Zahl der Wohnungslosen

Angaben beziehen sich nicht nur auf deutsche Staatsbürger

13.02.2023, 15:10 (CET)

Facebook-Nutzer verbreiten ein Sharepic und behaupten, «400 000 Deutsche» seien wohnungslos. Doch das ist so nicht richtig, denn es fehlen wichtige Informationen zu der Zahl.

In den sozialen Netzwerken verbreiten Nutzer aktuell ein Sharepic mit Behauptungen über die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland. Auf dem Bild steht: «400 000 Deutsche ohne Wohnung und festen Mietvertrag - und die SPD wirbt für Familiennachzug von Flüchtlingen.» Es wirkt so, als soll der Beitrag Stimmung gegen Geflüchtete machen und Wohnungslose und Schutzsuchende gegeneinander ausspielen. Doch stimmen die Aussagen überhaupt?

Bewertung

Das Sharepic ist irreführend: Die angegebene Zahl von 400 000 Wohnungslosen ist zwar ausgehend von Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe realistisch. Dass es sich dabei nur um deutsche Staatsbürger handelt, ist jedoch falsch. Die Zahl bezieht sich auf alle wohnungslosen Menschen in Deutschland - unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Derweil geht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales laut dem Wohnungslosenbericht 2022 von rund 263 000 Wohnungslosen aus.

Fakten

In dem Bild ist nicht angegeben, auf welchen Zeitraum sich die Zahl konkret bezieht. Wie Beiträge aus dem Februar 2023 zeigen, verbreiten Facebook-User das Bild momentan in einem aktuellen Kontext. Es kursiert aber mindestens seit Oktober 2020.

Eine Suche nach «400 000 Deutsche ohne Wohnung» liefert als Ergebnis einen Artikel von «Focus Online» aus dem Jahr 2017. Die Überschrift ähnelt der Formulierung aus dem Sharepic: «Mehr als 400.000 Deutsche leben ohne Wohnung und Mietvertrag». Der Artikel stützt sich unter anderem auf Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Es ist gut möglich, dass dieser Bericht den Urhebern des Sharepics als Grundlage diente.

BAG Wohnungslosenhife veröffentlicht regelmäßige Schätzungen

Die in dem Bericht erwähnte Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) setzt sich für von Wohnungslosigkeit, Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohte und betroffene Menschen ein. Wohnungslos ist laut der BAG W, wer nicht über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum oder Wohneigentum verfügt. Die Arbeitsgemeinschaft veröffentlicht regelmäßige Schätzungen zur Anzahl der Wohnungslosen in Deutschland und gibt dazu zwei Werte aus: eine Jahresgesamtzahl und eine Stichtagszahl. Während die Stichtagszahl eine Momentaufnahme an einem bestimmten Tag angibt, sollen mit der Jahresgesamtzahl auch die Menschen erfasst werden, die vor beziehungsweise nach dem Stichtag wohnungslos waren.

Dass die Zahl von 400 000 Wohnungslosen in Deutschland realistisch ist, zeigt ein Blick in die jüngste Schätzung aus dem Dezember 2021 für die Jahre 2019 und 2020. Im Verlauf des Jahres 2020 waren demnach circa 417 000 Menschen in Deutschland wohnungslos (Jahresgesamtzahl). Die Zahl aller wohnungslosen Menschen in Deutschland an einem Stichtag, also die Momentaufnahme, schätzt die BAG W für 2020 auf 306 000 Personen.

Aber Achtung: Die beiden Werten umfassen nicht ausschließlich deutsche Staatsbürger, wie eine Sprecherin auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur bestätigte. Denn die Zahlen beziehen sämtliche wohnungslose Personen unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit ein. In der Schätzung für 2020 geht die BAG W etwa auf den Anteil von wohnungslosen anerkannten Geflüchteten ein, der sich auf knapp 161 000 Personen an der Jahresgesamtzahl beläuft. Die Angabe, es handele sich um 400 000 «Deutsche» ohne Wohnung, stimmt also nicht.

Ministerium gab 2022 erstmals Bericht zur Wohnungslosigkeit heraus

Neben der BAG W hat auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen des Wohnungslosenberichterstattungsgesetzes (WoBerichtsG) 2022 erstmals eine Zahl zur Wohnungslosigkeit in Deutschland veröffentlicht. Laut dem Wohnungslosenbericht 2022 geht das Ministerium von etwa 263 000 Wohnungslosen zum Stichtag 31. Januar 2022 in Deutschland aus. Diese Daten basieren auf einer Datenerhebung des Statistischen Bundesamts der untergebrachten wohnungslosen Menschen zum Stichtag 31. Januar 2022 sowie auf einer hochgerechneten Stichprobe ausgehend von Befragungen.

Der Bericht geht auf drei Gruppen wohnungsloser Menschen ein: untergebracht wohnungslose Personen, verdeckt wohnungslose Personen und wohnungslose Menschen ohne Unterkunft. Am 31. Januar 2022 gab es demnach insgesamt 178 100 untergebrachte wohnungslose Personen, beispielsweise in vorübergehenden Übernachtungsmöglichkeiten oder in Not- und Gemeinschaftsunterkünften. Zu der Gruppe der verdeckt wohnungslosen Personen zählt der Bericht 49 300 Menschen ohne Wohnung, die bei Freunden oder Bekannten unterkommen. Darüber hinaus leben «rund 37 400 Menschen auf der Straße oder in Behelfsunterkünften», heißt es.

Auch diese Zahlen zur Wohnungslosigkeit beziehen sich nicht ausschließlich auf die deutsche Staatsangehörigkeit. So haben «insgesamt 29 Prozent der untersuchten wohnungslosen Personen» eine andere Staatsangehörigkeit oder sind staatenlos, heißt es in dem Bericht. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass es neben den untersuchten Gruppen weitere Formen der Wohnungslosigkeit gibt und dass geprüft werde, inwiefern diese Formen zukünftig berücksichtigt werden könnten.

Die BAG W, die nach eigenen Angaben seit Jahren eine gesetzliche Statistik zum Ausmaß von Wohnungslosigkeit fordert, begrüßt die Berichterstattung des Ministeriums. «Da das Statistische Bundesamt selbst die Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten für untererfasst hält, kann davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse der Erhebungen und die Schätzung der BAG W nicht sehr weit auseinanderliegen», heißt es in einer Pressemitteilung zu den unterschiedlichen Angaben von BAG W und Ministerium.

SPD positionierte sich mehrfach pro Familiennachzug

Dass die SPD sich für den Familiennachzug von geflüchteten Personen aussprach, ist derweil bekannt. So lassen sich mehrere Berichte (hier und hier) aus verschiedenen Jahren finden, in denen es um die Position der Sozialdemokraten ging. So hieß es bereits im Regierungsprogramm für 2013 bis 2017: «Den Familiennachzug werden wir erleichtern.»

(Stand: 13.2.2023)

Links

Über die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (archiviert)

Aktuelle Schätzung für die Jahre 2019 und 2020 (archiviert)

Pressemitteilung zur Schätzung (archiviert)

WoBerichtsG (archiviert)

BMAS-Wohnungslosenbericht 2022 (archiviert)

Pressemitteilung zur Vorstellung des Berichts (archiviert)

BAG W zu Wohnungslosenbericht (archiviert)

Medienberichte über SPD-Position hier und hier (archiviert hier und hier)

SPD-Regierungsprogramm 2013 - 2017 (archiviert)

«Focus Online»-Artikel aus dem Jahr 2017 (archiviert)

Facebook-Post (archiviert / Sharepic)

Facebook-Post von 2020 (archiviert)

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