Effekt der Oberflächenhaftung

Keine Hinweise auf magnetische Bestandteile in Lebensmitteln

12.6.2023, 16:10 (CEST)

Dass Corona-Impfstoffe angeblich magnetische Bestandteile enthalten, haben Faktenprüfer längst widerlegt. Nun sind ähnliche Videos mit Lebensmitteln aufgetaucht. Mit Magnetismus hat das nichts zu tun.

In sozialen Netzwerken machen derzeit Videos die Runde, in denen angeblich magnetische Lebensmittel zu sehen sind. «Leute passt auf beim Einkaufen», heißt es in einem Clip bei Tiktok. Ein Magnet wird darin zunächst auf einer Käse-Verpackung hin- und hergerieben, bevor er anschließend an der Verpackung haftet. Ein ähnliches Video zeigt denselben Effekt mit einem eingepackten Lachsfilet. Die Videos sollen offenbar den Eindruck erwecken, dass die Lebensmittel verunreinigt seien - etwa durch metallische Bestandteile. Entsprechend mutmaßen einige User in den Kommentarspalten.

Bewertung

Die Beiträge sind irreführend: Es gibt keine Hinweise auf eine Verunreinigung der Lebensmittel. Wie Supermarktketten auf dpa-Anfrage erklärten, werden zur Qualitätssicherung bei der Herstellung unter anderem Metalldetektoren eingesetzt, die metallisch belastete Produkte herausfiltern. Der Effekt der Oberflächenhaftung hat derweil nichts mit Magnetismus zu tun.

Fakten

In dem ersten Clip wird der angebliche Magnetismus-Effekt unter anderem anhand des Produkts «ja!»-Butterkäse, einer Eigenmarke der Supermarktkette Rewe, demonstriert. Auf dpa-Nachfrage erklärte ein Rewe-Sprecher: «Selbstverständlich enthalten weder der »ja!«-Butterkäse noch die Verpackung magnetische Bestandteile. In den Produktionslinien unserer Lebensmittellieferanten ist ein Metalldetektor am Ende der Verpackungsstufe Standard als Maßnahme der Qualitätssicherung.» So würden alle Produkte, die metallische Bestandteile hätten, sofort aussortiert werden.

Das zweite kursierende Tiktok-Video stammt offenbar aus einem französischsprachigen Land. Bei Sekunde 15 ist eine Verpackung mit der Aufschrift «SAUMON ASC» zu sehen - «saumon» ist der französische Begriff für Lachs. Bei «Filet de saumon» handelt es sich entsprechend um ein Lachsfilet. Laut der Online-Lebensmitteldatenbank «Open Food Facts» wird das Produkt unter anderem vom Supermarkt Lidl vertrieben. Das Filet ist entsprechend auch auf der Lidl-Webseite für die Schweiz zu finden.

Lidl teilte auf Nachfrage mit: «Eine magnetische Wirkung des gezeigten Produktes ist auszuschließen.» Die Aufnahme von metallischen Fremdkörpern über den Magen-Darm-Trakt des Fisches in dessen Muskelgewebe sei ebenfalls ausgeschlossen. Laut Lidl unterliegen alle Artikel umfangreichen Qualitätskontrollen. «Auch unser Lieferant für das im Video gezeigte Produkt konnte uns bestätigen, dass der Lachs keine Metalle enthält.» Wie auch bei Rewe würden die Produkte durch den Lieferanten mithilfe eines Metalldetektors auf enthaltene Metallpartikel geprüft. Die Produktverpackung bestehe zudem aus Kunststoff und sei ebenfalls nicht magnetisch.

Auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) teilte auf Anfrage mit: «Uns liegen zum angeblichen Magnetismus in Lebensmitteln und den in diesem Zusammenhang gestellten Fragen keine Informationen vor.»

Was könnte der Grund für den haftenden Effekt sein?

Magnetisch sind die Lebensmittel laut den Händlern und Herstellern nicht, doch der Magnet haftet augenscheinlich an den Produkten. Was könnte der Grund dafür sein?

Die Videos erinnern an ähnliche Clips, die vor einiger Zeit zur Covid-Impfung kursierten: Damals ging es um Menschen, deren Arme magnetisch sein sollten - angeblich an der Stelle, wo sie zuvor geimpft worden waren. Die Videos sollten fälschlicherweise als Beleg dafür herhalten, dass den Personen mit der Impfung angeblich etwas aus Metall in den Körper gespritzt wurde, was die dpa in einem Faktencheck widerlegte.

Das Bundesgesundheitsministerium hatte in einer Infografik seinerzeit klargestellt: «Dass in einigen Videos (...) Magnete an der Einstichstelle haften, liegt an der sogenannten Adhäsions- oder auch Anhangskraft. Diese kann durch Schweiß, Fett oder Öle auf der Hautoberfläche verstärkt werden.»

