Olena Selenska war in Kanada statt bei Cartier

Die Ukraine befindet sich im Krieg und ist deshalb auf Waffenlieferungen und finanzielle Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Nun wird behauptet, dass Olena Selenska, die Frau des ukrainischen Präsidenten, für über eine Million Dollar beim Luxusjuwelier Cartier in New York einkaufen war - während ihr Mann um internationale Unterstützung bat. Die Empörung im Netz ist groß. Aber stimmt die Behauptung überhaupt?

Bewertung

Die Geschichte enthält etliche Ungereimtheiten. Das Datum auf der Rechnung stimmt nicht mit Selenskas Aufenthalt in New York überein. Auch die Quelle, aus der das offensichtlich gefälschte Dokument stammt, ist überaus dubios.

Fakten

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und seine Ehefrau Olena Selenska sind am 18. September 2023 in den USA angekommen. Der Präsident hatte mehrere Treffen mit Vertretern der Vereinten Nationen auf dem Programm. Darüber hat er auf Sozialen Netzwerken geschrieben. Die UN-Generalversammlung fand am Hauptsitz der Organisation in New York statt.

Am 21. September reiste das Paar von New York nach Washington D.C. weiter. Dort gab es ein Treffen mit US-Präsident Joe Biden und dessen Ehefrau Jill. Noch am selben Abend flogen der ukrainische Präsident und seine Frau nach Kanada. Das belegen Fotos von der Ankunft des Paares am Flughafen in Ottawa, der Hauptstadt Kanadas.

Die vermeintliche Rechnung über den Einkauf bei Cartier ist auf den 22. September 2023 datiert. Es ist kaum anzunehmen, dass Olena Selenska nach ihrem Aufenthalt in Washington und dem Flug nach Kanada nochmals nach New York flog, um bei Cartier einzukaufen. Darüber hinaus zeigen Fotos, dass Olena Selenska bei der Rede ihres Mannes im kanadischen Parlament am 22. September anwesend ist.

Rechnung entspricht dem Cartier-Muster

Die Cartier-Rechnung über den vermeintlichen Einkauf von Olena Selenska scheint dem gängigen Muster von Rechnungen des Unternehmens zu entsprechen. Darüber hinaus stimmen die Produktnummern mit den Schmuckstücken und den Preisen überein. So beispielsweise bei diesem Armband und diesen Ohrringen.

Die dpa hat bei Cartier eine Anfrage gestellt, um die Behauptung zu überprüfen. Eine Antwort steht noch aus. Es gibt aber außer einem einzigen Video zweifelhafter Herkunft keine Quellen, die von einem angeblichen Einkauf Selenskas bei Cartier in New York berichten.

Wie ist die Geschichte ins Netz gekommen?

Am 1. Oktober wurde ein YouTube-Video mit Instagram-Stories online gestellt. Es ist das einzige Video auf dem Account, der das Video hochgeladen hat. In dem Video erklärt eine Frau, dass sie zwei Jahre zuvor aus Benin nach New York gezogen sei und dank ihres Onkels ein Praktikum bei Cartier bekommen habe. Die Frau behauptet weiter, sie sei bei Cartier entlassen worden, nachdem die ukrainische First Lady sich über sie beschwert habe. Daraufhin hat die vorgebliche Praktikantin angeblich eine Kopie der Rechnung von Selenskas Einkauf bei Cartier gemacht, um der Welt «ihr wahres Gesicht zu zeigen».

Auf dem Youtube-Video ist das Konto des Instagram-Kanals zu sehen. Das Instagram-Konto selbst ist auf privat geschaltet und daher nicht einsehbar. Es gibt weder ein Profilbild, noch Follower. Auch steht in der Beschreibung, dass bisher keine Beiträge veröffentlicht worden sind. In dem Video spricht die Frau jedoch eine Gruppe von Menschen an mit «Wie ihr alle wisst, bin ich von Benin vor zwei Jahren nach New York gezogen...». Wer wird angesprochen, wenn es keine Follower gibt?

Instagram-Stories sind nur 24 Stunden online. Es stellt sich daher die Frage, wie die Story auf YouTube gelangte. Jemand muss in diesem kurzen Zeitraum die Story gesehen und gespeichert haben, um sie dann auf YouTube hochzuladen.

Klickt man auf die drei Punkte neben der blauen Schaltfläche, um nähere Informationen zum Account zu bekommen, so kann man sehen: Das Konto existiert erst seit August 2023 und der Benutzername wurde seitdem schon mehrmals geändert.

Eine Spur führt nach Russland

Die dpa analysierte mit Gesichtserkennungsprogrammen das Video. Diese Analyse führte zu verschiedenen Social-Media-Profilen (VKontakte, Instagram). Die Kanäle zeigen eine junge Frau, die der Frau in dem Video sehr ähnlich sieht. Obwohl die veröffentlichten Fotos einige Jahre alt sind, ähneln sich die Form der Augen, des Mundes und der Nase sehr. Auch ist das gleiche Nasenpiercing vorhanden. Die Frau lebt oder lebte in Sankt Petersburg, Russland. Es lässt sich keine Verbindung zu New York oder Cartier finden. Es steht zwar nicht hundertprozentig fest, dass es sich dabei um die Frau in dem YouTube-Video handelt, aber alles deutet darauf hin.

Ein gesponsorter Artikel in «The National»

Das erste Medium, in dem die Geschichte auftaucht, ist die Zeitung «The National» aus Nigeria. Sie veröffentlicht am 2. Oktober einen Artikel mit dem Hinweis «sponsored post». Aus dem Artikel selbst geht der Sponsor nicht hervor. Darüber hinaus passt der Artikel nicht zu den anderen Artikel in dieser Rubrik. Die meisten bezahlten Beiträge drehen sich um Glücksspiel und Technologiethemen.

Der Artikel verwendet zudem ein zusätzliches Bild, dass die angebliche Rechnung zeigt. Auf diesem Bild ist mehr von der linken Hand zu sehen als auf dem Youtube-Video, das die nigerianische Webseite als Quelle angibt. Es gibt also weiteres Bildmaterial, das nicht mit der Instagram-Story übereinstimmt und daher auch nicht aus dieser stammen kann. Der Verfasser des gesponserten Beitrags macht jedoch keinerlei Angaben zum Ursprung des Fotos.

Russische Medien greifen die Geschichte auf

Die unbewiesene Geschichte wurde nach ihrer Veröffentlichung auf «The National» von russischen Medien weiterverbreitet. Der Artikel hat Ähnlichkeit mit einem älteren Gerücht um Einkäufe von Olena Selenska, dem ebenfalls jede nachvollziehbare Grundlage fehlt. Die nun verbreitete Geschichte passt zu einem Trend, bei dem pro-russische Quellen versuchen, die ukrainische First Lady zu diskreditieren. Solche Geschichten wurden schon als Falschbehauptung entlarvt. 

(Stand: 13.10.2023)

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