Keine Restriktionen verkündet

Verfassungsschutz sprach über mögliche neue Themen von Verfassungsfeinden

12.7.2023, 17:26 (CEST)

Manchmal sind Zitate nicht mehr richtig verständlich, wenn sie aus dem Kontext gerissen werden. Das hat im Fall eines Videos über die Arbeit des Verfassungsschutzes für Verwirrung gesorgt.

Über die Klimaschutzpolitik der Regierung wird immer wieder kontrovers gestritten. Doch in einem Video, das sich in sozialen Medien verbreitet, wird behauptet: Ausgerechnet der Verfassungsschutz habe Klimaschutzmaßnahmen angekündigt. In dem Video wird eine Aussage des Verfassungsschutzes zitiert. Dann sagt der Sprecher in dem Video: «Also der Geheimdienst verkündet jetzt Restriktionen aus Klimaschutzgründen.» Es werde Restriktionen beim Thema Klimaschutz geben «und wenn ich dagegen bin, dann werde ich ein Fall für den Verfassungsschutz. Dann überwacht mich der Geheimdienst», schlussfolgert der Sprecher weiter. Der Verfassungsschutz habe damit eine politische Maßnahme verkündet. Doch das stellt den zitierten Satz in einen Zusammenhang, den das Originaldokument nicht hergibt.

Bewertung

Der zitierte Satz stammt aus dem Verfassungsschutzbericht 2022. Er bezieht sich aber auf eine Einschätzung, auf welche politischen Themen sich verfassungsfeindliche Gruppen in der Zukunft konzentrieren könnten. Es geht nicht um konkrete politische Maßnahmen oder legitime Kritik an der Regierung.

Fakten

Der im Video zitierte Satz stammt aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht 2022. Er steht dort auf Seite 121 und bezieht sich auf eine Einschätzung des Verfassungsschutzes zum Phänomenbereich «Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates».

Diese neue Kategorie hatte der Verfassungsschutz 2021 definiert. Bei der sogenannten Delegitimierer-Szene geht es um Menschen, die nicht dem klassischen Rechts- oder Linksextremismus zuzuordnen sind, und nach Einschätzung des Verfassungsschutzes versuchen, «Verfassungsgrundsätze außer Kraft zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen zu beeinträchtigen.»

Legitimer Protest soll damit nicht gemeint sein: «Dieses Vorgehen geht weit über eine rechtlich zulässige Kritik an Regierung, Politik und Staat hinaus», schreibt der Verfassungsschutz. Der Satz bezieht sich also nicht auf ein Engagement gegen eine bestimmte Politik, sondern darauf, Demokratie und staatliche Institutionen in Frage zu stellen - dieser Kontext fehlt in dem Video.

Der Verfassungsschutz schuf diese Kategorie, weil sich einzelne Teile der Proteste gegen Corona-Schutzmaßnahmen radikalisiert hatten. Nach der Pandemie sei allerdings eine «thematische Umorientierung» der Delegitimierer-Szene beobachtet worden.

In Bezug auf solche neuen Themen fällt auch der Satz, der im Video zitiert wird: «Langfristig ist auch eine verstärkte verfassungsschutzrelevante Agitation zum Beispiel gegen staatliche Klimaschutzmaßnahmen und damit einhergehende Restriktionen denkbar, um auch solche Proteste im Sinne ihrer verfassungsfeindlichen Agenda zu instrumentalisieren.»

Der Verfassungsschutz hält es also für möglich, dass Personen, die eine verfassungsfeindliche Agenda verfolgen, in der Zukunft Proteste gegen Klimaschutzmaßnahmen oder Restriktionen für ihre Ziele vereinnahmen könnten.

Eine Sprecherin des Bundesamts für Verfassungsschutz verneinte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa), dass die Behörde damit eine Aussage über aktuelle oder kommende Klimapolitik treffe. «Die zitierte Aussage bezieht sich nicht auf konkrete Klimaschutzmaßnahmen».

Das sogenannte Delegitimierungsspektrum suche seit Ende der Pandemieschutzmaßnahmen nach anschlussfähigen Themen. «In diesem Kontext wurde unter anderem die Agitation gegen staatliche Klimaschutzmaßnahmen als mögliches neues Schwerpunktthema durch das Delegitimierungsspektrum thematisiert», teilte die Sprecherin des Verfassungsschutzes mit.

Ob sich ein bestimmtes politisches Engagement tatsächlich gegen die Verfassung richtet, ist oft umstritten und kann Gegenstand von Gerichtsverfahren sein. Der Verfassungsschutz sieht es so: «Die Grenze zu verfassungsschutzrelevanten extremistischen Bestrebungen wird überschritten, wenn Verhaltensweisen darauf gerichtet sind, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder sogar zu beseitigen», teilte eine Sprecherin mit.

(Stand: 12.07.2023)

Links

Verfassungsschutzbericht 2022 mit zitiertem Satz (archiviert)

dpa-Bericht über Einführung des Phänomenbereichs «Delegitimierung des Staates» (archiviert)

Informationen des BfV über den neuen Phänomenbereich «Delegitimierung des Staates» (archiviert)

Tiktok-Video mit der Behauptung (archiviert, Video archiviert)

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