Falschzitat

Winston Churchill wird Aussage über Flüchtlinge in Dresden in den Mund gelegt

01.03.2023, 16:54 (CET)

Rund um den Jahrestag der Luftangriffe auf Dresden am Ende des Zweiten Weltkrieges kursieren immer wieder Falschinformationen - darunter oft auch erfundene Zitate.

Die verheerende Bombardierung Dresdens im Februar 1945 wird trotz gründlicher historischer Aufarbeitung bis heute zur Verbreitung von Mythen genutzt. Auch Aussagen des damaligen britischen Premierministers Winston Churchill spielen dabei eine Rolle. Auf Facebook wird ein Bild verbreitet, das unter anderem Churchill zeigt. Darunter ist zu lesen, der Premierminister habe am 26. Januar 1945 gefordert: «Ich will keine Vorschläge hören, wie wir kriegswichtige Ziele im Umland von Dresden zerstören können; ich will Vorschläge hören, wie wir 600.000 Flüchtlinge aus Breslau in Dresden braten können.» Doch dieses Zitat ist nirgendwo offiziell dokumentiert.

Bewertung

Es gibt keine Belege dafür, dass Churchill sich derart geäußert hat. Dokumentiert ist für den 26. Januar 1945 hingegen ein anderes Zitat Churchills, in dem es auch um Pläne der britischen Luftwaffe für Angriffe auf ostdeutsche Großstädte geht. Die enorm hohen Zahlen zu Luftkriegsopfern oder Flüchtlingen in der Stadt sind inzwischen widerlegt.

Fakten

Im Wortlaut mit dem Teil über Flüchtlinge aus Breslau ist die Aussage online nur in vereinzelten Foren zu finden. Sie kursiert sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch bereits seit einigen Jahren meist unter Churchill-Kritikern oder in geschichtsrevisionistischen Kreisen. Bis auf das Datum fehlt jede weitere Quellenangabe.

Aus Churchills Schriftverkehr

Für den 26. Januar ist jedoch ein anderes Zitat von Churchill dokumentiert, das teilweise an die online kursierende Aussage erinnert. In Band drei der offiziellen Chronik «The Strategic Air Offensive Against Germany: 1939-1945» der Historiker Charles Kingsley Webster und Noble Frankland aus dem Jahr 1961 heißt es:

«I did not ask you last night about plans for harrying the German retreat from Breslau. On the contrary, I asked whether Berlin, and no doubt other large cities in East Germany, should not now be considered especially attractive targets. I am glad that this is "under examination". Pray report to me to-morrow what is going to be done.»

Auf Deutsch: «Ich habe Sie gestern Abend nicht nach Plänen gefragt, dem deutschen Rückzug aus Breslau zuzusetzen. Im Gegenteil, ich habe gefragt, ob nicht Berlin und zweifellos auch andere Großstädte in Ostdeutschland jetzt als besonders attraktive Ziele in Betracht gezogen werden sollten. Ich bin froh, dass dies «in Prüfung» ist. Berichten Sie mir morgen, was unternommen wird.»

Die Aussage entstammt einer Korrespondenz zwischen Winston Churchill und dem damaligen britischen Luftfahrtminister Archibald Sinclair. Als Quelle ist in dem Buch eine persönliche Mitteilung vom 26. Januar 1945 angegeben.

Das Churchill Archives Centre am Churchill College der Universität Cambridge beherbergt mehr als eine Million persönliche und offizielle Schriftdokumente aus dem Leben des ehemaligen Premierministers. Eine Archivarin bestätigte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) den Wortlaut der in dem Geschichtswerk zitierten «Personal Minute No. 155/5».

Die großflächigen Luftangriffe auf Städte waren damals selbst in Großbritannien umstritten. Im Nachhinein äußerte auch Churchill Ende März 1945 in einem Telegramm-Entwurf, dass die Zerstörung Dresdens eine ernsthafte Infragestellung der Ausführung der alliierten Bombenangriffe bedeute.

Untersuchungen zu Opferzahlen

Im Januar 1945 waren Truppen der Roten Armee unter anderem bis vor Breslau im damaligen Schlesien vorgedrungen. In diesem Zusammenhang gab es Überlegungen, wie die Westalliierten den Vorstoß im Osten unterstützen könnten. Dresden war ein wichtiger Knotenpunkt für Truppenbewegungen, aber auch für die Flucht der deutschen Bewohner vor der Roten Armee.

Das Ausmaß der Zerstörung in Dresden wurde Grundlage für viele Legenden, darunter auch über die Luftkriegstoten in der Stadt. Im Jahr 2010 legte eine eigens eingerichtete Historikerkommission ihren Abschlussbericht vor, demzufolge wohl bis zu 25.000 Menschen (Downloadlink, S.67) in Folge der Luftangriffe ihr Leben verloren.

Auch die Situation durch die Flüchtlinge in der Stadt sorgte bereits früh für Mutmaßungen. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass sich hierzu sowie zum Flüchtlingsanteil unter den Luftkriegstoten keine finalen Zahlen (Downloadlink, S. 61) ermitteln ließen.

Hinsichtlich Bergung, Registrierung und Bestattung galten für Flüchtlinge jedoch dieselben Regelungen wie für Dresdner Einwohner. Insofern sei davon auszugehen, dass die umgekommenen Flüchtlinge unter den registrierten Toten sind, so das Ergebnis der Kommission. Der Anteil der getöteten Schlesier – zu diesem Zeitpunkt die größte Flüchtlingsgruppe in Dresden – könne zudem maximal in einem niedrigen vierstelligen Bereich (Downloadlink, S. 62) liegen.

(Stand: 1.3.2023)

Links

Archiviertes Sharepic

Originalzitat in «The Strategic Air Offensive Against Germany: 1939-1945», Bd.3 (archiviert)

Übersicht zu den Churchill-Papers (archiviert)

Reaktionen aus Großbritannien zu den Luftangriffen (archiviert)

Archivierter Telegramm-Entwurf vom 28. März 1945

Zur sowjetischen Winteroffensive 1945 (archiviert)

Zu den Position der Alliierten im Februar 1945 (archiviert)

Bericht der Dresdner Historikerkommission (Downloadlink) (archiviert)

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