Irreführende Darstellung
Geflüchtete müssen unter Umständen auch Miete zahlen
25.7.2023, 17:57 (CEST)
Die Wohnungsnot in großen deutschen Städten wie Berlin ist ein zentrales Problem. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum hat sich über die Jahre entwickelt. Immer wieder jedoch werden Flüchtlinge damit in Verbindung gebracht. So verbreitet sich etwa im Juli 2023 die Behauptung: Flüchtlinge, die in eine Unterkunft für Asylbewerber im Berliner Stadtteil Hellersdorf eingezogen seien, dürften dort kostenlos und bis ans Lebensende leben.
Bewertung
Irreführend. Wenn Flüchtlinge ein Einkommen haben, müssen sie einen gewissen Eigenanteil der Mietkosten tragen. Außerdem hat das Landesamt für Flüchtlingsfragen mit dem Eigentümer zunächst einen Mietvertrag für wenige Jahre geschlossen, Flüchtlinge können also nach derzeitigem Stand nicht über Jahrzehnte darin leben.
Fakten
Unter dem Namen «Quartier Stadtgut Hellersdorf» sind im Osten Berlins etwa 1500 neue Mietwohnungen entstanden - für Familien, Singles, Studierende oder Senioren, wie die Bauherrin, das kommunale Wohnungsunternehmen Gesobau, angibt.
Dort ist auch eine Unterkunft für Flüchtlinge integriert worden, die bis zu 200 Geflüchtete beherbergen kann. In die 41 verschieden großen Wohnungen in der Zossener Straße 156 sollten vor allem Familien einziehen, die zuvor «schon mehrere Jahre in Hellersdorfer Gemeinschaftsunterkünften untergebracht und gut im Kiez integriert sind», wie das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf im April 2022 anlässlich der Eröffnung mitteilte.
Müssen Geflüchtete etwas für ihre Wohnungen zahlen?
Zuständig für den Betrieb und die Nutzung des Gebäudes ist das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) Berlin. Dort hat die Deutsche Presse-Agentur (dpa) im Juli 2023 nachgefragt, welche Regelungen hinsichtlich der Kosten und Mietverhältnisse gelten.
Demnach handelt es sich nicht um Wohnungen im rechtlichen Sinne, so die Antwort. Denn die dort lebenden Menschen erhielten keine individuellen Mietverträge. Das LAF steuert die Belegung zentral und zahlt die Miete aus dem Berliner Landeshaushalt an den Eigentümer des Gebäudes, die Gesobau.
Zu bedenken ist aber: «Die Geflüchteten müssen einen Eigenanteil der Mietkosten zahlen, wenn sie bereits ein Einkommen haben, das die Unterhalts- und Wohnkosten abdeckt», erklärt das Amt mit Verweis auf das Asylbewerberleistungsgesetz und das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch.
Ob und in welcher Höhe Geflüchtete ihren Eigenanteil an das LAF überweisen müssen, wird individuell erhoben. In einem Papier, das der dpa vorliegt, rechnet die Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales das vor. Für einen Alleinstehenden über 25 Jahren, der Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt hat sowie über ein Bruttoeinkommen von etwa 850 Euro verfügt, gilt demnach: Bei Unterkunftskosten von 750 Euro im Monat läge der Eigenanteil bei knapp 214 Euro. Hätte der Betroffene jedoch nur einen Minijob mit einem Arbeitslohn von 450 Euro, dann übernähme das LAF wiederum die gesamten Wohnkosten.
Grundsätzlich ist der Eigenanteil gedeckelt: für einzelne Geflüchtete liegt er bei maximal 344 Euro, bei zwei Menschen bei 590 Euro, für eine vierköpfige Familie bei 984 Euro.
Wie lange dürfen Geflüchtete in der Zossener Straße wohnen?
«Sie können in der Unterkunft bleiben, solange der Bedarf besteht, also bis die Familie oder Einzelperson eine eigene Wohnung gefunden hat», schreibt das LAF. Einschränkend ist aber zu sagen, dass das Amt das Gebäude für Migranten nur nutzen kann, solange der Mietvertrag mit der Gesobau besteht. «Das sind bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in der Regel drei Jahre mit der zweimaligen Option zur Verlängerung (also 9 Jahre)», so das LAF.
Zudem ist nach Gesobau-Angaben vorgesehen, dass die Wohnungen in den regulären Wohnungsmarkt integriert werden und dann der gesamten Bevölkerung zur Verfügung stehen sollen, sollte mittelfristig der Bedarf an Unterbringungsplätzen für Geflüchtete sinken.
Allerdings ist damit nicht sehr schnell zu rechnen. Denn im Moment steigt dem LAF zufolge mit der Ankunft von Asylsuchenden und Kriegsgeflüchteten auf weiterhin hohem Niveau der Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten.
Im ersten Halbjahr 2023 wurden 7473 ankommende Flüchtlinge als Asylsuchende registriert, wie das LAF der dpa mitteilte. Hinzu kamen demnach 8502 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die einen anderen Aufenthaltsstatus als Asylbewerber haben.
In den Ankunftszentren warten dem LAF zufolge aktuell rund 2600 Geflüchtete auf einen Platz in einer regulären Unterkunft. Derzeit gebe es etwa 540 verfügbare Plätze, rund 32 000 Plätze seien belegt.
Wie sind die Wohnungen in der Zossener Straße ausgestattet?
Die irreführenden Thesen über die Flüchtlingsunterkunft in der Zossener Straße verbreitet unter anderem auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert. Er behauptet: «Während unsere Leute keine bezahlbare Wohnung finden können, wird von unseren Steuergeldern ein Wohnobjekt mit Edel-Wohnungen für "geflüchtete Menschen" gebaut.»
Dabei sind unter den Unterkünften im neuen «Quartier Stadtgut Hellersdorf» genauso Wohnungen für finanziell schwächer aufgestellte Menschen vorgesehen, die keine Flüchtlinge sind. So umfasst zum Beispiel das Bauprojekt Zossener Straße/Brigitte-Reimann-Straße (eines von sieben Bauvorhaben im Quartier) insgesamt 421 Wohnungen, von denen 126 Wohnungen gefördert werden. Das heißt: Menschen mit einem Wohnberechtigungsschein können dort zu einer Nettokaltmiete ab 6,50 Euro pro Quadratmeter einziehen.
Die von Sichert als «Edel-Wohnungen» bezeichneten Unterkünfte befinden sich in Wohnhäusern, die in modularer Bauweise errichtet wurden. «Diese Unterkünfte sind mit einer normalen Lebensdauer für Neubauten als Wohnhäuser konzipiert, können aber aufgrund der modularen Bauweise in einem schnelleren Zeitraum sowie mit höherer Flexibilität innerhalb der Wohnungsgrundrisse errichtet werden», heißt es von der Gesobau.
(Stand: 25.07.2023)
Links
Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf zur Eröffnung Zossener Straße 156 (archiviert)
Gesobau über «Quartier Stadtgut Hellersdorf» (Seite archiviert, Video archiviert)
Gesobau über Zossener Straße 156 (archiviert)
Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten über Asylzahlen erstes Halbjahr 2023 (archiviert)
Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales über Eigenanteil bei Wohnkosten (archiviert)
Gesobau über Zossener Straße/Brigitte-Reimann-Straße (archiviert)
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