Unseriöse Quelle

Sharepic verbreitet unbelegte Zahlen zu getöteten und verwundeten Soldaten

22.2.2023, 16:39 (CET)

Zum Krieg in der Ukraine kursieren unterschiedliche Zahlen über die Verluste der beiden Kriegsparteien. Ein virales Sharepic verbreitet jedoch Angaben, denen nicht zu trauen ist.

Genaue Zahlen zu getöteten und verletzten Soldaten und zerstörten oder an den Gegner verlorenen Waffen im Ukraine-Krieg lassen sich schwer ermitteln. Doch per Sharepic werden in den sozialen Netzwerken erstaunlich genaue Angaben verbreitet. Demnach seien 157 000 Soldatinnen und Soldaten der ukrainischen Armee getötet worden, während nur 18 480 Angehörige der russischen Armee ums Leben gekommen seien. Neben weiteren Zahlen wird auf dem Bild angegeben, dass angeblich sogar fast 2700 Nato-Angehörige während des andauernden Kriegs ums Leben gekommen seien. Treffen diese Angaben zu?

Bewertung

Die Zahlen sind unseriös. Die Nato hat keine Truppen in den Ukraine-Krieg entsandt. Die Ukraine verfügte mehreren Berichten zufolge gar nicht über so viele Flugzeuge, wie angeblich abgeschossen worden sein sollen. Die verbreiteten Zahlen stammen von einer türkischen Website, die weder einen Link zu einer Quelle noch andere authentische Beweise nennt. Schätzungen kommen für Russland zu deutlich mehr getöteten Soldaten.

Fakten

Offenbar stammen die Zahlen aus einem Artikel der türkischen Website «Hurseda Haber». Die Website beruft sich wiederum auf angebliche Daten des israelischen Geheimdienstes Mossad. Über diese wurde jedoch nirgendwo sonst berichtet, und es gibt keinen Beleg, dass der Mossad nachrichtendienstliche Informationen an die Website weitergegeben hat. Auf der Website ist zudem von «Agenturen» als möglicher Quelle die Rede. Doch welche das sein sollen, ist unklar.

Nato hat keine Truppen in die Ukraine gesendet

Laut dem Sharepic sollen angeblich fast 2700 Soldatinnen und Soldaten der Nato im Ukraine-Krieg ums Leben gekommen sein. Das ist falsch, denn die Nato stellt der Ukraine zwar militärische Ausrüstung und Ausbildung sowie finanzielle und humanitäre Hilfe zur Verfügung, sie schickt jedoch keine Truppen. Das erklärt das Militärbündnis auch auf seiner Website. Das Bündnis habe die Verantwortung, «sicherzustellen, dass dieser Krieg nicht eskaliert und sich über die Ukraine hinaus ausbreitet».

Auch deutsche Soldatinnen und Soldaten sollen - dem Sharepic zufolge - im Krieg in der Ukraine ums Leben gekommen sein. Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen aber unter anderem vom Bundestag verabschiedet werden. Ein solches Mandat gibt es nicht.

Deutschland unterstützt die Ukraine zwar umfangreich, deutsche Truppen wurden aber nicht in die Ukraine geschickt. Bundeskanzler Olaf Scholz und die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, äußerten sich zuletzt noch einmal dementsprechend.

Die türkische Website behauptet in ihrem Artikel weiter, dass nach Mossad-Informationen «Nato-Militärausbilder» aus den USA und Großbritannien ums Leben gekommen seien. Laut einem aktuellen Bericht des US-Verteidigungsministeriums zu Verlusten in verschiedenen Ländern sind aber keine US-Streitkräfte in der Ukraine getötet worden.

Das britische Verteidigungsministerium hat die im Internet kursierenden Zahlen zurückgewiesen. «Kein Angehöriger der britischen Streitkräfte ist in der Ukraine getötet worden», teilte die Behörde in einem Tweet vom 6. Februar 2023 mit.

Das Ministerium fügte hinzu: «Die von Großbritannien geführte Ausbildung ukrainischer Rekruten findet jetzt in Großbritannien statt.» Die USA bilden ukrainische Truppen auf einem US-Stützpunkt in Deutschland aus. Auch die deutsche Bundeswehr bildet ukrainische Soldaten an den zugesagten Waffensystemen aus - ebenfalls in Deutschland.

Unterschiedliche Schätzungen

Auch wenn die tatsächlichen Zahlen der im Krieg in der Ukraine getöteten Soldatinnen und Soldaten schwer zu ermitteln sind, lassen sich verschiedene Schätzungen der Opferzahlen finden. So sprach der norwegische Verteidigungsminister Ende Januar 2023 von 180 000 Toten oder Verwundeten auf Seiten Russlands. Die Zahl der ukrainischen Opfer soll sich demnach auf 100 000 getötete oder verletzte Militärangehörige und 30 000 getötete Zivilisten belaufen.

