Deutschland ist souverän
Fantasievoller Eintrag auf UN-Anmeldeseite beweist nichts
18.12.2023, 16:31 (CET)
Ein Screenshot, der von «der offiziellen Webseite der UNO» stammen soll, geistert derzeit durch soziale Netzwerke. Auf einem Formular geht es darin um die Bundesrepublik Deutschland, wie in der Zeile «Organization's name» eingetragen ist. Als «früherer Name» ist dann «Besatzungszone URS/USA/GBR/FRA» vermerkt und als Sprachen «Yiddish, English, German». Für Verbreiter dieser Abbildung ist die Sache klar: «UNO bestätigt offiziell die heutige Besatzung Deutschlands!» Geht das wirklich aus diesem Eintrag hervor?
Bewertung
Nein. Die irreführenden Angaben stammen aus dem öffentlich zugänglichen Anmeldeformular einer UN-Abteilung. Die Vereinten Nationen erkennen damit ausdrücklich überhaupt nichts an. Vielmehr führen sie Deutschland in einer offiziellen Liste der Mitgliedsländer als souveränen Staat.
Fakten
Der Screenshot, der als Beweis für die Falschbehauptung angeführt wird, stammt von einer Seite der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (UN Department of Economic and Social Affairs). Ein Link im Facebook-Post führt auf diese Seite. Diese Abteilung (ECOSOC) befasst sich vor allem mit der Verwirklichung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung.
Neben dem Verweis auf die vier alliierten Siegermächte von 1945 fallen noch andere Absonderlichkeiten des Eintrags auf: Als Adresse des «Hauptquartiers» der «Organisation» wird die Adresse des Bundespresseamtes in Berlin genannt. Außerdem steht die Bundesrepublik in der Rubrik «Art der Organisation» als «Nichtregierungsorganisation» in dem Formular, das der Anmeldung verschiedenster Organisationen bei der ECOSOC dient.
Diese UN-Abteilung legt großen Wert auf die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Interessenvertreter, vor allem also von Verbänden und anderen Organisationen. Ende 2022 hatten den UN-Angaben zufolge 6343 Nichtregierungsorganisationen (NROs/NGOs) bei ECOSOC einen «aktiven Beraterstatus». Die Organisationen haben nach ihrer Registrierung Zugang zu ECOSOC und anderen UN-Unterorganisationen, einschließlich bestimmter Veranstaltungen und Konferenzen.
«Beraterstatus» beantragt, aber nicht erteilt
Jede Organisation kann diesen «Beraterstatus» beantragen. In dem Online-Formular kann allerdings auch Unsinn eingetragen werden. So wird in dem abgebildeten Eintrag angegeben, die 1949 gegründete Nichtregierungsorganisationen Bundesrepublik Deutschland habe 81,8 Millionen Mitglieder und finanziere sich über «Mitgliedsbeiträge der Mitglieder der BRD, die Steuern genannt werden» («fees by members of FRG called «Steuern»»).
Aus dem Formular geht aber auch hervor, dass die Vereinten Nationen diese «Organisation» nicht als Berater akzeptiert haben: «Diese Organisation hat keinen beratenden Status beim ECOSOC», heißt es dort. Auch die Suche in der Datenbank, in der sämtliche Organisationen mit Beraterstatus aufgeführt sind, findet sich eine «Nichtregierungsorganisation» Bundesrepublik Deutschland nicht.
Außerdem ist bei dem Screenshot, der im Internet kursiert, oft der obere Teil der UN-Webseite abgeschnitten. Warum wohl? Dort steht, mit roter Schrift als besonders wichtig hervorgehoben: «Ein Profil in dieser Datenbank und auf dieser Website stellt an sich keine Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen dar, es sei denn, eine solche Zugehörigkeit wird ausdrücklich angegeben, z. B. durch Angabe der Art des ECOSOC-Beratungsstatus einer NGO.»
Deutschland steht auf der UN-Liste souveräner Staaten
Der tatsächlich existierende Staat Bundesrepublik Deutschland gehört allerdings der UNO an, daran besteht kein Zweifel. In der offiziellen Liste der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen wird der Status Deutschlands als souveräner Staat ausdrücklich erwähnt.
Der Eintrag lautet: «Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik wurden am 18. September 1973 als Mitglieder in die Vereinten Nationen aufgenommen. Durch den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 vereinigten sich die beiden deutschen Staaten zu einem souveränen Staat.»
Vor allem die sogenannte Reichsbürgerszene behauptet immer wieder, das Deutsche Reich bestehe fort. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat dieser Behauptung in einem ausführlichen Gutachten widersprochen: «Der am 15. März 1991 in Kraft getretene Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 markiert den Schlusspunkt der schrittweisen Wiederherstellung der vollen Souveränität Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.»
Zuvor galt für die Bundesrepublik noch eine Souveränität unter Vorbehalt, die unter anderem eine Stationierung von Truppen der Siegermächte im Land vorsah. Die dpa hat verschiedene Faktenchecks zu diesem Aspekt der deutschen Geschichte veröffentlicht.
Falschbehauptung verbreitete sich auf Umwegen
Die Falschbehauptung mit dem irreführenden Screenshot gelangte auf Umwegen in soziale Netzwerke wie Facebook. Manche Posts verlinken auf die anonyme Blogging-Plattform Telegra.ph des in Russland entwickelten Messagingdienstes Telegram. Dort wiederum wird als Quelle ein Artikel der Webseite mzwnews.net genannt.
Der US-Neonazi John de Nugent hatte MZW News im Jahr 2014 gegründet. Sie bezeichnet sich selbst als ein «deutschsprachiges Nachrichtenportal, welches politisch dem nationalen Spektrum zuzuordnen ist». Das Bundesamt für Verfassungsschutz stellte in seinem «Lagebild Antisemitismus 2020/21» fest, MZW News sei ein rechtsextremistisches Nachrichtenportal, das sich «offen zum Ziel der Errichtung eines NS-Staates in Deutschland» bekenne. Es verbreite «pseudojournalistische und pseudowissenschaftliche Artikel».
(Stand: 18.12.2023)
Links
Adresse Bundespresseamt (archiviert)
Anmeldeformular ECOSOC (archiviert)
Beitrag auf Telegra.ph(archiviert)
Selbstbeschreibung MZW News (archiviert)
Lagebild Verfassungsschutz (archiviert)
Angeblicher Eintrag (archiviert)
UN zu Beraterstatus (archiviert)
Mitteilung über Status (archiviert)
Offizieller Eintrag UN-Mitgliedschaft(archiviert)
Wissenschaftlicher Dienst Bundestag(archiviert)
dpa-Faktencheck I, II, III
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