Bundestag dementiert
Tag der Befreiung 2023: Kein Sowjet-Banner auf Reichstagsgebäude
8.5.2023, 18:30 (CEST), letztes Update: 11.5.2023, 14:27 (CEST)
Jedes Jahr am 8. Mai wird an die deutsche Kapitulation im Zweiten Weltkrieg erinnert. Untrennbar damit verbunden ist für viele das Bild eines sowjetischen Soldaten, der auf dem Reichstag in Berlin eine rote Fahne mit Hammer und Sichel hisst. Nun, am 8. Mai 2023, weht angeblich wieder eine solche Fahne auf dem Reichstagsgebäude, dem Sitz des deutschen Bundestages. Das behaupten Nutzerinnen und Nutzer in den sozialen Netzwerken und stützen sich dabei auf angebliche Fotos und Videos, die die Fahne zeigen sollen.
Bewertung
Es gibt keinerlei Belege, dass die Aufnahmen authentisch sind. Die Bundestagsverwaltung teilt auf Anfrage mit, dass ihr ein solcher Vorfall nicht bekannt sei - auch nicht in der jüngeren Vergangenheit. Vom 8. Mai 2023 stammen die angeblichen Aufnahmen in keinem Fall. Das zeigen Details in den Bildern und Videos.
Fakten
Am Morgen des 8. Mai 2023 ploppen sie plötzlich in den sozialen Netzwerken auf: Fotos und Videos, die das «Banner des Sieges», eine sowjetische Flagge mit Hammer und Sichel über dem Westportal des Reichstagsgebäudes mit der Inschrift «Dem deutschen Volke» zeigen sollen. Die Aufnahmen passen jedoch aus mehreren Gründen nicht zu dem vermeintlichen Zeitpunkt.
Der Bundestagsverwaltung ist kein Vorfall mit einer solchen Flagge bekannt, wie sie am Montag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mitteilt. «Dort wehen allein auf den vier Türmen, wie gehabt, die deutschen und eine Europaflagge», erklärt ein Sprecher.
Auch das Wetter in den angeblichen Videosequenzen passt nicht zu den aktuellen Verhältnissen. Während der Himmel in den verbreiteten Clips eher grau und von Wolken bedeckt ist, scheint im Berliner Zentrum am Montag bei frühlingshaften Temperaturen die Sonne von einem strahlend blauen Himmel.
Genauso stimmt die Vegetation nicht überein. Mittlerweile tragen die Bäume deutlich mehr Blätter als auf einigen der Aufnahmen im Netz. Dazu kommt: In einem der Videos, die vermeintlich vom Morgen des 8. Mai 2023 stammen sollen, scheint die Sonne auf die Westfassade des Reichstagsgebäudes. Doch das ist nur an Nachmittagen möglich.
Das Video fällt auch aus der Reihe, weil Hammer und Sichel in diesem anders angeordnet sind als auf den anderen angeblichen Aufnahmen. Die Sichel befindet sich hier links und der Hammer ragt nach rechts. Ein Widerspruch, denn auf mindestens zwei der anderen Bilder und Videos ist es, bei gleicher Ausrichtung der Fahne, genau anders herum. Offenbar gab es bei der mutmaßlichen Bildbearbeitung kein einheitliches Vorgehen.
Ältere, dafür echte Aufnahmen? Dafür fehlen Belege
Handelt es sich also möglicherweise um Bilder, die schlicht einige Wochen alt sind? Auch dafür gibt es keine Belege. Der Bundestagsverwaltung ist auch aus der Vergangenheit, etwa den vergangenen Wochen, kein derartiger Vorfall bekannt. Aufnahmen der Fahne mit einem Datum vor dem 8. Mai 2023 lassen sich im Netz nicht finden. Es gibt auch keine Berichte über einen solchen Vorfall. Die Bilder kursieren erst seit Montagvormittag, unter anderem in russischsprachigen Kanälen des Messengerdienstes Telegram.
Es liegt nahe, dass es sich um aufwendig manipulierte Bilder handelt. Die angeblichen Aufnahmen wurden offenbar gezielt am diesjährigen 8. Mai veröffentlicht. Sie widersprechen sich aber auch gegenseitig etwa bei Vegetation, Schattenwurf und Wetter. Sie können daher nicht an ein und demselben Tag aufgenommen worden sein.
(Stand: 10.5.2023)
Aktualisierung
Wir haben am 10.5.2023 den drittletzten Absatz mit Angaben zur abweichenden Ausrichtung von Hammer und Sichel in den unterschiedlichen Aufnahmen ergänzt.
Links
Bundeszentrale für politische Bildung zum 8. Mai (archiviert)
Bundestag über Foto des sowjetischen Soldaten (archiviert)
«Banner des Sieges» auf einem Archivfoto von Getty Images (archiviert)
Webcam mit Tiergarten und Reichstagsgebäude im Hintergrund (archiviert; archivierte Aufnahme vom 8.5.2023)
Video auf Twitter mit Sonne aus Westen (archiviert; archiviertes Video)
Beitrag auf Telegram (Russisch) (archiviert)
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