Nazi-Vergangenheit angedichtet
Verwandtschaft zu NS-Männern frei erfunden
29.8.2023, 14:08 (CEST)
Auf Facebook wird ein altbekanntes Stück russischer Propaganda erneut aufgelegt: In einer Grafik sind Fotos von Politikern neben historischen Fotos von Männern unter anderem in NS-Uniformen zu sehen. Laut Begleittext soll es sich um die Großväter von Bundeskanzler Olaf Scholz, Gesundheitsminister Karl Lauterbach, Finanzminister Christian Lindner sowie des polnischen Oppositionspolitikers Donald Tusk handeln. Stimmen diese familiären Verbindungen?
Bewertung
Nein. Keiner der gezeigten NS-Männer ist mit den vier Politikern verwandt. Der Mann, der als Großvater von Karl Lauterbach ausgegeben wird, hatte sogar einen etwas anderen Nachnamen - nämlich Lauterbacher.
Fakten
Westliche Politiker stehen schon kurz seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Ziel von Propaganda und Desinformation aus Moskau. Passend zu der als Kriegsgrund genannten angeblichen «Entnazifizierung» der Ukraine werden Politikern aus weiteren europäischen Ländern familiäre Bezüge zu bestimmten NS-Tätern angedichtet. Doch sie sind zumeist frei erfunden.
Um diese vier Beispiele geht es in der derzeit kursierenden Grafik:
- Fritz von Scholz ist nicht der Großvater von Olaf Scholz. Der Generalleutnant der SS starb im Jahr 1944 und hinterließ keine Kinder. Das geht aus Unterlagen hervor, die die Deutsche Presse-Agentur (dpa) im Bundesarchiv einsehen konnte. Fritz von Scholz wurde in Pilsen geboren und lebte mit seiner Frau Marianne in Pörtschach am Wörthersee. Vor Kriegsbeginn arbeitete er als Chemiker. Die Großeltern von Olaf Scholz stammen hingegen aus Hamburg und waren Eisenbahnbeamte. Auch das Bundeskanzleramt dementierte auf dpa-Anfrage ein Verwandtschaftsverhältnis als «völligen Unsinn».
- Der Mann auf dem Foto, das angeblich den Großvater von Karl Lauterbach zeigt, hieß in Wahrheit Hartmann Lauterbacher. Er war Stabsführer und stellvertretender Reichsjugendführer der Hitlerjugend. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums bestätigte zudem auf dpa-Anfrage, dass es sich nicht um Karl Lauterbachs Großvater handele.
- Der Großvater des polnischen Politikers und ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk hieß tatsächlich Jozef Tusk. Er wurde 1939 im von Deutschland besetzten Polen von der Gestapo verhaftet und verbrachte mehrere Jahre in Konzentrationslagern. 1942 kam er frei. Ab 1944 kämpfte er in der deutschen Wehrmacht und desertierte im Jahr 1945. Das geht aus Angaben des Europäischen Rates gegenüber den Faktencheckern von «Full Fact» aus dem Jahr 2019 hervor. In der SS war Jozef Tusk jedoch nicht, und das kursierende Foto zeigt ihn auch nicht, wie Donald Tusks Europäische Volkspartei auf Anfrage der Deutschen Welle mitteilte. Das Foto wurde 1939 in Polen aufgenommen und zeigt laut Angaben des Bundesarchivs ein nicht weiter benanntes Mitglied des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS.
- Gerhard Lindner, der Mann im vierten historischen Foto, ist nicht der Großvater von Christian Lindner. Das bestätigte das Bundesfinanzministerium auf dpa-Anfrage. Es gibt auch keine Hinweise oder Quellen im Internet, die auf ein Familienverhältnis schließen lassen. Gerhard Lindner war tatsächlich Generalmajor der Wehrmacht. Er starb einer niederländischen Website über den Zweiten Weltkrieg zufolge im Jahr 1982 im niedersächsischen Aurich. Christian Lindner kam 1979 in Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) zur Welt, wo seine Großeltern eine Bäckerei hatten. Das lässt sich aus Informationen von seiner Webseite und dem Munzinger-Archiv entnehmen.
(Stand: 28.8.2023)
Links
dpa-Faktencheck via «Tagesspiegel» (9.5.2022) (archiviert)
Anderes Foto von Hartmann Lauterbacher via Bundesarchiv (archiviert)
Informationen über Lauterbacher (archiviert)
«Full Fact» über Jozef Tusk (8.3.2019) (archiviert)
Deutsche Welle u.a. über Tusk (4.6.2022) (archiviert)
Foto von SD-Männern via Bundesarchiv (archiviert)
Informationen über Gerhard Lindner (archiviert)
Christian Lindner über seine Großeltern (archiviert)
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