Im November 2022 erklärte der US-Generalstabschef, Mark Milley, dass die russische Armee mehr als 100 000 Tote oder Verwundete zu beklagen habe, während es auf ukrainischer Seite «wahrscheinlich» eine ähnliche Zahl sei.

Bereits im Juli 2022 sagte der Chef des britischen Geheimdienstes MI6, Richard Moore: «15 000 Russen haben ihr Leben verloren, das ist wahrscheinlich eine konservative Schätzung.» Die «New York Times» schätzte im Januar 2023, dass sogar 200 000 russische Soldaten getötet oder verwundet wurden.

Sowohl die russische als auch die ukrainische Regierung haben Zahlen genannt, die unter den Schätzungen internationaler Experten liegen. Im Dezember 2022 sagte ein hochrangiger Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dass die Zahl der getöteten ukrainischen Soldaten «zwischen 10 000 und 13 000» liege.

Im September 2022 äußerte sich auch ein russischer Regierungsvertreter zu den Verlusten seines Landes. Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte, dass seit dem Beginn der Invasion 5937 russische Soldaten gefallen seien. Im Dezember 2022 sprach das ukrainische Verteidigungsministerium wiederum von 91 150 getöteten russischen Soldaten.

Die Zahlen sind generell schwer zu vergleichen, denn teilweise werden Todesfälle und Verwundete zusammengezählt (in der Regel unter dem Begriff «Verluste»), andere Quellen weisen diese Werte jeweils gesondert aus. Aber selbst konservative Schätzungen der russischen Verluste gehen weit über die auf der türkischen Website genannte Zahl hinaus.

Zahlen zu militärischem Gerät unrealistisch

Das zeigt sich auch bei den Zahlen zu den Verlusten von militärischem Gerät. Die ukrainischen Luftstreitkräfte besaßen laut mehreren Quellen gar nicht so viele Flugzeuge, wie angeblich zerstört worden seien.

Auch Analysten der niederländischen Website «Oryx» geben gänzlich andere Zahlen für die Verluste beider Seiten an. Die Seite listet seit Kriegsbeginn die Verluste von militärischem Gerät beider Seiten auf. Dabei beziehen sich die Analysten auf fotografische Quellen aus dem Kriegsgebiet.

Demnach verlor Russland über 2000 Panzer - laut dem Sharepic sollen es angeblich nur 889 gewesen sein. Auch Flugzeuge hat Russland laut «Oryx» bereits 72 verloren, während es auf dem Sharepic nur 23 sind.

(Stand: 22.2.2023)

Links

Verbreitetes Sharepic (archiviert)

Artikel auf türkischer Website (archiviert)

Übersicht der US-Regierung zu Verlusten der amerikanischen Streitkräfte (archiviert)

Facebook-Post des ukrainischen Verteidigungsministeriums über russische Opferzahlen (archiviert)

Nato zur Unterstützung der Ukraine (archiviert)

US-Verteidigungsministerium zur Ausbildung ukrainischer Soldaten (archiviert)

Tweet britisches Verteidigungsministerium (archiviert)

Bericht über deutsche Ausbildung ukrainischer Soldaten (archiviert)

Bericht über Zahl gefallener ukrainischer Soldaten (archiviert)

«New York Times» über Zahl gefallener russischer Soldaten (archiviert)

Norwegischer Verteidigungsminister zu gefallenen Soldaten (archiviert)

Mark Milley zu Opferzahlen (archiviert)

Britischer Geheimdienst zu Opferzahlen (archiviert)

Bericht über Schoigu-Aussage zur Zahl gefallener russischer Soldaten (archiviert)

Informationen zum Mandat für Auslandseinsätze der Bundeswehr (archiviert)

Übersicht aktuelle Bundeswehreinsätze (archiviert)

Statement Strack-Zimmermann zu deutschen Truppen in der Ukraine (archiviert)

Regierungserklärung Olaf Scholz vom 8. Februar 2023 (archiviert)

Verteidigungsministerium zu Bundeswehr und Auslandseinsätzen (archiviert)

Übersicht militärische Unterstützung der Bundesregierung (archiviert)

«Oryx» zu Verlust von russischem Militärgerät (archiviert)

Archivierter Bericht mit Hinweis auf Umfang der ukrainischen Luftstreitkräfte

«Flight Global»-Übersicht mit Zahlen zu ukrainischen Luftstreitkräften (archiviert)

Facebook-Post (archiviert)

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