Reform-Anregungen

WHO will Reaktionsfähigkeit im Pandemiefall stärken

25.01.2023, 17:28 (CET)

Die WHO plant eine Überarbeitung der Internationalen Gesundheitsvorschiften. Dabei sollen angeblich die Menschenrechte gestrichen werden. Das stimmt aber nicht.

Seit nunmehr fast 75 Jahren setzt sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dafür ein, globale Gesundheitsstandards zu etablieren. Besonders im Zuge der Corona-Pandemie wurde der Organisation immer wieder unterstellt, sie nehme zu viel Einfluss auf eigentlich nationalstaatliche Aufgaben. Derzeit wird etwa behauptet, die WHO strebe «diktatorische» Verhältnisse an und wolle gar die Menschenrechte aus den Internationalen Gesundheitsvorschriften streichen. Aber was genau steckt dahinter?

Bewertung

Die Menschenrechte werden nicht aus den Gesundheitsvorschriften gestrichen. Die Anpassungen und Umformulierungen sollen im Gegenteil sogar mehr Gleichberechtigung in der medizinischen Versorgung schaffen. Die WHO kann überdies gar nicht zu einem medizinischen Alleinherrscher werden, da die Umsetzung ihrer Leitlinien auf nationaler Ebene durch Gesetze gedeckt sein muss.

Fakten

Im vergangenen Jahr regten die Vereinigten Staaten Anpassungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) an, um künftig schneller und effizienter auf etwaige internationale Krankheitsausbrüche reagieren zu können. Obschon die Vorschläge nicht alle angenommen wurden, griff die Weltgesundheitsversammlung (WHA) in ihrer Funktion als Entscheidungsgremium einige der Anregungen auf. Im Folgenden waren die Mitgliedsstaaten angehalten, Änderungsvorschläge einzureichen.

Diese wurden nun als «Zusammenstellung von Änderungsvorschlägen zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005)» veröffentlicht. Wie der Titel bereits verrät, sind das bislang nur Vorschläge. Die dafür eingerichtete Arbeitsgruppe (WGIHR) wird diese ausarbeiten und der Weltgesundheitsversammlung bis zu ihrer 77. Sitzung im Jahr 2024 zur Prüfung vorlegen.

Das Vorhaben zur Überarbeitung nahmen im Netz nun Einige zum Anlass, die eingereichten Vorschläge zu hinterfragen. Nur werden sie dabei in der Regel willkürlich verzerrt und teilweise als bereits beschlossen dargestellt. Unter anderem auf Facebook kursiert derzeit ein Video, demzufolge ein amerikanischer Buchautor aufgedeckt haben will, dass die WHO die Prioritäten medizinischer Behandlungen ändern wolle.

Die Internationalen Gesundheitsvorschriften existieren seit 1969 und wurden zuletzt im Jahr 2005 überarbeitet. Anders als in dem Video behauptet, sind sie kein «Buch, das festlegt, nach welchen Standards medizinische Behandlungen durchgeführt werden müssen»: Das Regelwerk beinhaltet Leitlinien für Standards zur Bekämpfung von Krankheiten. So ist gemäß Artikel 2 der Gesundheitsvorschriften das Ziel, «der internationalen Ausbreitung von Krankheiten vorzubeugen, sie zu kontrollieren, davor zu schützen und die Reaktionsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitswesens zu gewährleisten.» Daraus gehen also mitnichten Vorschriften für medizinische Behandlungen hervor.

Gleichberechtigter Zugang zu medizinischer Versorgung

Stein des Anstoßes ist nun aber Artikel 3 der IGV. Denn der Zusammenstellung ist zu entnehmen, dass die Vorgabe, die Umsetzung der Regularien solle «unter voller Achtung der Würde, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten» stattfinden, an dieser Stelle ersetzt werden soll.. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Begriff Menschenrechte ganz aus den Vorschriften verschwindet.

Denn in den Vorschlägen zu Artikel 2 IGV wurde er sogar hinzugefügt, so dass Maßnahmen nicht mehr nur «unnötige Beeinträchtigungen des internationalen Verkehrs und Handels», sondern auch der «Lebensgrundlagen, Menschenrechte und des gerechten Zugangs zu Gesundheitsprodukten» vermeiden sollen.

