Kein Medikament
Wunderwaffe Vitamin D? Schutz vor Corona ist fraglich
21.9.2023, 12:58 (CEST)
Seit dem 18. September ist in Deutschland ein Impfstoff verfügbar, der an die derzeit kursierende Variante des Coronavirus angepasst ist. Der Impfschutz gegen schwere Krankheitsverläufe kommt zur richtigen Zeit, denn laut Robert Koch-Institut hat die Zahl der Covid-19-Erkrankungen seit Juli 2023 wieder zugenommen.
In sozialen Netzwerken wird allerdings behauptet, als Schutz vor dem Erreger würde Vitamin D ausreichen: «Vitamin-D-Mangel war der SCHLÜSSELFaktor für schwere COVID-19-Erkrankungen und Todesfälle. Vitamin D war alles, was benötigt wurde.» Gibt es etwa wirklich einen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und Covid-19?
Bewertung
Vitamin D wird im Einsatz gegen Covid-19 in diesem Fall überbewertet. Das sogenannte «Sonnenvitamin» kann eine Infektion und einen schweren Krankheitsverlauf nicht sicher verhindern, sondern höchstens das entsprechende Risiko vermindern. Allerdings gibt es keine eindeutigen Belege für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel und einem schweren Covid-19-Verlauf.
Fakten
Mithilfe von Sonnenlicht kann der menschliche Körper Vitamin D produzieren. Aber nicht alle Menschen schaffen es, ihren täglichen Bedarf zu decken. Das kann Probleme mit sich bringen: Das Robert Koch-Institut schreibt, dass Vitamin-D-Mangel vor allem Auswirkungen auf die Knochengesundheit haben kann. Müdigkeit oder ein schlechtes Hautbild zählen ebenso zu den Symptomen – und laut Internet-Postings kann durch den Mangel angeblich sogar eine schwere Corona-Infektion entstehen.
In den online geteilten Posts wird auf eine Studie aus Neuseeland verwiesen, die am 2. Juni 2020 erschienen ist und Vitamin-D-Mangel angeblich eine wichtige Rolle bei schweren Coronafällen zuschreibt. Tatsächlich ist zu diesem Zeitpunkt eine sogenannte «Rapid Review» erschienen, die sich mit der Frage der Korrelation von Vitamin D und Covid-19 befasst.
Rapid Reviews versuchen, Erkenntnisse aus Forschungen möglichst rasch zusammenzufassen. Dabei wird Rapid Reviews nachgesagt, dass sie vom in der Wissenschaft sonst üblichen Prozess in ihrer Vorgehensweise teils abweichen, beispielsweise hinsichtlich der Methodik.
Rapid Review: Vitamin D ist kein Medikament
Die neuseeländische Rapid Review erklärt, dass es bestimmte Personengruppen gibt, die typischerweise einen Vitamin-D-Mangel aufweisen: ältere Menschen, Kinder oder Schwangere. Der Mangel kann sich auf das Immunsystem auswirken, sodass die Anfälligkeit für Krankheiten, wie beispielsweise eine Atemwegsinfektion, steigt.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Vitamin D allein derartige Erkrankungen behandeln oder ihnen sicher vorbeugen kann. Wie im Review unter Berufung auf Studien dargelegt wird, wurden in der Vergangenheit lediglich positive Auswirkungen auf das Krankheitsrisiko oder den Verlauf erforscht.
Im Rapid Review werden dann auch Studien dargelegt, die sich mit der Korrelation zwischen dem Schweregrad der Covid-19-Erkrankung und dem Vitamin-D-Status befassen. Tatsächlich gibt es in manchen Studien Hinweise darauf, dass ein Vitamin-D-Mangel mit einem höheren Risiko für schwerere Corona-Erkrankungsverläufe assoziiert werden kann. Aber Achtung: Zum Teil handelt es sich dabei um Publikationen, die noch nicht durch unabhängige Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen überprüft wurden (sogenanntes «Peer Review»).
Zusätzlich gibt es keine Belege dafür, dass Vitamin D als Medikament eine wirksame Maßnahme zur Verringerung des Schweregrads ist, sobald eine Infektion vorliegt. Zu beachten ist außerdem, dass Menschen mit Vitamin-D-Mangel aufgrund ihres hohen Alters oder einer Grunderkrankung in der Regel gleichzeitig auch zur Corona-Risikogruppe zählen und somit ohnehin anfälliger für einen schweren Verlauf sind.
