Budanow in Berlin?
«Stern»-Bericht über Behandlung von ukrainischem Geheimdienstchef ist erfunden
19.6.2023, 17:53 (CEST)
Wie geht es Kyrylo Budanow? Diese Frage sorgt in sozialen Netzwerken derzeit für Spekulationen. Bei Facebook verbreiten User die Behauptung, der Chef des ukrainischen Militärnachrichtendienstes liege im Koma und werde in einem Berliner Krankenhaus behandelt. Dabei stützen sich einige User auf einen angeblichen Medienbericht aus Deutschland: «Dies berichtet die deutsche Ausgabe des Sterns unter Berufung auf eine anonyme Quelle in der medizinischen Einrichtung.» Auch in einem Artikel wird auf den «Stern» als Quelle verwiesen. Doch hat das Nachrichtenmagazin das wirklich so berichtet?
Bewertung
Der angebliche «Stern»-Bericht über den Gesundheitszustand von Kyrylo Budanow existiert nicht. Wie der «Stern» auf seiner Webseite klarstellt, hat es diesen Bericht auch nie gegeben, denn der Bericht ist erfunden. Derweil ist der aktuelle Gesundheitszustand des Geheimdienstchefs unklar. Für einen Aufenthalt in Berlin lassen sich keine Belege finden.
Fakten
Laut den Beiträgen im Netz habe das Nachrichtenmagazin «Stern» angeblich in der deutschen Ausgabe über eine Behandlung von Kyrylo Budanow in einem Berliner Krankenhaus berichtet. In einem Artikel, der wiederum den vermeintlichen «Stern»-Bericht als Quelle nennt, soll der Militärgeheimdienstchef eine «schwere Kopfverletzung» erlitten haben. Auf der Webseite des «Stern» lässt sich mit entsprechenden Stichworten allerdings kein solcher Artikel finden (hier und hier).
Was sich hingegen finden lässt, ist eine Klarstellung vom 17. Juni 2023. Wie das Nachrichtenmagazin schreibt, war in pro-russischen Telegram-Kanälen zuvor ein vermeintlicher «Stern»-Artikel erwähnt worden. Doch den hat es nie gegeben: «Der Stern hat keine derartige Nachricht veröffentlicht.» Die Quelle wurde also erfunden und dient offenbar dazu, den Spekulationen über den Gesundheitszustand Budanows Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Keine Belege für angeblichen Aufenthalt in Berlin
Hintergrund der Spekulationen ist ein Artikel der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria-Nowosti. Diese hatte am 15. Juni 2023 einen Bericht veröffentlicht, laut dem Budanow bereits am 29. Mai bei einem russischen Raketenangriff auf das Gebäude des Geheimdienstes in Kiew verletzt worden sei. Die Agentur behauptet, dass die Information von russischen Strafverfolgungsbehörden stamme, die diese aus Quellen im ukrainischen Geheimdienst hätten. Laut dem Artikel werde Budanow nun angeblich von deutschen Ärzten behandelt und befinde sich im «Bundeswehrkrankenhaus in Berlin».
Gegenüber «t-online» dementierte eine Quelle im ukrainischen Präsidentenbüro - «die nicht zitiert werden möchte» - die Meldung der russischen Agentur. Russische Quellen hätten begonnen, Falschmeldungen unter anderem über «Budanows Verletzung» zu verbreiten, heißt es in dem «t-online»-Bericht. Auch ukrainische Medien berichten aktuell über ähnliche Dementis.
Derweil konnte das Bundeswehrkrankenhaus Berlin aus Datenschutzgründen keine Angaben zu einer angeblichen Behandlung Budanows machen. Auch eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums erklärte auf dpa-Anfrage, dass man «zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Patientinnen und Patienten» zu entsprechenden Anfragen grundsätzlich keine Aussagen treffen könne.
Für einen Aufenthalt von Budanow in Berlin lassen sich keine Hinweise finden. Laut der Sprecherin des Verteidigungsministeriums seien am Bundeswehrkrankenhaus «die Sicherheitsmaßnahmen der aktuellen Situation angemessen» und «gegenüber den vorherigen Wochen nicht verändert» worden. Das spricht zumindest gegen eine Behandlung des Geheimdienstchefs in Berlin. Zum Vergleich: Als der Kremlkritiker Alexej Nawalny 2020 in der Berliner Charité behandelt wurde, waren die Sicherheitsvorkehrungen an der Einrichtung deutlich erhöht worden, berichtete etwa das «Handelsblatt». Grund dafür war demnach jedoch auch, dass Nawalny als Gast der Bundeskanzlerin eingestuft wurde.
Die Agentur Ria-Nowosti geht in ihrem Bericht unterdessen auch auf Flugdaten von «Flightradar24» ein, die die Geschichte belegen sollen. Demnach sei Kyrylo Budanow nach seiner angeblichen Verletzung zum Militärstützpunkt Rzeszow gebracht und von dort weiter nach Berlin geflogen worden. Der Transport sei mit einem Flugzeug für Krankentransporte der US Air Force in Ramstein durchgeführt worden, heißt es. In den «Flightradar24»-Daten lässt sich tatsächlich ein «Learjet C-21A» der US Air Force mit einem Flug von Ramstein nach Rzeszow am 29. Mai 2023 finden. Etwas später am selben Tag hob das Flugzeug zudem mit unbekanntem Ziel wieder ab. Die Existenz eines solchen Fluges ist allerdings weder ein Beleg dafür, dass der Militärgeheimdienstchef der Ukraine an Bord der Maschine war, noch dass dieses Flugzeug später nach Berlin flog.
(Stand: 19.6.2023)
Links
«Stern»-Klarstellung vom 17. Juni 2023 (archiviert)
Suche nach Schlüsselwörtern 1 (archiviert)
Suche nach Schlüsselwörtern 2 (archiviert)
Übersicht der «Stern»-Berichte zu Kyrylo Budanow (archiviert)
Über das Bundeswehrkrankenhaus Berlin (archiviert)
Artikel von Ria-Nowosti (archiviert)
«t-online»-Bericht über angebliche Behandlung in Berlin (archiviert)
«Focus.ua» zu Dementi von Budanows Stellvertreter (archiviert)
Bericht über Sicherheitsmaßnahmen während Nawalny-Behandlung 2020 (archiviert)
Flugzeug 84-0087 bei «Flightradar24» (archiviert)
Artikel mit Verweis auf erfundenen «Stern»-Bericht (archiviert)
Über dpa-Faktenchecks
Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.
Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.
Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.
Schon gewusst?
Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.