Hunderte Euro fürs Zuckerfest?
Landkreis dementiert angebliche Zahlung vom Jobcenter
20.9.2023, 17:15 (CEST)
Zu Sozialleistungen in Deutschland kursieren im Internet immer wieder falsche Informationen. So wird derzeit ein Video verbreitet, in dem ein Mann Geldscheine in die Kamera hält. Dazu behauptet er, sein Freund habe auf Nachfrage «310 Euro» vom Jobcenter Nordhorn ausgezahlt bekommen. Zuvor soll sein Bekannter, der als Flüchtling in Deutschland lebe, das Amt angeblich um Geld für eine Feier des muslimischen Zuckerfestes (Eid al-Fitr) gefragt haben. Kann das sein?
Bewertung
Der für das Jobcenter Nordhorn zuständige Landkreis Grafschaft Bentheim dementiert eine solche Zahlung. Das Sozialgesetzbuch (SGB) II sieht keine Zusatzzahlungen aus religiösen Gründen vor.
Fakten
Das Video wurde tatsächlich in der niedersächsischen Stadt Nordhorn aufgenommen. Die beiden Männer befinden sich auf einem Parkplatz vor dem Bahnhof Nordhorn-Blanke, wie ein Abgleich mit Bildern zeigt. Wann genau das Video entstanden ist, lässt sich nicht sagen.
Das Jobcenter in Nordhorn ist ein kommunales Jobcenter, zuständig ist der Landkreis Grafschaft Bentheim. Auf dpa-Anfrage teilt die Behörde Ende August 2023 mit, dass der Landkreis die in dem Video genannte Zahlung keinesfalls bestätigen könne.
Eine Sprecherin erklärt: «Die hier angesprochene Zahlung aufgrund des Zuckerfestes ist kein Bestandteil des Bürgergeldes, somit keine Leistung nach dem Sozialgesetzbuch II, die durch das Jobcenter erfolgt. Auch zu anderen gesellschaftlichen bzw. religiösen Ereignissen (Urlaub, Weihnachten etc.) sieht das Bürgergeld keine gesonderte Beihilfe vor.»
Sozialgesetzbuch: keine Zusatzzahlungen aus religiösen Gründen
Tatsächlich werden Einmalzahlungen aus religiösen Gründen im SGB II nicht erwähnt. Im Gegenteil: Nach §1 Absatz 2 SGB II soll das Bürgergeld darauf ausgerichtet werden, dass Nachteile gemäß §1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes überwunden werden.
Das heißt also, Benachteiligungen etwa wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität sollen beim Bürgergeld nicht vorkommen. Extrazahlungen nur für Angehörige bestimmter Religionen würden diesem Grundsatz entgegenstehen und nicht-religiöse Menschen benachteiligen.
Auch auf der Übersichtsseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zu Mehrbedarfen und einmaligen Leistungen ist keine Rede von Extrazahlungen für religiösen Gründen.
Zuständiges Jobcenter rät: Video-Inhalte kritisch hinterfragen
Dem Landkreis ist das kursierende Video bereits bekannt. In der Vergangenheit seien ähnliche Videos an das Grafschafter Jobcenter herangetragen worden. «Die Inhalte der Videos sollten dabei grundsätzlich durchaus kritisch hinterfragt werden», betont die Behörde.
Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) konnte den Mann aus dem Video identifizieren. Auf einem Tiktok-Kanal, den er offenbar betreibt, existieren tatsächlich weitere Videos mit - offenbar scherzhaft gemeinten - Äußerungen in Bezug auf das Jobcenter. Auf eine dpa-Anfrage, ob er die angebliche Zahlung von 310 Euro belegen könne oder es sich um einen Scherz handele, reagierte der Mann nicht.
Geflüchtete erhalten Bürgergeld nur bei bestimmten Voraussetzungen
Ob der Bekannte des Mannes in dem Video die entsprechenden Voraussetzungen für Bürgergeld erfüllt, lässt sich so nicht prüfen. Asylsuchende haben in Deutschland grundsätzlich erst dann ein Anrecht auf Bürgergeld, wenn sie als Flüchtlinge anerkannt wurden oder eine Arbeitserlaubnis besitzen. Das Asylverfahren kann sich oft über eine längere Zeit hinziehen - so lange stehen ihnen andere Sozialleistungen zu, die im Asylbewerberleistungsgesetz definiert sind.
Ausgenommen von dieser gesetzlichen Regelung für Asylsuchende sind Ukrainerinnen und Ukrainer, die wegen des russischen Angriffskriegs geflohen sind. Als anerkannte Kriegsflüchtlinge sind sie in Bezug auf soziale Leistungen vom ersten Tag an mit deutschen Staatsbürgern gleichgestellt und und können Bürgergeld beantragen.
(Stand: 20.9.2023)
Links
Aufnahmeort des Videos (archiviert)
Aufnahme des Bahnhofs (archiviert)
Über kommunale Jobcenter (archiviert)
Sozialgesetzbuch II (archiviert)
§1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (archiviert)
BMAS zu Mehrbedarfen und einmaligen Leistungen (archiviert)
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