Studie falsch interpretiert

Risiko für Herzmuskelentzündung nach Corona-Infektion höher

17.02.2023, 16:08 (CET)

Skandinavische Forscher sollen bewiesen haben: Covid-Impfungen sind gefährlicher fürs Herz als eine Corona-Infektion. Doch das ist eine klare Fehlinterpretation der Studienergebnisse aus Nordeuropa.

Nachdem erste Hinweise für äußerst seltene Fälle einer Herzmuskelentzündung aufgetreten sind, wird damit regelmäßig Stimmung gegen die Covid-Impfung gemacht. Anfang Februar 2023 wird eine Studie aus Skandinavien zum Anlass genommen, um vor einem angeblich immensen Erkrankungsrisiko zu warnen. Vermeintlich soll es zuletzt «fünfmal mehr Myokarditisfälle» nach einer Impfung gegeben haben als nach einer Corona-Infektion. Doch das ist eine völlig falsche Interpretation der Forschungsergebnisse.

Bewertung

Falsch. Diese Schlussfolgerung lässt die Studie nicht zu. Dass häufiger Herzmuskelenzündungen nach Impfungen registriert werden als nach Infektionen, ist überhaupt nicht überraschend: Denn es gibt viel mehr verabreichte Impfungen als Corona-Fälle - in Schweden zum Beispiel ist die Zahl rund neuneinhalb Mal so hoch.

Fakten

Was die Studie herausgefunden hat

Ihr Augenmerk legt die Untersuchung aus Nordeuropa auf die Schwere und den Verlauf einer Herzmuskelentzündung - je nachdem, ob sie nach einer Covid-Impfung, nach einer Corona-Infektion oder nach einer anderen Virusinfektion auftritt.

Die Studie, an der neben Kollegen aus Schweden, Norwegen und Finnland auch Wissenschaftler der Abteilung für epidemiologische Forschung am Statens Serum Institut (SSI) in Kopenhagen beteiligt waren, wurde jüngst in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift «BMJ Medicine» veröffentlicht.

Sie kommt zu dem Schluss, dass eine Myokarditis nach einer Impfung weniger schwerwiegend verläuft als nach Virusinfektionen, wie es in einer Mitteilung des SSI vom 2. Februar 2023 heißt.

Die auf der mRNA-Technologie basierenden Covid-19-Impfstoffe können in seltenen Fällen eine Entzündung des Herzmuskels hervorrufen. Das ist auch nach viralen Infektionen ein bekanntes Phänomen. Es tritt am häufigsten bei jungen und gesunden Männern auf. «Glücklicherweise deutet mittlerweile alles darauf hin, dass Fälle, die nach einer Impfung auftreten, milder verlaufen als eine Myokarditis nach einer Infektion», schreibt das SSI.

In der Studie heißt es explizit: Bei jüngeren, ansonsten gesunden Patienten ist das Risiko eines Herzversagens oder eines Todes innerhalb von 90 Tagen sechsmal höher, wenn die Herzmuskelentzündung nach einer Covid-19-Erkrankung auftrat als nach einer Impfung.

So interpretieren Impfgegner die Studie

Anstatt auf die Schwere der Erkrankung fokussieren sich Gegner von Corona-Impfungen allein auf die Fallzahl, die in der Studie aufgeworfen wird.

Die Forschungsgruppen aus Nordeuropa haben 7292 Fälle von Entzündungen des Herzmuskels in Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland im Zeitraum 2018 bis 2022 untersucht. Der größte Teil (6653 Fälle) trat demzufolge höchstwahrscheinlich nach einer Virusinfektion (ohne Corona) auf, 109 Fälle wurden in einem gewissen zeitlichen Abstand nach einer Corona-Infektion ausgemacht und 530 nach einer Impfung.

Aus diesen Zahlen wird nun in Blog-Artikel und sozialen Medien fälschlicherweise geschlossen, dass fünfmal mehr Myokarditisfälle nach einer Corona-Impfung aufträten als nach einer Corona-Infektion. Doch so einfach ist es nicht.

