen (153 428). Würde man so rechnen, käme man auf die behaupteten 48,3 Prozent.
Um den Anteil korrekt zu ermitteln, muss man als Bezugsgröße aber die Gesamtzahl heranziehen, also die deutschen plus die ausländischen Tatverdächtigen (227 596). Das Ergebnis sind dann rund 32,6 Prozent.
Es gibt zwei weitere Fehler: Auch die angegebene Vergleichszahl für das Jahr 2019 ist falsch. Damals lag der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen bei 27,2 und nicht bei 37 Prozent. Der Anteil der Flüchtlinge (nicht: Asylbewerber) an den Tatverdächtigen lag 2023 bei 8,2 und nicht bei 11 Prozent. In der niedersächsischen Statistik wird der Sammelbegriff «Flüchtlinge» verwendet, der nicht nur Asylbewerber, sondern weitere Personengruppen umfasst.
Im Text und in den Beiträgen auf Facebook ist zudem von «Kriminellen» die Rede. Zu beachten ist jedoch, dass die niedersächsische Kriminalstatistik nur Aussagen über Tatverdächtige trifft - nicht über verurteilte Straftäter.
Rheinland-Pfalz: Falsche Prozentzahl bei Morden
Auch zu Rheinland-Pfalz werden falsche Zahlen genannt. Dort wurden im Jahr 2023 Morde nicht «zu 44,4 Prozent von Ausländern begangen», sondern zu rund 26,7 Prozent: Und zwar in 4 von insgesamt 15 Fällen, wie aus den Zahlen der rheinland-pfälzischen Polizei hervorgeht. Zugleich waren 33,3 Prozent der Mordopfer keine Deutschen.
Der Anteil von 44,4 Prozent (Download-Link, Zeile 79) bezieht sich auf Tatverdächtige, nicht auf aufgeklärte Fälle. Genauso verhält es sich mit dem Tatbestand der Vergewaltigung im besonders schweren Fall: Der Ausländeranteil von 55,6 Prozent bezieht sich auf Tatverdächtige. Bei den Tatbeständen gefährliche Körperverletzung und räuberischer Diebstahl sind die Prozentanteile korrekt auf Tatverdächtige bezogen.
Bei allen Straftaten war der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen von 37,4 Prozent im Jahr 2023 zudem nicht der Rekordwert: Dieser wurde in Rheinland-Pfalz im Jahr 2016 mit 38,3 Prozent erreicht. Die Zunahme der Sexualstraftaten um 126,6 Prozent gegenüber dem Jahr 2017 erklärt die Polizei vor allem damit, dass zunehmend wegen der Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten ermittelt worden sei.
Die falschen Angaben über Rheinland-Pfalz fanden sich weiterhin auch in dem Artikel, dessen Abschnitt über Niedersachsen korrigiert wurde.
Hamburg und Hessen: Mehr Ausländer in Gesamtbevölkerung
Der für Hamburg genannte Anteil von Tatverdächtigen ohne deutschen Pass von 49,6 Prozent ist korrekt wiedergegeben und stellt gegenüber dem Jahr 2022 einen Anstieg um 13 Prozent dar. Allerdings weist das Landeskriminalamt darauf hin, dass der Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung fast im gleichen Maß gestiegen ist, und zwar um 14 Prozent. Das relativiere den Anstieg der nichtdeutschen Tatverdächtigen, so das LKA.
Ebenso ist in Hessen, das auch im Text erwähnt wird, nicht nur die Zahl der von Zuwanderern verübten Straftaten gestiegen, sondern auch der Ausländeranteil an der Bevölkerung.
Wie ist der Trend in ganz Deutschland? Bezogen auf Gewaltkriminalität teilte das Bundeskriminalamt im vergangenen November mit, dass Delikte im ersten Halbjahr 2023 deutlich zugenommen haben, und zwar um 17 Prozent. Das BKA nennt vor allem soziale und wirtschaftliche Gründe für den Anstieg, zum Beispiel Folgen der Corona-Pandemie und die Preissteigerungen. Auch die Zuwanderung und der steigende Ausländeranteil wirken sich demnach aus. Schutzsuchende haben laut BKA Risikofaktoren, die Gewalt wahrscheinlicher machen, zum Beispiel die Lebenssituation in Erstaufnahmeeinrichtungen, wirtschaftliche Unsicherheit und Gewalterfahrungen.
(Stand: 15.3.2024)
Links
Kriminalstatistik Niedersachsen 2023 (Download-Link) (archiviert)
Hinweis auf Fehler via X (archiviert)
«Übermedien» über Korrekturen am Artikel (archiviert)
X-Beitrag mit Falschbehauptung (archiviert)
Kriminalstatistik Rheinland-Pfalz 2023 (archiviert)
Zeitleiste zur Kriminalität in Rheinland-Pfalz (Download-Link) (archiviert)
Kriminalstatistik Hamburg 2023 (archiviert)
Kriminalstatistik Hessen 2023 (archiviert)
Statista: Ausländeranteil in Hessen (archiviert)
BKA über Gewaltkriminalität 2023 (archiviert)
Artikel mit falschen, nur zum Teil korrigierten Zahlen (archiviert)
Über dpa-Faktenchecks
Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.
Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.
Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.
Schon gewusst?
Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.