Falsche BKA-Zahlen
Zuwandererkriminalität bei Mord und Totschlag übertrieben dargestellt
21.12.2023, 13:09 (CET)
Die Polizeiliche Kriminalstatistik wird von einigen regelmäßig dafür herangezogen, Flüchtlinge als besonders kriminell darzustellen. So heißt es zum Beispiel, im Jahr 2022 seien 38 Deutsche «von Einwanderern ermordet» worden. Demgegenüber seien «5 Migranten zu Tode» gekommen durch Taten, an denen mindestens ein Deutscher beteiligt gewesen sei.
Bewertung
Die angegebenen Zahlen sind zwar in der ursprünglichen Polizeilichen Kriminalstatistik zu finden, doch werden sie falsch verstanden. Zudem hat das Bundeskriminalamt auf Nachfrage die Zahlen für tatverdächtige Zuwanderer nach unten korrigiert.
Fakten
Mit Kriminalstatistiken wird nicht selten ungenau gearbeitet. Häufig hat das etwas mit Begrifflichkeiten zu tun, die von der Behörde genau umrissen sind, in der Interpretation aber anders dargestellt werden.
Im Bundeslagebild «Kriminalität im Kontext von Zuwanderung» für das Jahr 2022, aus dem die verbreiteten Zahlen stammen, ist durchgängig die Rede von «Zuwanderern». Dazu zählt das Bundeskriminalamt (BKA) Menschen mit dem Aufenthaltsstatus «Asylbewerber», «Schutzberechtigte und Asylberechtigte, Kontingentflüchtling», «Duldung» oder «unerlaubter Aufenthalt». Deutsche sind Menschen mit deutschem Pass.
Die in den Grafiken angegeben Werte zu Opfern und Tatverdächtigen stimmen mit denen im Bundeslagebild überein. Auf Seite 23 führt das BKA verschiedene Fallkonstellationen auf, unter anderem «Zuwanderer/Zuwanderin tatverdächtig - Opfer deutsch» und «Deutscher/Deutsche tatverdächtig - Opfer Zuwanderer/Zuwanderin».
Mord und Totschlag: die ursprünglichen Zahlen
Im Bundeslagebild hieß es dort zunächst: «Im Bereich Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen fielen 258 Deutsche einer Straftat zum Opfer, an der mindestens ein/eine tatverdächtiger/tatverdächtige Zuwanderer/Zuwanderin beteiligt war.» 38 davon seien Opfer einer vollendeten Tat geworden.
Im selben Deliktbereich habe es zudem 89 zugewanderte Opfer von Taten gegeben, an denen mindestens ein Deutscher/eine Deutsche beteiligt war. «Davon wurden fünf Personen Opfer einer vollendeten Tat», so das Lagebild.
BKA korrigiert Zahlen mittlerweile nach unten
Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat beim BKA konkret nachgefragt. Daraufhin prüfte die Behörde erneut die Angaben und hat die Zahlen für tatverdächtige Zuwanderer in einer Mail vom 20. Dezember 2023 weit nach unten korrigiert und auch das online zugängliche Lagebild angepasst.
Demnach fielen in dem Deliktbereich Mord und Totschlag nicht wie ursprünglich angegeben 258 Deutsche einer Straftat durch einen tatverdächtigen Zuwanderer zum Opfer, sondern 120. Genauso wenig wurden 38 Personen Opfer einer vollendeten Tat, sondern 12, wie es nun im berichtigten Lagebild heißt.
Die Angaben zu zugewanderten Opfern und deutschen Tatverdächtigen sind demnach weiterhin in der ursprünglich angegebenen Höhe korrekt.
«Vollendet» ist nicht gleich «getötet»
Die Schlussfolgerung, 38 Deutsche (beziehungsweise nunmehr 12) seien bei Taten mit verdächtigen Zuwanderern gestorben, ist falsch.
Denn das BKA erfasst bei einem vollendeten Delikt im Bundeslagebild alle von ein und derselben Tat betroffenen Opfer - also auch diejenigen, die gegebenenfalls im Zuge dieser Tat, bei der ein Mensch getötet wurde, nur leicht verletzt wurden.
Auch diese Zahl der tatsächlich getöteten Menschen für die Fallkonstellationen Deutsche/Zuwanderer und Zuwanderer/Deutsche hat die dpa beim BKA angefragt.
Die Antwort: Von den 12 deutschen Opfern der vollendeten Tat mit mindestens einem tatverdächtigen Zuwanderer wurden 11 tatsächlich tödlich verletzt. Bei den tatverdächtigen Deutschen sind alle 5 Opfer, die der Gruppe der Zuwanderer zuzuordnen sind, tödlich verletzt worden.
Warum Deutsche bei Tätern und Opfer überrepräsentiert sind
Insgesamt unterscheidet das BKA im Bereich Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen vier Konstellationen. Im Schreiben an die dpa heißt es:
- Deutsche Opfer bei Fällen mit mindestens einer zugewanderten Person als Tatverdächtige. Dort gab es 120 Opfer.
- Zugewanderte als Opfer mit mindestens einer deutschen Person als Tatverdächtige: 89 Opfer.
- Zugewanderte als Opfer bei Fällen mit mindestens einer zugewanderten Person als Tatverdächtige: 167 Opfer.
- Deutsche als Opfer mit mindestens einer deutschen Person als Tatverdächtige: 1286 Opfer.
Die verschiedenen Täter- und Opferzahlen haben wesentlich mit den unterschiedlichen Bevölkerungsanteilen beider Gruppen zu tun. Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft stellen etwa 85 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, Zuwanderer nur rund 3,5 Prozent.
Es ist also wahrscheinlicher, Opfer einer Tat unter Beteiligung von deutschen als von zugewanderten Personen als Tatverdächtige zu werden. Genauso ist die Chance rund 25 Mal höher, auf der Straße auf einen Deutschen zu treffen (und womöglich gegen ihn eine Straftat zu begehen), als einem Zuwanderer zu begegnen.
Die Bevölkerungsverteilung hat also Einfluss auf die Konstellationen Tatverdächtiger/Opfer.
Gegenüberstellung problematisch, weitere Faktoren wichtig
Das BKA verweist in seinem Schreiben an die dpa außerdem darauf, dass bei Vergleichen unterschiedlicher Staatsbürgerschaften oder Herkunftsgruppen hinsichtlich Täter- und Opferschaft auch weitere Faktoren berücksichtigt werden müssten - beispielsweise der Anteil der Geschlechter in der jeweiligen Gruppe, deren Altersstruktur oder die soziale Einordnung. Unter Zuwanderern gibt es anteilig zum Beispiel mehr jüngere Männer als im deutschen Durchschnitt.
Diese Faktoren hätten «unabhängig von Herkunft/Staatsbürgerschaft Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit von Tatbegehung und Opferwerdung» und könnten «die Unterschiede zwischen den Gruppen (teils) erklären», heißt es vom BKA.
(Stand: 21.12.2023)
Links
Bundeslagebild «Kriminalität im Kontext von Zuwanderung» 2022 (archiviert am 14.11.2023, archiviert am 20.12.2023)
Statistisches Bundesamt über Bevölkerung in Deutschland (archiviert)
Mediendienst Integration über Anzahl der Flüchtlinge in Deutschland (archiviert)
Über dpa-Faktenchecks
Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.
Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.
Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.
Schon gewusst?
Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.