Zugleich stellt die Umformulierung von Artikel 3 nur eine Konkretisierung für mehr Gleichberechtigung dar. Die Umsetzung der Vorschriften solle nunmehr nämlich basierend auf «Gleichheit, Inklusion, Zusammenhalt und [...] unter Berücksichtigung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der jeweiligen Mitgliedsstaaten» ablaufen.

Damit tragen die Mitgliedsstaaten dem Umstand Rechnung, dass nicht alle Länder die gleichen Grundvoraussetzungen in der Bekämpfung internationaler Krankheitsausbrüche haben. Insofern wäre die Anpassung dieses Artikels keine Einschränkung, sondern bedeutete mehr Teilhabe und Gerechtigkeit für alle Menschen weltweit.

Potentielle Gefahren durch Desinformation

Eine weitere bekannte Unterstellung ist, die WHO habe Allmachtsfantasien. So ist in dem Video zu hören, weitere Änderungen in den Internationalen Gesundheitsvorschriften verhälfen der Organisation zum Status einer «medizinischen Weltmacht» und sie würde zur Zensurbehörde.

Als Beleg für diese Hypothese wird Anhang 1 der Änderungsvorschläge herangezogen. Hier sind Anforderungen zur Erkennung, Überwachung und der Reaktion im Gesundheitsnotfall festgelegt. Da bislang keine Vorgaben existieren, um die Kapazitäten auch auf internationaler Ebene zu stärken, wurde nun ein neu zu ergänzender Artikel 7 angeregt.

Neben Richtlinien und Handlungsempfehlungen sowie erleichtertem Zugang zu medizinischen Produkten soll die WHO nun auch gezielter gegen Fehl- und Desinformation vorgehen. Verschiedene Erhebungen haben im Laufe der Corona-Pandemie aufgezeigt, welche Risiken durch falsche oder irreführende Informationen entstehen können: So berichtete etwa die Amerikanische Vereinigung der Giftnotrufzentralen (AAPCC) in ihrem Jahresbericht für 2020 von einem Anstieg an Vergiftungen durch Desinfektionsmittel, nachdem der ehemalige US-Präsident Trump in einem Pressebriefing suggeriert hatte, die Einnahme könne das Corona-Virus schwächen. Im gleichen Jahr verzeichnete eine internationale Studie über 800 Todesfälle und knapp 6.000 Einlieferungen ins Krankenhaus, nachdem Menschen zur Abwehr des Virus Methanol getrunken hatten. Die WHO spricht inzwischen gar von einer «Infodemie».

In dem Ziel, Falschinformationen entgegen zu wirken, nun «diktatorische» Befugnisse und Zensurbestrebungen zu vermuten, entbehrt jeglicher Grundlage. Denn die Weltgesundheitsorganisation ist nach wie vor auf die Kooperation der einzelnen Mitgliedsstaaten angewiesen. Artikel 19 der WHO-Verfassung ist zu entnehmen, dass Verträge und Abkommen im Einklang mit den Gesetzen der einzelnen Länder stehen müssen. Hierzulande geschieht dies durch das «Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005)» (IGV-DG). Die Mitgliedsstaaten können zudem gemäß Artikel 22 der WHO-Verfassung die Beschlüsse ablehnen, sofern dies rechtzeitig mitgeteilt und begründet wird.

Die WHO hat demnach überhaupt keine Kompetenzen, die nationale Souveränität der Mitgliedsstaaten zu verletzen. Auch eine Institution als Zensurbehörde ist aus verfassungsrechtlicher Sicht gar nicht möglich, da dies im Kontrast zu Artikel 5 unseres Grundgesetzes stünde. Dort heißt es ausdrücklich: «Eine Zensur findet nicht statt.»

(Stand: 25.1.2023)

Links

Antrag der USA zu Änderungen der IGV (archiviert)

Vereinbarung auf der 75. Sitzung der WHA (archiviert)

Vorschläge der Mitgliedsstaaten (archiviert)

Berichte der WGIHR (archiviert)

Archivierter Facebook-Post

Archiviertes Video

Hintergrund zu den IGV (archiviert)

Internationale Gesundheitsvorschriften (2005) (archiviert)

Jahresbericht der AAPCC (archiviert)

Studie zu Folgen von Desinformation (archiviert)

Bulletin der WHO zur Infodemie (archiviert)

Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (archiviert)

IGV-Durchführungsgesetz (archiviert)

Artikel 5 des Grundgesetz (archiviert)

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