Kriminalitätsstatistik
Bild der Gewalt gegen Flüchtlinge und Deutsche unvollständig
13.2.2024, 12:02 (CET), letztes Update: 13.2.2024, 13:21 (CET)
Eine Grafik über Straftaten von Deutschen an Zugewanderten und anders herum macht derzeit mit viel Empörung in sozialen Medien die Runde. Mit den Zahlen der Kriminalitätsstatistik aus den Jahren 2016 bis 2022 wird der Anschein erweckt, dass zugewanderte Menschen häufiger Straftaten wie Mord und Totschlag begingen. Doch der Grafik fehlt entscheidender Kontext.
Bewertung
Die größte Gefahr für Menschen in Deutschland geht weiterhin von deutschen Tatverdächtigen aus. Die ausgewählten Zahlen aus der Kriminalstatistik lassen keinen allgemeinen Vergleich der Gewaltbereitschaft von Zuwanderern und Deutschen zu. Zu beachten ist auch die Zusammensetzung der Bevölkerung - mit Blick auf Täter sowie Opfer.
Fakten
Die Statistik scheint zunächst simpel zu sein: Es werden bestimmte Straftaten von Zugewanderten an Deutschen und von Deutschen an Zugewanderten gegenüber gestellt.
Doch um die richtigen Schlüsse daraus ziehen zu können, gilt es einige Fallstricke zu umgehen. Dieser Faktencheck betrachtet ausschließlich den Straftatbestand der Tötungsdelikte. Darunter fallen Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen.
Woher die Zahlen stammen
Die Zahlen veröffentlicht das Bundeskriminalamt (BKA) jedes Jahr im Bundeslagebild «Kriminalität im Kontext von Zuwanderung», zuletzt für 2022 (S. 23). Ist im Bundeslagebild die Rede von «Zuwanderern», zählt das BKA nur Menschen mit dem Aufenthaltsstatus «Asylbewerber», «Schutzberechtigte und Asylberechtigte, Kontingentflüchtling», «Duldung» oder «unerlaubter Aufenthalt» dazu, keine anderen Ausländer. Deutsche sind Menschen mit deutschem Pass.
Für die nun in sozialen Medien verbreitete Grafik wurden die Angaben der sieben Jahren zwischen 2016 und 2022 addiert:
- Die jährlichen Statistiken zeigen tatsächlich zusammengenommen 930 deutsche Opfer von Straftaten, bei denen mindestens ein Zuwanderer oder eine Zuwanderin als Tatverdächtige galten. Jedoch anders als in der verbreiteten Grafik angegeben, setzt sich dieser Wert aus Versuchen plus den 191 vollendeten Tötungsdelikten zusammen.
- Demgegenüber stehen 329 Opfer von Tötungsdelikten in der Gruppe der Zugewanderten, bei denen mindestens ein Deutscher oder eine Deutsche tatverdächtig war. 17 davon sind als vollendet in die Statistik eingelaufen.
Was die Grafik nicht zeigt
Wie viele Deutsche Opfer von Deutschen werden, wird hingegen nicht angegeben - auch nicht im BKA-Bundeslagebild selbst. Doch geht von den eigenen Landsleuten eine viel höhere Gefahr für Leib und Leben aus. «Deutsche richten Taten überproportional häufig gegen andere Deutsche», schreibt das BKA bereits im Dezember 2023 der Deutschen Presse-Agentur. Den damaligen Angaben zufolge sehen die Werte für das Jahr 2022 wie folgt aus:
- Deutsche Opfer bei Straftaten mit mindestens einer deutschen Person als Tatverdächtige: 1286
- Zugewanderte Opfer mit mindestens einer deutschen Person als Tatverdächtige: 89
- Deutsche Opfer mit mindestens einer zugewanderten Person als Tatverdächtige: 120
- Zugewanderte Opfer mit mindestens einer zugewanderten Person als Tatverdächtige: 167
Darüber hinaus denkbare Fallkonstellationen werden im Bundeslagebild gar nicht gezeigt. Zum Beispiel werden in der BKA-Statistik keine Aussagen getroffen über Ausländer, die nicht den Aufenthaltsstatus «Asylbewerber», «Schutzberechtigte und Asylberechtigte, Kontingentflüchtling», «Duldung» oder «unerlaubter Aufenthalt» besitzen. Aber auch diese sind in Deutschland Opfer oder Tatverdächtige von Straftaten.
Es tauchen also keine Fälle auf, bei denen Deutsche oder Zugewanderte ausländische Staatsbürger töten, die sich etwa als Touristen, Bürger anderer EU-Staaten oder Gaststudierende in Deutschland aufhalten.
Genausowenig ist aus dem Bundeslagebild herauszulesen, wie häufig zum Beispiel Deutsche straffällig werden, wenn sie sich im Ausland aufhalten - also etwa im Urlaub jemandem nach dem Leben trachten.
Demografische Spielereien
Zuweilen wird mit der verbreiteten Grafik argumentiert, im Vergleich zum Anteil an der Bevölkerung in Deutschland seien Zugewanderte bei den Tatverdächtigen überrepräsentiert. Denn Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft stellen etwa 85 Prozent der Bevölkerung, Zuwanderer nur rund 3,7 Prozent.
Man könnte aber ebenso argumentieren, dass Zugewanderte im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung auch bei der Zahl der Opfer überrepräsentiert sind. Denn werden die oben genannten vier Fallkonstellationen zusammengerechnet, sind es mehr als 3,7 Prozent.
Also: Die Bevölkerungsverteilung hat genauso Einfluss auf der Opfer-Seite. Denn die Chance, auf der Straße auf einen Deutschen zu treffen (und womöglich gegen ihn eine Straftat zu begehen), ist der demografischen Verteilung zufolge rund 23 Mal höher, als einem Zuwanderer zu begegnen. Es ist daher nicht völlig verwunderlich, dass bei einem hohen Anteil Deutscher an der Bevölkerung die Deutschen auch einen größeren Anteil an den Opfern von Straftaten stellen.
Was es mit den «vollendeten Taten» auf sich hat
Häufig verbreitet sich der Irrtum, Opfer einer vollendeten Tat im Deliktbereich Mord und Totschlag seien gestorben. Doch das ist falsch. Das BKA erfasst bei einem vollendeten Delikt alle von ein und derselben Tat betroffenen Opfer - also auch diejenigen, die gegebenenfalls im Zuge dieser Tat, bei der mindestens ein Mensch getötet wurde, nur leicht verletzt wurden.
Für das Jahr 2022 hat das BKA der dpa folgende Auskunft gegeben: Von den 12 deutschen Opfern einer vollendeten Tat mit mindestens einem tatverdächtigen Zuwanderer wurden 11 tatsächlich tödlich verletzt. Bei den tatverdächtigen Deutschen sind alle 5 Opfer, die der Gruppe der Zuwanderer zuzuordnen sind, tödlich verletzt worden.
Hinweis: Der Einstieg in den Faktencheck wurde neu formuliert und ein Link zum Nachweis der Behauptung aktualisiert.
(Stand: 12.02.2024)
Links
Bundeslagebilder «Kriminalität im Kontext von Zuwanderung»: Hauptseite (archiviert), 2022 (archiviert), 2021 (archiviert), 2020 (archiviert), 2019 (archiviert), 2018 (archiviert), 2017 (archiviert), 2016 (archiviert)
Statistisches Bundesamt über Bevölkerung in Deutschland (archiviert)
Mediendienst Integration über Anzahl der Flüchtlinge in Deutschland (archiviert)
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