Grenzverlauf fehlinterpretiert

Historische Karte zeigt: Ukraine hat lange Landesgeschichte

06.02.2023, 18:33 (CET)

Historische Landkarten können Einblicke in die Geschichte der Welt geben. Dafür muss man das Kartenmaterial jedoch verstehen.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bietet immer wieder Anlass für Mythen und Falschmeldungen. Aktuell: Eine alte Landkarte soll belegen, dass die Ukraine zu Russland gehört. Denn im Jahr 1683 habe es das Land noch gar nicht gegeben, es sei vielmehr das «biblische Bessarabien» gewesen, ist in einem Post auf Facebook zu lesen. Die heutige Ukraine wäre außerdem erst 1989 gegründet worden. Doch was genau ist auf der Karte zu sehen?

Bewertung

Ein erster Nationalstaat bildete sich in der Ukraine bereits 1918. Das zeigt auch die Landkarte. Das ebenfalls darauf verzeichnete historische Bessarabien liegt heute überwiegend in der Republik Moldau.

Fakten

Die abgebildete Karte trägt den Titel «Zerfall des Osmanischen Reiches ab 1683» und stammt ursprünglich aus einem Geschichtsatlas des US-Historikers und Kartographen William R. Shepherd. Abgebildet ist das Osmanische Reich, das sich zu seiner Blütezeit über den Balkan, Arabien und Teile Nordafrikas erstreckte.

Nachdem sich die Herrschaft der Osmanen über Jahrhunderte hinweg ausgedehnt hatte, wurde das osmanische Heer 1683 schließlich nach einem Vorstoß vor Wien zurückgeschlagen. Das Reich zerfiel in der Folgezeit, der Verlauf dessen ist auf der Karte dokumentiert. Über die Entstehungsgeschichte der Ukraine sagt sie nichts aus.

Die Schwarzmeerküste war sowohl für das Osmanische als auch das Russische Reich ein begehrtes Einflussgebiet. Die Machtwechsel in Folge der Russisch-Türkischen Kriege sind auf der Landkarte grün markiert, Jahreszahlen geben den Zeitpunkt der jeweiligen Übernahme an. Im Frieden von Küçük Kaynarca verlor das Osmanische Reich 1774 unter anderem das Gebiet um das Asowsche Meer. Nachdem die Halbinsel Krim zunächst unabhängig geblieben war, wurde sie schließlich 1783 annektiert und mit dem nördlich gelegenen Gebiet zu Taurien zusammengefasst.

Das im Nordwesten des Schwarzen Meeres gelegene Bessarabien fiel 1812 im Rahmen des Bukarester Friedensvertrags an das Russische Reich. Das Land hat keine biblische Geschichte, sondern ist ein historischer Landstrich, der seinen Namen offiziell erst mit dem Machtwechsel erhielt. Heute gehört der größte Teil der Region zur Republik Moldau, nur ein Teil im Süden sowie eine Gegend im Nordwesten sind ukrainisch.

Zur Geschichte der Ukraine

Über die Jahrhunderte hinweg war das Gebiet der heutigen Ukraine immer wieder Gegenstand rivalisierender Machtinteressen. Darauf weist auch der Name hin, der sich vom altslawischen «kraj» für Grenzgebiet ableitet. Dennoch geht die Geschichte des Landes weiter zurück als nur ins Jahr 1989.

Der Begriff Ukraine tauchte bereits in einer Chronik des 12. Jahrhunderts zum ersten Mal auf. Ein ukrainisches Eigenständigkeitsgefühl entwickelte sich im 17. Jahrhundert, ein Nationalbewusstsein im heutigen Sinne entstand während des 19. Jahrhunderts. Auch zu diesem Zeitpunkt wurde als Antwort auf erste Unabhängigkeitsbestrebungen bereits das Narrativ verbreitet, das Land habe kein eigenes Staatsgebiet.

1918 wurde schließlich die Ukrainische Volksrepublik ausgerufen. Auf der historischen Karte sind ihre Landesgrenzen aus dieser Zeit rot markiert, wie am unteren Kartenrand erläutert ist («1920-1922 in red»). Bereits in den 1920er Jahren wurde das Land als Ukrainische SSR in die Sowjetunion eingegliedert und war nach dem Zweiten Weltkrieg in dieser Form auch Gründungsmitglied der Vereinten Nationen.

Im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion erklärte sich die Ukraine zunächst für souverän und 1991 dann als unabhängig. Sie gehörte mit zu den Gründerstaaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), die als loser Staatenbund auf das Ende der Sowjetunion folgen sollte. Im Abkommen von Minsk (Downloadlink) wurde in Artikel 5 die Unverletzlichkeit und damit das Fortbestehen der Teilstaaten innerhalb der bereits existierenden Grenzen festgelegt.

Die ukrainisch-russische Grenze wurde überdies im Budapester Memorandum von 1994 (Downloadlink) bekräftigt und drei Jahre später im «Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen Russland und der Ukraine» (Downloadlink) sowie im Grenzvertrag der beiden Staaten (Downloadlink) aus dem Jahr 2003 erneut bestätigt. Nach der Annexion der Krim durch Russland entschied sich die Ukraine, den Freundschaftsvertrag nicht zu verlängern.

(Stand: 6.2.2023)

Links

Archivierter Facebook-Post

Digitalisierter Atlas von Shepherd (archiviert)

Expansion des Osmanischen Reiches (archiviert)

Zerfall des Osmanischen Reiches (archiviert)

Zum sechsten Russisch-Türkischen Krieg (archiviert)

Bessarabien im Lexikon der Uni Oldenburg (archiviert)

Ukraine im Lexikon der Uni Oldenburg (archiviert)

Geschichte der Ukraine im Brockhaus (archiviert)

Geschichte der Ukraine bei bpb (archiviert)

GUS im Staatslexikon (archiviert)

Abkommen von Minsk (archivierter Downloadlink)

Budapester Memorandum (archivierter Downloadlink)

Russisch-Ukrainischer Freundschaftsvertrag (archivierter Downloadlink)

Russisch-Ukrainischer Grenzvertrag (archivierter Downloadlink)

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