Was an dieser Auslegung falsch ist

Eine solche Gegenüberstellung wäre überhaupt nur denkbar, wenn die Zahlen für Infizierte und für Geimpfte in der nordischen Bevölkerung gleich hoch wären. Doch dem ist bei weitem nicht so.

In Schweden zum Beispiel sind der offiziellen Statistik zufolge bis Mitte Februar 2023 rund 2,7 Millionen Fälle registriert worden, in denen sich Menschen mit dem Coronavirus infiziert haben. Zugleich wurden in dem skandinavischen Land mehr als 25,6 Millionen Dosen an Corona-Impfstoffen verabreicht - die zugrundeliegende Vergleichsgröße ist also rund neuneinhalb Mal so hoch.

Ähnlich sieht es in den anderen drei betrachteten Ländern aus, hier liegt die Zahl der Impfungen um das viereinhalb- bis neunfache höher als die jeweiligen Corona-Fälle:

Ein vereinfachtes Gedankenexperiment: Angenommen wird, das Risiko einer Herzmuskelentzündung wäre nach Impfung wie nach Infektion gleich hoch. Im statistischen Mittel wäre dann zu erwarten, dass die Zahl der Erkrankungen nach einer Impfung je nach Land 4,5 bis 9,5 Mal höher läge als Myokarditis-Fälle nach einer Infektion. Doch dem ist nicht so - wie die Studie aus Nordeuropa eindeutig zeigt.

Wie die Lage in Deutschland ist

Myokarditis (Herzmuskelentzündung) und Perikarditis (Herzbeutelentzündung) sind äußerst seltene Nebenwirkungen der Corona-Impfungen, wie es erneut im jüngsten Sicherheitsbericht vom Dezember 2022 des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) heißt. Das PEI ist in Deutschland für die Überwachung der Impfstoffe verantwortlich.

In den meisten Fällen heilen Herzmuskelentzündungen rasch und problemlos. Allerdings treten sie statistisch gehäuft bei männlichen Jugendlichen und jungen Männern nach Immunisierungen mit mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna auf - und das in der Regel wenige Tage nach der Impfung.

Dieses Krankheitsbild beschreibt das PEI unter anderem sehr ausführlich in seinem Sicherheitsbericht vom September 2022. Demnach gab es nach den mehr als 183 Millionen verabreichten Impfungen zwischen 27. Dezember 2020 und 30. Juni 2022 gut 2500 Meldungen von Verdachtsfällen einer Myokarditis und/oder Perikarditis. Aus Verdachtsmeldungen ist allerdings nicht abzuleiten, ob die Impfung schlussendlich Auslöser für die Krankheit war.

(Stand: 16.02.2023)

Links

Myokarditis-Studie aus Nordeuropa (archiviert)

SSI-Pressemitteilung zur Studie (archiviert)

Schwedisches Statistikamt über Corona-Fälle in Schweden (archiviert)

Schwedisches Statistikamt über Corona-Impfungen in Schweden (archiviert)

Finnisches Institut für Gesundheit und Soziales über Corona-Fälle in Finnland (archiviert)

Finnisches Institut für Gesundheit und Soziales (THL) über Corona-Impfungen in Finnland (archiviert)

Dänische Gesundheitsbehörde über Corona-Fälle in Dänemark (archiviert)

Statens Serum Institut über Corona-Impfungen in Dänemark (archiviert)

WHO über Corona-Fälle in Norwegen (archiviert)

Norwegische Gesundheitsbehörde FHI über Corona-Impfungen in Norwegen (S. 64) (archiviert)

PEI-Sicherheitsbericht bis 31.10.2022 (archiviert)

PEI-Sicherheitsbericht bis 30.06.2022 (archiviert)

RKI-Tabelle mit Impfungen nach Tagen (archiviert)

Blog-Artikel mit Falschbehauptung über Myokarditis (archiviert)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.