Gesetz existiert bereits
Wohnungskündigung nur bei berechtigtem Interesse
9.3.2023, 18:12 (CET), letztes Update: 9.3.2023, 18:22 (CET)
In Deutschland fehlen derzeit laut einer aktuellen Studie im Auftrag des Bündnisses «Soziales Wohnen» rund 700 000 Wohnungen. Der Deutsche Mieterbund nennt das ein «Rekord-Wohnungsdefizit». Dieser Wohnungsmangel führt auch in sozialen Netzwerken immer wieder zu Diskussionen. Aktuell ist in einem Beitrag bei Facebook zu lesen, es müsse ein Gesetz geschaffen werden, damit «Mieter nicht für die Aufnahme von Migranten aus ihren Wohnungen geschmissen werden können.» Können Mietverträge deswegen überhaupt gekündigt werden?
Bewertung
Private Vermieter dürfen Wohnraummietverträge nur mit berechtigtem Interesse kündigen. Städte oder Gemeinden können zwar ein öffentliches Interesse an von ihnen vermieteten Wohnungen anmelden, das muss jedoch im Verhältnis zu den Interessen der Mieter stehen, die in der Regel überwiegen.
Fakten
Das Wohnraummietrecht wird in Deutschland im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Auch für die Beendigung von vor allem unbefristeten Mietverhältnissen sind hier Bestimmungen festgelegt: Laut § 573 BGB können Vermieter eine Wohnung nur mit «berechtigtem Interesse» kündigen. Zum Beispiel bei wiederholten Verstößen der Mietpartei gegen ihre Pflichten, aber auch im Fall von Eigenbedarf oder unter gewissen wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
So kann Eigenbedarf nur geltend gemacht werden, wenn der Wohnraum für die Eigentümer selbst, direkte Angehörige der Familie oder des Haushalts benötigt wird. Zur alternativen Unterbringung von Geflüchteten kann Eigenbedarf also nicht angeführt werden.
Darüber hinaus steht Vermietern zwar grundsätzlich eine «angemessene wirtschaftliche Verwertung» ihres Eigentums zu, allerdings sind diesen Interessen ebenfalls per Gesetz klare Grenzen gesetzt: So sind etwa Kündigungen ausgeschlossen, um durch Neuvermietung höhere Mieten zu erzielen oder das Wohneigentum zu veräußern.
Diese Kündigungsvoraussetzungen gelten für private Vermieter ebenso wie für Immobilienfirmen oder Wohnungsbaugesellschaften, teilte der Berliner Mieterverein der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Anfrage mit. Wohnraummietverträge könnten «nicht einfach so» gekündigt werden, um darin Geflüchtete unterzubringen.
Das öffentliche Interesse an Wohnraum
Grundsätzlich sind diese Regeln auch für kommunale Wohnungsträger gültig. Sie müssen also ebenfalls ein «berechtigtes Interesse» an einer Kündigung darlegen. Städte und Gemeinden haben darüber hinaus aber auch ordnungsrechtliche Pflichten im Interesse der Öffentlichkeit. Dazu zählt unter anderem die angemessene Unterbringung von Geflüchteten.
In diesem Zusammenhang wird oft auf ein Urteil vom Amtsgericht Göttingen aus dem Jahr 1991 verwiesen, demzufolge eine Wohnungskündigung zugunsten der Unterbringung von Geflüchteten zulässig war. Die Gemeinde hatte dafür jedoch auch belegen müssen, dass ihre alternativen Unterbringungsmöglichkeiten ausgeschöpft waren.
Das öffentliche Interesse von Kommunen muss überdies im Verhältnis dazu stehen, dass Mieter ihren bisherigen Lebensmittelpunkt behalten wollen. Denn laut Bundesverfassungsgericht haben diese ein grundrechtlich geschütztes Bestandsinteresse an ihrer Wohnung, das sowohl vom Gesetzgeber als auch von den Gerichten gegenüber den Interessen des Vermieters abzuwägen ist.
Mieterschutz durch Sozialwiderspruch
Mieter stehen einer Wohnungskündigung aber nicht zwangsläufig machtlos gegenüber: dank der Sozialklausel. Ist eine Kündigung für die Mieter unzumutbar, können sie gemäß § 574 BGB Widerspruch einlegen.
Mögliche Gründe hierfür sind fehlender Ersatzwohnraum oder aber, wenn das Ende des Mietverhältnisses für die Mietpartei oder Haushaltsangehörige eine «nicht zu rechtfertigende» Härte bedeuten würde.
Das wäre etwa aufgrund von Gebrechlichkeit oder Erkrankung der Fall, aber auch wegen Schwangerschaft oder Schwierigkeiten beim Schulwechsel, erklärt der Deutsche Mieterbund (DMB). Gerade für Mieter, bei denen mehrere dieser Faktoren zusammenkämen, sei die Sozialklausel ein wichtiges Recht.
Aufnahme von Geflüchteten in der Mietwohnung
Die Behauptung lässt sich allerdings auch so lesen, dass ein Kündigungsschutz für Mieter geschaffen werden müsse, die Geflüchtete bei sich aufnehmen.
Zu den Rechten von Mietern gehört auch das Hausrecht in ihrer Wohnung. Das bedeutet unter anderem, dass sie für sechs bis acht Wochen Besuch aufnehmen dürfen, egal ob Freunde, Verwandte oder Menschen mit Migrationsgeschichte. Diese Zeitspanne gilt als «erlaubnisfreier Besuch», so der DMB. Auch eine kurzfristige Überbelegung der Wohnung sei solange gestattet.
Dauert der Aufenthalt jedoch länger als acht Wochen, empfiehlt der DMB, bereits den Vermieter zu kontaktieren. Denn ab einem Zeitraum von drei Monaten ist für zusätzliche Bewohner grundsätzlich die Zustimmung des Vermieters einzuholen. Geschieht das nicht, können eine Abmahnung und im äußerten Falle eine fristlose Kündigung drohen.
In bestimmten Fällen haben Mieter zwar ein Recht auf diese Erlaubnis. Beispielsweise, wenn sie sich den Wohnraum andernfalls nicht mehr leisten oder nicht mehr alleine leben können. Humanitäre Hilfe sei jedoch kein triftiger Grund, urteilte das Amtsgericht München im Dezember 2022.
Die Aufnahme von Flüchtlingen sei kein «mieterbezogenes berechtigtes Interesse», so das Gericht, sondern ein «(Fremd-)Interesse Dritter». Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Mieterverein München, der die Klage des Mieters unterstützt, hat Berufung eingelegt.
(Stand: 9.3.2023)
Links
Zur Studie im Auftrag von «Soziales Wohnen» (archiviert)
Urteil des AG Göttingen vom 19.07.1991 (archiviert)
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.05.1993 (archiviert)
Empfehlung des DMB zur Aufnahme von Geflüchteten (archiviert)
Urteil des AG München vom 20.12.2022 (archiviert)
Pressemitteilung des Mieterverein München (archiviert)
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