Keine Abkühlung
Erderwärmung seit Industrialisierung ist umfassend belegt
20.9.2023, 17:44 (CEST)
Im Laufe der Erdgeschichte gab es immer Temperaturschwankungen. Nur: Seit der industriellen Revolution steigt die globale Erwärmung immer weiter an. In sozialen Netzwerken verbreitet sich jedoch, dass die Frage nach der Erderwärmung davon abhinge, wann die Messungen starteten. Zählten nur solche ab 1850, sei eine Erwärmung von etwa 0,7 Grad Celsius gegeben, wird behauptet. Starteten die Erhebungen aber im Mittelalter, ließe sich seit dem Jahr 1200 sogar eine Abkühlung um etwa vier Grad Celsius beobachten. Was steckt dahinter?
Bewertung
Falsch. Die Erde hat sich seit dem Mittelalter nicht abgekühlt. Im Gegenteil ist die heutige Erwärmung beispiellos im vergangenen Jahrtausend.
Fakten
Die Behauptungen stammen ursprünglich aus einem Podcast von 2022 und ignorieren die aktuelle Forschungslage.
Die Messungen ab 1850 ergeben ein anderes Bild, als in dem Podcast gezeichnet wird: So berichtet der Weltklimarat (IPCC) in seinem aktuellen Synthesebericht (Download, S.20), dass die Oberflächentemperaturen zwischen 2011 und 2020 um circa 1,1 Grad Celsius über den Werten von 1850 bis 1900 lagen.
Laut Daten der gemeinnützigen US-amerikanischen Organisation Berkeley Earth und des britischen Met Office Hadley Centre, einem Forschungszentrum der Wetterbehörde, war es 2022 im Mittel 1,24 Grad Celsius wärmer als zwischen 1850 und 1900. Damit gehört das Jahr zu den sechs wärmsten Jahren seit Beginn der Aufzeichnungen.
Die Erde hat sich auch nicht seit 1200 abgekühlt. Da es für den Zeitraum keine Messaufzeichnungen gibt (die ältesten verfügbaren Werte stammen aus England von 1659), muss auf sogenannte Proxydaten zurückgegriffen werden. Dabei handelt es sich quasi um natürliche Archive der Erde, über die sich das Klima in der Vergangenheit nachvollziehen lässt. Dabei werden zum Beispiel Baumringe, Eiskerne oder Sedimente untersucht.
Zwar gibt es dabei eine gewisse Unsicherheit, dennoch zeigen verschiedene Rekonstruktionen die gleiche Entwicklung: Eine Studie zu den Temperaturschwankungen in den vergangenen zwei Jahrtausenden ergab, dass die aktuelle Erwärmung auf der Nordhalbkugel über mindestens die vergangenen 1300 Jahre hinweg ungewöhnlich sei. Eine Grafik im vierten Sachstandsbericht des IPCC von 2007 zeigt ebenfalls anhand mehrerer Temperatur-Rekonstruktionen deutlich, dass es heute wärmer ist als im Jahr 1200.
Eine im Wissenschaftsmagazin «Nature» erschienene Studie von 2019 kam zu dem Ergebnis, dass es im Gegensatz zu heute in vorindustrieller Zeit keine weltweit synchron auftretenden Kalt- oder Warmzeiten gab. Stattdessen traten diese in verschiedenen Regionen zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf. Die wärmste Phase der vergangenen 2000 Jahre aber fand der Studie zufolge im 20. Jahrhundert auf mehr als 98 Prozent der Erdoberfläche statt.
In dem Podcast-Interview wird darüber hinaus auch erwähnt, dass in den vergangenen 38 Jahren gar keine Temperaturveränderung zu erkennen sei. Auch das ist falsch: Seit 1984 sind die globalen Oberflächentemperaturen erkennbar angestiegen, wie eine interaktive Grafik der Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde (NOAA) der Vereinigten Staaten zeigt.
In den gesammelten Datensätzen der nationalen Wetterbehörde Met Office aus Großbritannien lässt sich ebenfalls ein globaler Temperaturanstieg seit den 1980er Jahren erkennen. Der letzte Monat in den vergangenen Jahrzehnten, der unterdurchschnittlich kühl war, war übrigens der Februar 1985.
(Stand: 19.9.2023)
Links
Umweltbundesamt zum Treibhauseffekt (archiviert)
Podcast mit Falschbehauptungen (archiviert)
Temperaturanomalien laut NOAA von 1984 bis 2022 (archiviert)
Datensammlung des Met Office (archiviert)
NOAA zu Temperaturabweichungen (archiviert)
Synthesebericht 2023 des Weltklimarats (IPCC) (archiviert)
«Global Temperature Report 2022» von Berkeley Earth (archiviert)
Datensatz Central England Temperature (CET) (archiviert)
Zu Proxydaten in der Paläoklimatologie (archiviert)
Studie zu Temperaturschwankungen von 2008 (archiviert)
Temperatur-Rekonstruktionen im IPCC-Sachstandsbericht (archiviert)
Studie zu Kohärenz von Kalt- und Warmphasen von 2019 (archiviert)
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