Angeblich 100 Mieter betroffen

Keine Hinweise zu Kündigungen wegen Geflüchteten in NRW

16.8.2023, 19:19 (CEST)

Im Netz kursieren immer wieder falsche Informationen rund um das Thema Migration. Das Ziel ist oft, Schutzsuchende und Bürger gegeneinander auszuspielen. So auch in diesem Fall.

In Nordrhein-Westfalen (NRW) sollen angeblich kürzlich 100 Mieter eines Wohnblocks die Kündigung erhalten haben - das wird zumindest in einem Video bei Tiktok behauptet. In dem Wohnblock, so heißt es, sollen künftig geflüchtete Menschen aus der Ukraine untergebracht werden. In dem Clip werden dazu Bilder von einem Gebäudekomplex gezeigt, ein konkreter Ort wird aber nicht genannt. Bis zum Jahresende 2023 müssten die Mieter nun ihre Wohnungen räumen, heißt es weiter. Für die Betroffenen stünden vermeintlich Ersatzunterkünfte bereit. Doch ist die Geschichte echt?

Bewertung

Die Kündigungen sind offenbar erfunden: Es lassen sich keine Hinweise für einen solchen Fall in NRW finden.

Fakten

Zu der Behauptung wird in dem Tiktok-Clip eine Aufnahme von Gebäuden an einer Straße eingeblendet. Dies suggeriert, dass es sich bei dem angeblich betroffenen Wohnblock um die gezeigten Gebäude handelt. Wie in der Sequenz zu sehen ist, sind auch mehrere Geschäfte in dem Gebäudekomplex beheimatet - etwa ein Bestattungsunternehmen.

Mithilfe der Details lässt sich so der Ort finden, an dem das Bildmaterial aufgenommen wurde: Das Video zeigt Gebäude in der Rethelstraße in Düsseldorf. Über eine Kündigung von 100 Mietern oder eine geplante Unterbringung von Geflüchteten in der Rethelstraße lassen sich jedoch keine Berichte oder sonstige Hinweise finden.

Auf dpa-Anfrage erklärte eine Sprecherin der NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf, dass die Stadt in der Straße keine Objekte betreue. Entsprechend könne die Stadt dort auch niemandem kündigen. In der Rethelstraße seien auch keinerlei Unterbringungen von Geflüchteten geplant, teilte die Sprecherin mit. «Insoweit befinden wir uns hier komplett im Reich der Fantasie.»

Ministerium und Mieterbund ist der Fall nicht bekannt

Auch darüber hinaus lassen sich keine Medienberichte oder Hinweise über eine Kündigung von 100 Mietern wegen einer Unterbringung von Geflüchteten an einem anderen Ort in NRW finden. Die Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen verwies auf dpa-Anfrage an das zuständige Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration. Wie das Ministerium erklärte, ist auch dort ein solcher Fall nicht bekannt.

In NRW bieten derweil lokale Mietervereine für ihre Mitglieder Hilfe und Rechtsberatung bei Fragen rund um die Miete und die eigene Wohnung an. Der Deutsche Mieterbund Nordrhein-Westfalen (DMB NRW) ist nach eigenen Angaben der Dachverband von 48 lokalen Mietervereinen. Die Deutsche Presse-Agentur hat daher bei dem Verband gefragt, ob sich Mieter wegen der vermeintlichen 100 Kündigungen gemeldet haben.

Geschäftsführer André Juffern teilte dazu mit: «Dem DMB NRW ist kein Fall bekannt, bei dem einer großen Menge von Mieterinnen und Mietern gekündigt wurde, um das Gebäude künftig geflüchteten Menschen zur Verfügung zu stellen. Auch die konkrete Nachfrage bei allen Rechtsberatern des Mietervereins Düsseldorf blieb ergebnislos.»

Juffern geht davon aus, dass es sich um eine Falschmeldung handelt: Für die ordentliche Kündigung eines Wohnraum-Mietverhältnisses durch den Vermieter müsse laut dem Experten seitens des Vermieters ein berechtigtes Interesse vorliegen - beispielweise bei Eigenbedarf oder bei Vertragsverletzungen durch den Mieter. «Der Wunsch, an jemand anderen zu vermieten, ist grundsätzlich kein berechtigtes Interesse für eine solche Kündigung. Das gilt auch für eine geplante Nutzungsänderung als Unterkunft für geflüchtete Menschen», so der Geschäftsführer.

Schon zuvor kursierten ähnliche Videos mit erfundenen Behauptungen

Weder die Behörden noch der Mieterbund haben also von dem angeblichen Kündigungsfall in NRW etwas gehört. Es lassen sich keine Belege für die Behauptungen finden. In der im Clip gezeigten Rethelstraße gibt es auch keine Geflüchtetenunterkunft oder Pläne für eine solche Einrichtung. Das alles spricht dafür, dass die ganze Geschichte erfunden ist.

Das ist nicht das erste Mal: Erst vor einigen Monaten hat die dpa sich in einem Faktencheck mit einem sehr ähnlichen Video beschäftigt. Damals sollte angeblich ein Altenheim in Hamburg umgebaut werden. Doch wie der Faktencheck zeigt, entbehrte die Behauptung jeder Grundlage. Es waren dazu fälschlicherweise Bilder von Einrichtungen in Geesthacht (Schleswig-Holstein) eingespielt worden - und nicht wie behauptet aus Hamburg.

(Stand: 16.8.2023)

Links

Aufnahmeort des Clips bei Google-Maps (archiviert)

Aufnahmen der Rethelstraße bei Google-Maps (archiviert)

Suche nach Medienberichten I (archiviert)

Suche nach Stichwörtern II (archiviert)

Suche nach Stichwörtern III (archiviert)

Ministeriumswebseite (archiviert)

Über den Deutschen Mieterbund Nordrhein-Westfalen (archiviert)

dpa-Faktencheck zu erfundener Geschichte über Altenheim-Umbau

Tiktok-Video (archiviert / archiviertes Video)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.