Alte Aufnahme

Video zeigt Stau stadteinwärts nach Kiew im August 2022

19.7.2023, 16:10 (CEST), letztes Update: 27.7.2023, 13:40 (CEST)

Wladimir Putin hat Vergeltung für die Zerstörung an der Krimbrücke angedroht. Doch dass ein Internet-Video zeigt, wie Ukrainer aus Angst vor russischen Angriffen aus Kiew fliehen, ist eine Erfindung.

Eine Explosion hat die Brücke zwischen der annektierten ukrainischen Halbinsel Krim und Russland in der Nacht zum 17. Juli 2023 beschädigt. Da Russland dafür die Ukraine verantwortlich macht, drohte Präsident Wladimir Putin militärische Vergeltung an. In sozialen Medien verbreitet sich daher, dass Ukrainer aus Angst davor die Flucht ergreifen würden: «An der Ausfahrt aus Kiew hat sich ein riesiger Stau von 25km Länge gebildet - Die Leute fürchten Putins Vergeltung für die Krim-Brücke», heißt es als Beschreibung zu Videos und Fotos eines Staus, die sich in sozialen Medien verbreiten. Doch diese Videos und Fotos sind nicht aktuell und zeigen etwas anderes.

Bewertung

Das kursierende Video ist seit mindestens August 2022 im Umlauf. Es zeigt keinen Stau der vergangenen Tage. Zudem staut es sich in dem Video in Richtung Kiewer Innenstadt - nicht aus der Stadt heraus.

Fakten

Eine Bilderrückwärtssuche mit Ausschnitten aus dem Stau-Video führt zu mehreren Beiträgen auf der Plattform Telegram, die am 21. August 2022 erschienen sind. Dort ist das gleiche Video zu sehen mit Behauptungen, es zeige einen Stau aus Kiew heraus mit Menschen, die aus Angst flöhen. Klar ist also: Das Stau-Video ist nicht aktuell, sondern fast ein Jahr alt.

Doch noch etwas ist falsch an den Behauptungen - damals wie heute: Der Stau zeigt keine Menschen, die aus Kiew herausfahren. Die Autos stauen sich stadteinwärts.

Das zeigt eine Lokalisierung des genauen Aufnahmeorts des Videos. Es entstand auf der Schnellstraße E40, die westlich von Kiew Richtung Schytomyr führt, kurz hinter der Stadtgrenze. Wie im Video ist dort auf beiden Seiten der Straße Wald zu erkennen und Laternen am Straßenrand. Es gibt eine Mittelplanke und eine Leitplanke rechts am Straßenrand. Eine leuchtend rote Reklame am rechten Straßenrand in der Ferne gehört zu einer Shell-Tankstelle, die auf der rechten Straßenseite stadtauswärts steht. Dort ragen auch drei Bäume etwas über den Rest des Waldes hinaus. Das Fahrzeug, aus dem heraus gefilmt wurde, fuhr also auf der freien Straße stadtauswärts Richtung Schytomyr.

All diese Details lassen sich auf öffentlich einsehbaren Kartendiensten wiedererkennen. Ein weiteres Detail, ein rundes blaues Schild mit einem geradeaus zeigenden Pfeil am rechten Straßenrand, konnte die Deutsche Presse-Agentur (dpa) auf Bildern eines weiteren Kartendienst verifizieren, der allerdings nicht öffentlich verlinkbar ist.

In dem Video stehen also Menschen im Stau in Richtung Kiewer Innenstadt. So beschreiben es auch mehrere Beiträge in sozialen Medien, die bereits im August 2022 erschienen. Am 21. August 2022 veröffentlichte das Community-Portal DTP, das über Verkehrs- und Verbrechensmeldungen aus Kiew berichtet, auf seiner Instagram-Seite das Stau-Video. Offenbar hatte es eine Userin geschickt, deren Name auch in den damals wie heute verbreiteten Videos erkennbar ist.

Zu dem Video schreibt DTP: «Gerade gibt es einen großen Stau auf der Schytomyr-Autobahn. Eine große Zahl von Menschen versucht durchzukommen, bevor die Sperrstunde beginnt.» Die Existenz der Sperrstunde, damals zwischen 23 Uhr abends und 5 Uhr morgens, ist in Medienberichten und auf einer ukrainischen Informationsseite dokumentiert.

Ähnliches schrieb ein Telegram-Kanal mit Nachrichten aus Kiew am 22. August 2022: «Jeder, der gestern Kiew besucht hat, weiß, dass der Stau am Eingang in Richtung Kiew nicht stadtauswärts war.»

Am Dienstag, 18. Juli 2023, äußerte sich das Nachrichtenportal DTP auch zu den kursierenden Falschmeldungen über den Stau in einem Instagram-Beitrag. Es veröffentlichte mehrere Screenshots des Stau-Videos und schrieb dazu: Russische Propaganda würde mit dem Bildmaterial aus 2022 falsche Informationen verbreiten. Außerdem zeige das Video einen Stau in Richtung Kiew, nicht aus der Stadt heraus.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar kommt es in Kiew regelmäßig zu mehr Staus, etwa aufgrund von Beschränkungen, Kontrollen oder Bauarbeiten. Es gibt keinen Beleg dafür, dass es am Tag nach der Zerstörung an der Krimbrücke tatsächlich einen 25 Kilometer langen Stau aus der Stadt heraus gab. Das bestätigte auch ein dpa-Korrespondent, der aus Kiew berichtet. Zu der Behauptung finden sich auch keine verifizierten Berichte oder Bilder in sozialen Medien, über Suchmaschinen oder auf einer ukrainischen Seite, die regelmäßig über große Staus berichtet.

Berichtigung

Im ersten Satz wurde der Monat berichtigt - Juli statt August, zum besseren Verständnis wurde die Jahreszahl 2023 eingefügt.
Im siebten Absatz wurde eine Jahreszahl berichtigt: 21. August 2022 statt 2021.

(Stand: 19.07.2023/aktualisiert: 27.07.2023)

Links

Wie eine Bilderrückwärtssuche funktioniert (archiviert)

Telegram-Beitrag mit Video vom 21.08.2022 (archiviert)

Weiterer Telegram-Beitrag mit Video vom 21.09.2022 (archiviert)

Ungefährer Aufnahmeort des Videos (archiviert)

Eintrag der Shell-Tankstelle (archiviert)

Ansicht bei Google Street View (archiviert)

Community-Nachrichtenportal DTP aus Kiew zur Behauptung (archiviert)

Posting des Community-Portals DTP mit Video am 21. August 2022 (archiviert)

Erwähnung der Sperrstunde in Kiew in Bericht der «taz» (archiviert)

Archivansicht einer Informationsseite zur Sperrstunde vom 28.09.2022

Kiewer Nachrichtenseite auf Telegram zu falschen Behauptungen (archiviert)

Ukrainische Nachrichtenseite «Obozrevatel» mit Staumeldungen (archiviert)

Facebook-Beitrag mit der Behauptung (archiviert, Video archiviert)

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