Drohung erfunden
US-Verteidigungsminister skizziert möglichen Nato-Bündnisfall
5.1.2024, 13:55 (CET), letztes Update: 9.1.2024, 10:40 (CET)
Finanzielle Hilfen und militärische Ausrüstung in Milliardenhöhe haben die Vereinigten Staaten der Ukraine zur Verteidigung gegen den russischen Angriff zukommen lassen. In sozialen Netzwerken kursiert die Meldung, US-Verteidigungsminister Lloyd Austin habe in einer Sitzung des Repräsentantenhauses den Anwesenden damit gedroht, ihre «Onkel, Cousins und Söhne in den Kampf gegen Russland» zu schicken, sollten die Ukraine und ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj kein weiteres Geld erhalten. Hat er das wirklich gesagt?
Bewertung
Nein. Austin sprach von dem hypothetischen Szenario, dass ein Sieg Russland dazu veranlassen könnte, auch Nato-Mitgliedsstaaten anzugreifen. In diesem Falle wäre eine militärische Reaktion der USA gemäß des Nordatlantikvertrags geboten.
Fakten
Die Behauptung stammt ursprünglich von Tucker Carlson, einem ehemaligen Moderator des amerikanischen Fernsehsenders Fox News, der für Verschwörungstheorien und Falschmeldungen bekannt ist. Dieser schrieb von einer nicht-öffentlichen Sitzung im Repräsentantenhaus, bei der Verteidigungsminister Austin diese Drohung angeblich ausgesprochen habe. Quellen nennt Carlson nicht.
Möglichkeit eines Bündnisfalls
Berichterstattung zu Aussagen des Verteidigungsministers findet sich ausschließlich auf der amerikanischen Nachrichten-Website «The Messenger». Dort ist von einer Drohung aber nichts zu lesen. Vielmehr soll Austin in seiner Ansprache bei Ausbleiben der Hilfsmittel vor dem Risiko gewarnt haben, dass Russland im Falle eines Sieges auch andere Länder angreifen könnte. Es sei dann «sehr wahrscheinlich», dass US-Truppen nach Europa entsandt werden müssten, so der Bericht weiter.
Auch Carlsons vormalige Kollegin bei Fox News, Jennifer Griffin, widersprach seiner Analyse. Unter Berufung auf zwei bei der Besprechung anwesende Personen schrieb sie auf X (vormals Twitter) Austin habe davor gewarnt, dass Putin nicht bei der Ukraine Halt machen werde. Wenn Russland in Nato-Territorium eindringe, könnten US-Truppen zum Kampf herangezogen werden.
Dabei geht es um ein Szenario, in dem Artikel 5 des Nordatlantikvertrags greifen würde: der sogenannte Bündnisfall. Sollte Russland einen Nato-Mitgliedstaat angreifen, müssten die Vertragsstaaten dort gegebenenfalls auch militärische Hilfe leisten. Doch selbst dies würde nicht zwangsläufig eine Truppenentsendung bedeuten. In dem Vertrag ist es jedenfalls nicht explizit vorgesehen.
Position der Regierung Biden
Mit seiner Äußerung gab Verteidigungsminister Austin lediglich die Haltung der Regierung zum Angriffskrieg Russlands wieder. In einer Rede Anfang Dezember 2023 betonte auch US-Präsident Joe Biden, dass Putin deutlich gemacht habe, dass er nach einer Übernahme der Ukraine nicht aufhören werde. Darum sei es so wichtig, dass Russland nicht gewinne, auch im eigenen nationalen Interesse.
Im US-Kongress wird seit Wochen die Freigabe neuer Hilfsgelder für die Ukraine blockiert. Biden hatte vergeblich appelliert, die Mittel noch vor der Weihnachtspause zu bewilligen. Ende Dezember 2023 wurde bekannt gegeben, dass die Vereinigten Staaten rund 225 Millionen Euro bereitstellen würden. Der Streit im Kongress war zu diesem Zeitpunkt noch nicht beigelegt, die Aussichten auf weitere Zahlungen damit ungewiss.
Nach Angaben des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel haben die USA der Ukraine bis Ende Oktober 2023 militärische, finanzielle und humanitäre Hilfe von mehr als 71 Milliarden Euro zukommen lassen, um sich gegen den russischen Angriff zu verteidigen.
(Stand: 5.1.2024)
Links
Beitrag auf X von Carlson (archiviert)
dpa-Artikel über Carlson (via «Zeit») (archiviert)
Beitrag auf X von Griffin (archiviert)
Artikel 5 des Nordatlantikvertrags (archiviert)
Biden-Rede über Ukrainehilfen (archiviert)
«Zeit»-Artikel zu Ukrainehilfen der USA (archiviert)
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