82 Prozent sind irreführend
Tage mit Stromimporten sagen nichts über die Menge aus
13.7.2023, 14:06 (CEST)
Nach Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke (AKW) Mitte April liegen in Deutschland die Strom-Importe höher als die Exporte. In der Diskussion um einen eventuellen Weiterbetrieb der Meiler kommt die Behauptung auf, «satte 82 Prozent unseres Strombedarfs müssen unsere europäischen Nachbarn decken». Kann es sein, dass Deutschland den Großteil seines benötigten Stroms importieren muss?
Bewertung
Falsch. Bei den 82 Prozent, über die etwa die «Bild»-Zeitung berichtet, handelt es sich um die prozentuale Anzahl der Tage in einem Zeitraum nach dem AKW-Aus, an denen Deutschland neben Exporten auch Strom importiert hat. Eine Aussage über die Menge lässt sich daraus aber überhaupt nicht ableiten. Tatsächlich lag zuletzt die Höhe des importierten Stroms im Vergleich zur gesamten Stromerzeugung in Deutschland im niedrigen Prozentbereich.
Fakten
Deutschland ist ein sogenanntes Stromtransitland innerhalb der EU. Das bedeutet: Es wird Strom importiert und exportiert und damit im Staatenbund dahin weitergereicht, wo er benötigt wird. Der gemeinsame Strommarkt in Europa soll durch die gewollte Zusammenarbeit mit den anderen Ländern ermöglichen, Geld und Emissionen einzusparen.
Die in sozialen Netzwerken verbreiteten 82 Prozent stammen aus dem Artikel der «Bild». Bei der prozentualen Angabe handelt es sich nicht um den Anteil des importierten Stroms. Das würde im Umkehrschluss auch bedeuten, dass Deutschland selbst nur 18 Prozent des benötigten Stroms produzieren würde. Beides ist falsch.
An 82 Prozent der Tage wurde Strom importiert
Die «Bild» beleuchtet in ihrem Artikel einen Zeitraum nach dem AKW-Ausstieg Deutschlands zwischen 16. April und 12. Juni 2023. Demnach wurde an 47 der 57 Tage Strom importiert - also an rund 82 Prozent der Tage. Was jedoch dieser Wert überhaupt aussagen soll, bleibt unklar. Denn diese Angabe hat keinerlei Aussagekraft über die tatsächlich importierte Strommenge.
Deutschland ist auch ein großer Stromexporteur
Denn in diesem Zeitraum - wie eigentlich immer - hat Deutschland auch Strom exportiert. Ein Blick in die Daten des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE zeigt, dass bisher im Jahr 2023 (Stand 13. Juli) rund 34 400 Gigawattstunden (GWh) Strom an Nachbarn geliefert und etwa genauso viel von dort eingeführt wurde.
Seit fast 20 Jahren mehr Stromexporte als -importe
Seit dem Jahr 2003 exportiert Deutschland Jahr für Jahr mehr Strom als es importiert. Dieser Stromaustauschsaldo, also die Differenz des Stromflusses aus dem Ausland nach Deutschland und aus Deutschland ins Ausland, befindet sich seither im Plusbereich.
Im Jahr 2022 wurde damit ein Exportüberschuss von etwa 26 000 GWh erzielt. Seit April 2023 überwiegt hingegen der Import. Das bedeutet aber nicht, dass Deutschland den Großteil seines Stroms aus dem Ausland beziehen muss.
Deutschland importiert immer mehr Strom
Deutschland hat in etwa ab dem Zeitpunkt der Abschaltung der letzten AKW mehr Strom importiert als exportiert. Nach einer Analyse der Stromdaten betrug dieser negative Saldo im April knapp mehr als 400 GWh, im Mai etwa 3500 GWh und im Juni rund 4000 GWh.
Im Vergleich zur öffentlichen Nettostromerzeugung in Deutschland sind diese Werte aber nur ein wesentlich geringerer Satz als die verbreiteten 82 Prozent: Im April stehen den 400 GWh mehr als 35 000 GWh des hierzulande produzierten Stroms gegenüber. Das entspricht also gerade einmal 1 Prozent. Im Mai sind es knapp 11 Prozent und im Juni rund 13 Prozent.
Dass in den Sommermonaten mitunter mehr Strom importiert als exportiert wird, ist aber kein Alleinstellungsmerkmal für das Jahr 2023. Schon unter anderem in den Jahren 2011, 2014, 2019, 2020 und 2021 war es so.
(Stand: 13.7.2023)
Links
Erklärungen zur Energieinfrastruktur (archiviert)
«Bild»-Artikel mit Aussage zu «82 Prozent» (hinter Paywall) (archiviert)
Strommarktdaten der Bundesnetzagentur (archiviert)
FAQ zu Strom bei AG Energiebilanzen (archiviert)
Fraunhofer-Institut zum Exportüberschuss 2022 (archiviert)
Tabelle mit Stromimporten und -exporten (archiviert)
Fraunhofer-Institut zu Strom-Importen und Exporten
Fraunhofer-Institut zu Importsaldo 2011 (archiviert)
Fraunhofer-Institut zu Importsaldo 2014 (archiviert)
Fraunhofer-Institut zu Importsaldo 2019 (archiviert)
Fraunhofer-Institut zu Importsaldo 2020 (archiviert)
Fraunhofer-Institut zu Importsaldo 2021 (archiviert)
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