Verwechslungsgefahr: Zusammenhang und Kausalität
Zudem ist eine mögliche Assoziation nicht mit der Kausalität zu verwechseln. Dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel ursächlich für einen schweren Verlauf ist, wird in den Forschungen so nicht beschrieben. Im Rapid Review werden keine Arbeiten vorgestellt, die die Wirksamkeit von Vitamin D zur Vorbeugung gegen eine Infektion beweisen.
Ähnlich sieht das die Deutsche Gesellschaft für Ernährung seit Januar 2021 - also rund ein halbes Jahr nach Erscheinen des neuseeländischen Rapid Reviews: «Die derzeit vorliegenden Studien geben zwar Hinweise auf eine potenzielle Assoziation zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Status und einem erhöhten Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion bzw. einem schwereren COVID-19-Verlauf, die Ergebnisse sind jedoch unzureichend, um eine Ursache-Wirkungs-Beziehung nachzuweisen. Daher kann keine konkrete Empfehlung für eine Vitamin-D-Supplementation zur Reduzierung des Risikos für eine SARS-CoV-2-Infektion oder der Schwere des Verlaufs einer COVID-19-Erkrankung ausgesprochen werden.»
Eine aktuellere Übersicht vom Mai 2023 in der National Library of Medicine erklärt ebenfalls: «Bei Patienten mit COVID-19 sind die Enzyme (...), die zu einem (...) Abbau von Vitamin D (...) führen, hochreguliert. Dies bedeutet, dass die COVID-19-Erkrankung (wie auch andere Infekte oder auch Traumata) zu einem Abfall der Serumkonzentration von 25-OH-Vitamin-D führt. Niedrige 25-OH-Vitamin-D-Konzentrationen könnten also die Folge und nicht die Ursache einer COVID-19-Erkrankung sein, im Sinne einer reversen Kausalität.»
Überdosierung mit Folgen
Grundsätzlich gilt aber ohnehin: Die Einnahme von Vitamin D sollte besser mit Ärztinnen oder Ärzten besprochen werden. Denn bei einer Überdosierung kann es zu einer Vergiftung kommen.
Diese äußert sich laut Robert Koch-Institut durch Übelkeit, Appetitlosigkeit, Bauchkrämpfe oder Erbrechen und kann in schweren Fällen zu Nierenschädigung, Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit führen oder sogar tödlich sein.
Alle Arbeiten weiterhin verfügbar
In den Postings wird außerdem behauptet, dass Arbeiten von indonesischen und philippinischen Forschern, die im Rapid Review vorgestellt werden, inzwischen nicht mehr verfügbar sind. Die Behauptung: Die Forscher «verschwanden vom Erdboden».
Das stimmt so nicht. Zwar sind die Arbeiten teils nicht mehr unter den im Rapid Review angegebenen Links zu finden, im Netz lassen sie sich aber weiterhin abrufen. Die beiden Arbeiten aus den Philippinen von Mark Alipio lassen sich zum Beispiel noch als PDF oder beim Dokumentenserver für Preprints «medRxiv» finden. Die indonesische Studie von Raharusuna ist über die Suche des Titels mehrfach als PDF abrufbar, unter anderem bei der Literaturverwaltungssoftware «ReadCube».
(Stand: 20.9.2023)
Links
Arbeit aus Neuseeland (archiviert)
ARE-Wochenbericht des RKI (archiviert)
Zugelassener Impfstoff ab 18.08.2023 (archiviert)
Erklärung Rapid Reviews (archiviert)
Übersicht National Library of Medicine (archiviert)
DGE zu Corona und Vitamin D (archiviert)
RKI zu Vitamin-D-Mangel und den Auswirkungen (archiviert)
Symptome Vitamin-D-Mangel(archiviert)
RKI zu Überdosierung von Vitamin D (archiviert)
Vitamin D supplementation could possibly improve clinical outcomes of patients infected with Coronavirus-2019 (Covid2019) (archiviert)
Do latitude and ozone concentration predict Covid-2019 cases in 34 countries? (archiviert)
Patterns of COVID-19 Mortality and Vitamin D: An Indonesian Study (archiviert)
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