Die Adhäsionskraft ist eine Kraft, bei der eine Anziehung zwischen Teilchen verschiedener Körper wirkt. Sie wird auch Oberflächenhaftung genannt. Beispiele dafür sind etwa die Haftung von Wassertropfen auf einer Scheibe oder eben das Haften eines kleinen Magneten sowie anderer leichter Plättchen (z. B. Münzen) auf der Hautoberfläche. Neben körpereigenen Stoffen wie Schweiß können auch Rückstände eines Pflasters oder Körpercreme einen Gegenstand kurzzeitig auf der Haut haften lassen.

Medizin-Professor konnte Video mit Sonnenblumenöl nachstellen

Die dpa hat die beiden Tiktok-Videos Gerhard Samulat von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft vorgelegt und um Einschätzung gebeten, was es mit dem Effekt auf sich haben könnte. Der Physik-Experte geht davon aus, dass auch in diesem Fall die Adhäsion das «Zauberwort» ist.

Für den Adhäsionseffekt als mögliche Ursache spricht, dass sich etwa das Lachsfilet in dem Tiktok-Video in einem Kühlregal befindet. So ist zum Ende des Clips bei Sekunde 15 zu sehen, wie der Urheber eine Schiebetür schließt. Schaut man sich das Video genau an, sieht es so aus, als sei die gekühlte Verpackung leicht feucht. In dem Video mit dem Butterkäse haftet der Magnet auch direkt am Käse - der wie auf der Verpackung angegeben 45 Prozent Fett in Trockenmasse (i. Tr.) enthält. Wie zuvor erwähnt, können Fett und Feuchtigkeit den Effekt der Adhäsion verstärken.

Zudem hat sich Mark Ladd, Professor für Medizinische Physik in der Radiodiagnostik und Biophysik am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, die Videos angesehen. Ladd konnte mit etwas Sonnenblumenöl ebenfalls einen Magneten am Arm haften lassen. Auch mit einer Käsepackung konnte er denselben Effekt nachstellen: «Ich konnte die Packung auf den Kopf drehen, und der Magnet ist nicht abgefallen», teilte er mit.

Dass Hämoglobin - genauer gesagt, dass Eisen als natürlicher Bestandteil im Körper und in Fleisch - den Effekt hervorruft, schließt der Professor für Medizinische Physik aufgrund der Größe der verwendeten Magneten hingegen aus. Damit menschliches Gewebe überhaupt auf einen Magneten anspringt, bedürfe es schon einem sehr starken und speziellen Magneten. Ähnlich hatte sich auch Jaydee Hanson, politischer Direktor am Center for Food Safety, einer Nicht-Regierungsorganisation (NGO) in den USA, gegenüber den Faktenprüfern von AFP geäußert.

Keine Hinweise auf Graphen oder Metall in Impfung oder Lebensmittel

Derweil kursieren solche Videos nicht nur in Deutschland oder in französischsprachigen Ländern. Wie der AFP-Faktencheck zeigt, gingen entsprechende Videos auch in den USA viral. Auch dort teilten die Behörden mit, dass Magnete «aufgrund der Textur, des Winkels oder der Feuchtigkeit des Produkts» an Fleisch und Geflügel haften bleiben. «Das bedeutet jedoch nicht, dass sich Metall im Fleisch oder Geflügel befindet.» Laut AFP gehören etwa Metalldetektoren auch in vielen US-Lebensmittelbetrieben zu den Überwachungsmaßnahmen, um eine metallische Kontamination zu verhindern.

In dem Tiktok-Clip mit dem Lachsfilet sieht der Urheber unterdessen «Graphen» als Ursache für den Effekt, wie er zum Ende des Clips auf Französisch sagt. Im Netz verbreiten User ähnliche Videos ebenfalls mit Verweis auf «Graphen» und die mRNA-Impfstoffe. Gemeint ist damit Graphenoxid, ein sogenanntes Nanomaterial. Wie die dpa aber bereits in mehreren Faktenchecks widerlegt hat, enthalten die Corona-Impfstoffe weder magnetischen Materialien wie Metall noch Graphenoxid. Darüber hinaus erklärte Lidl in diesem Zusammenhang: «Zudem findet die im Beitrag angedeutete Technik des «Graphen» in der Lebensmittelindustrie und explizit bei unseren Produkten keine Anwendung.»

(Stand: 9.6.2023)

Links

«ja!»-Butterkäse (archiviert)

«Open Food Facts» über ASC Lachsfilet 600g (archiviert)

ASC Lachsfilet bei Lidl Schweiz (archiviert)

Über das BVL (archiviert)

dpa-Faktencheck zu angeblich magnetischen Corona-Impfstoffen

Tweet Bundesgesundheitsministerium (archiviert)

Über die Deutsche Physikalische Gesellschaft (archiviert)

Mark Ladd auf der Seite des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) (archiviert)

Über Eisen als Bestandteil des Körpers (archiviert)

AFP-Faktencheck (archiviert)

Über das Center for Food Safety (archiviert)

Artikel über Nanomaterialien (archiviert)

Graphenoxid Hintergrund (archiviert)

dpa-Faktencheck zu Behauptung über Graphenoxid in Corona-Impfstoffen

Facebook-Post (archiviert / archiviertes Video)

Tiktok-Video 1 (archiviert)

Tiktok-Video 2 (archiviert)

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