Kulturkampf ums Geschlecht
Verzerrte Diskussion über «Bonusloch» statt «Vagina»
13.7.2023, 18:55 (CEST)
Es ist ein kleines Wort, doch die Empörung ist groß. Um Transmänner oder nicht-binäre Personen nicht vor den Kopf zu stoßen, solle das weibliche Geschlechtsorgan künftig «Bonusloch» (Englisch: «bonus hole») genannt werden, zitieren Medien eine britische Wohltätigkeitsorganisation. Es wird die Behauptung verbreitet, auch biologische Frauen, die weder trans noch nicht-binär sind, sollten als «Menschen mit Bonusloch» bezeichnet werden.
Bewertung
Falsch. Es handelt sich um einen nicht-bindenden, sprachlichen Vorschlag einer einzelnen Organisation für die medizinische Versorgung bei Transmenschen und Nicht-Binären. Von einer Forderung, im Allgemeinen das Wort «Bonusloch» anstelle von «Vagina» zu verwenden, ist im zitierten Glossar überhaupt keine Rede.
Fakten
Der als frauenfeindlich kritisierte Ausdruck «Bonusloch» steht seit spätestens 2020 im Netz. «Bonusloch - ein alternatives Wort für die Vagina. Es ist wichtig zu prüfen, welche Wörter jemand am liebsten verwenden würde», schreibt die Wohltätigkeitsorganisation Jo's Cervical Cancer Trust in einem Glossar, das sich an Ärzte und Pflegekräfte wendet, die Transmänner oder nicht-binäre Personen unterstützen. Alternativ sei auch «front hole» möglich, also «Vorderloch».
Als Transmenschen oder Transgender werden Menschen bezeichnet, die sich dem Geschlecht, das ihnen bei Geburt zugeschrieben wurde, nicht zugehörig fühlen. Nicht-binäre Menschen ordnen sich nicht oder nur teilweise in die Kategorie Frau oder Mann ein.
Von einer Forderung, das eine Wort anstelle des anderen zu verwenden, ist im Glossar überhaupt keine Rede. Vielmehr macht Jo's Trust deutlich: «Die richtige Sprache zu verwenden, wenn man sich auf die geschlechtliche Identität einer Person bezieht, ist eine einfache und wirksame Möglichkeit, Unterstützung und Anerkennung zu zeigen.»
Aktivisten betonen, es handele sich um einen Hinweis einer einzelnen Organisation, der einen kleinen Teil der Bevölkerung betreffe.
Doch in Großbritannien reagieren konservative Kommentatoren empört. «Das Wort "Vagina" ist jetzt so beleidigend, dass wir den Begriff "Bonusloch" verwenden müssen», schäumt die Kolumnistin Annabelle Sanderson in der Zeitung «Daily Express». Die «Daily Mail» ätzt: «Ist "Bonusloch" der bisher verrückteste Euphemismus in der Transdebatte?»
Die politische Überkorrektheit habe einmal mehr zugeschlagen, heißt es in Kommentaren. Die Aufregung fügt sich nahtlos ein in einen zunehmend schriller geführten «Kulturkrieg».
Auch die konservative Partei in Großbritannien spielt dabei mit. Bei der für 2024 geplanten Parlamentswahl solle sich die Tory-Kampagne auf «eine Mischung von Kulturkriegen und Transdebatte» konzentrieren, sagte Vize-Generalsekretär Lee Anderson vor kurzem. «In der Konservativen Partei hören wir auf echte Menschen, nicht auf linke sogenannte Wohltätigkeitsorganisationen und Aktivisten.»
«Die Tories müssen den Kulturkampf kämpfen - oder sterben», kommentiert der «Telegraph»-Kolumnist Tim Stanley.
Seit 13 Jahren sind die Konservativen in Großbritannien an der Regierung. Doch immer wieder zeigen sie sich als Opfer einer angeblich vornehmlich linken Gesellschaft, die eine politisch überkorrekte Sprache durchsetzen würde.
Gegner werfen den Konservativen Doppelmoral vor. Diese kritisierten angebliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit, gingen aber selbst hart gegen diejenigen vor, die anderer Meinung seien.
(Stand: 13.7.2023)
Links
Krebsorganisation Jo's Cervical Cancer Trust über «Bonusloch» (archiviert am 15.9.2020)
«Nicht-binär» im LSBTIQ-Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung (archiviert)
«Transgender» im LSBTIQ-Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung (archiviert)
«pride.com» über Debatte (archiviert)
«Daily Express» über Debatte (archiviert)
«Daily Mail» über Debatte (archiviert)
«The New European» über Anderson-Aussagen (archiviert)
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