Falsche Vergleichszahlen
Ein LNG-Tanker verursacht nur einen Bruchteil der Emissionen des Autoverkehrs
19.6.2023, 17:30 (CEST), letztes Update: 20.6.2023, 16:36 (CEST)
Deutschland setzt seit dem Ende der russischen Gaslieferungen verstärkt auf sogenanntes LNG-Gas, das per Tankschiff gebracht wird. Das ist umstritten - denn unter anderem kommt das Gas aus autoritär regierten Ländern wie Katar. Aber glaubt man Beiträgen auf Facebook, dann ist auch die Klimabilanz der eingesetzten Tankschiffe verheerend: Ein Schiff stoße bei zehn Tagen Fahrt so viel CO2 aus wie alle Autos der Welt in fünf Jahren, heißt es in einem oft geteilten Sharepic. Ist das so?
Bewertung
Die Angaben sind falsch. Der weltweite Verkehr stößt pro Jahr und auch in fünf Jahren weitaus mehr CO2 aus als ein Gastanker bei einer Fahrt. Die Schiffe fahren zudem nicht mit Roh- oder Schweröl, sondern mit einem Teil der Ladung.
Fakten
Will man Erdgas per Schiff transportieren, so wird es in der Regel stark heruntergekühlt und dadurch verflüssigt. Man spricht von LNG (Liquefied Natural Gas). Hintergrund ist, dass das Volumen um das 600-fache verringert wird und sich somit mehr Gas verschiffen lässt.
Die LNG-Tankschiffe werden, anders als zum Beispiel die meisten Containerschiffe, nicht mit Schweröl angetrieben. Sie nutzen einen Teil der Ladung, sogenanntes Boil-Off-Gas, das in den Tanks verdampft. Daher ist bereits die erste Annahme im Sharepic falsch. Es ist unklar, woher die Fehlinformation stammt, ein Gasfrachter verbrauche pro Tag 320 Tonnen Rohöl.
Eine Modellrechnung mit Angaben zum Seeweg und zum Gasverbrauch zeigt, dass die Emissionen eines LNG-Tankers eine ganz andere Größenordnung haben, als das Sharepic andeutet:
- Die Route aus den im Sharepic genannten «Emiraten», also den Staaten am Persischen Golf, beträgt bis in einen deutschen Hafen bei Nutzung des Suezkanals rund 7000 Seemeilen. Bei einer Geschwindigkeit von 20 Knoten wäre ein Schiff demnach rund 15 Tage unterwegs.
- Das für den Antrieb verwendete Boil-Off-Gas macht pro Tag rund 0,1 Prozent des transportierten LNGs aus. Bei 15 Tagen sind es entsprechend 1,5 Prozent. Ein durchschnittlicher Tanker fasst rund 150 000 Kubikmeter LNG. Demnach würden rund 2250 Kubikmeter LNG für den Antrieb verwendet.
- Diese Menge Gas hat einem Umrechner des Versorgers Primagas zufolge einen Brennwert von rund 16 Millionen Kilowattstunden. Wendet man für die Berechnung der CO2-Emissionen einen Faktor von 247 Gramm pro Kilowattstunde an, so ergibt sich ein theoretischer CO2-Ausstoß von rund 4000 Tonnen.
Der Autoverkehr verursacht weitaus mehr CO2. Allein für Deutschland und für das Jahr 2022 meldete das UBA einen Wert von 148 Millionen Tonnen CO2 und Äquivalenten. In der EU betrug der Wert im Jahr 2021 rund 740 Millionen Tonnen. Berücksichtigt man alle Länder der Welt und einen Zeitraum von fünf Jahren, liegt er entsprechend noch deutlich höher. Die Emissionen einer einzelnen Fahrt eines LNG-Tankers sind, der Beispielrechnung folgend, dagegen verschwindend klein.
In der Debatte um die Energieversorgung kursieren immer wieder falsche Zahlen. Die Deutsche Presse-Agentur widerlegte im April 2022 bereits einen ähnlichen falschen Vergleich von LNG-Tankern und dem Autoverkehr.
(Stand: 19.6.2023)
Links
Informationen zu LNG (archiviert)
Informationen zu Boil-Off-Gas (archiviert)
Routenplaner für Seereisen (archiviert)
Shell-Studie zu LNG (archiviert)
Flüssiggas-Rechner des Versorgers Primagas (archiviert)
Energieanbieter Polarstern zur CO2-Bilanz von Gas (archiviert)
UBA-Angaben für den Verkehrssektor 2022 (archiviert)
Statistisches Bundesamt zu EU-weiten Emissionen 2021 (archiviert)
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