Warntag als Spionage-Vorwand?

Handys empfangen Warnung - senden aber keine Daten zurück

09.12.2022, 16:43 (CET)

Mit einem bundesweiten Warntag haben die Behörden in Deutschland ein neues Alarmsystem getestet. Hat der Staat damit nun Zugriff auf die Handys der Bürger? Nein, so funktioniert diese Technik nicht.

Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern hat am 8. Dezember 2022 das Handy geklingelt: Im Zuge eines bundesweiten Warntages testete das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ein neues Alarmsystem. In sozialen Netzwerken warnen Nutzer nun vor einer angeblichen Überwachung. Durch das Öffnen der Nachricht könne sich der Staat vermeintlich Zugriff auf die Smartphones «erschleichen».

Bewertung

Das ist falsch. Der Staat erhält durch die Nachricht keinen Zugriff auf das Smartphone, denn es handelt sich nicht um eine Spionage-SMS. Das neue Alarmsystem schickt lediglich eine Textnachricht an die empfangsbereiten Handys einer Funkzelle. Der Hinweis wird dabei nur in Richtung Smartphone gesendet. Das Handy ist lediglich Empfänger, kein Sender. Das Prinzip ähnelt etwa einer Radio-Übertragung.

Fakten

Das neue Alarmsystem nutzt das sogenannte Cell-Broadcast-Verfahren. Alle eingeschalteten Handys mit Empfang und aktueller Software erhalten eine automatische Benachrichtigung - ohne dass es einer entsprechenden Warn-App bedarf.

Wie funktioniert Cell Broadcast?

Zunächst ist es notwendig, die Grundlagen des Mobilfunks zu kennen: Damit ein Bürger mit seinem Smartphone von überall telefonieren kann, wählt sich das Gerät automatisch in die nächste Funkstation des Mobilfunkanbieters ein - beispielweise von Vodafone oder der Telekom. Jede dieser Basisstationen verfügt über ein Sende- sowie ein Empfangsteil. So ist der Signal- und Datenaustausch etwa bei einem Telefongespräch möglich.

Die Warnung mit dem Cell-Broadcast-Verfahren basiert auf dieser Technik, wie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in einem FAQ auf seiner Webseite erklärt. Dabei werden die Funkstationen als eine Art Signal-Verteiler genutzt. Gibt also eine Behörde für ein bestimmtes Gebiet eine Warnung heraus, wird diese Nachricht über die entsprechenden Funkstationen der Mobilfunkanbieter an die damit verbundenen Smartphones gesendet. Die Umsetzung erfolgt durch die Mobilfunkbetreiber.

Was ist der Unterschied zu SMS und Warn-App?

Bei einer Warnung per SMS müsste der Absender - also die Behörde - zunächst die Mobilfunknummer jedes einzelnen Bürgers kennen, der die Warn-SMS erhalten soll und sich im Warngebiet aufhält. Für einen Gefahrenhinweis per Warn-App wiederum müssten Bürger die App erst selbst installiert haben und sich gegebenenfalls registrieren.

Bei Cell Broadcast hingegen handelt es sich nach Angaben von BBK und Verbraucherzentrale Bundesverband um ein anonymes Verfahren. Hier ist eine Warnung ohne vorherige Registrierung oder Angabe von personenbezogenen Daten möglich. Denn es werden automatisch alle zu diesem Zeitpunkt an der Funkstation eingewählten Geräte gewarnt. Die Kommunikation folgt nur in eine Richtung. Die Verbraucherzentrale vergleicht dieses Warnsystem daher mit einer typischen Radiosendung.

Das Prinzip ähnelt aber auch der Warnung mit einer Sirene: Ertönt sie, dann werden theoretisch alle Menschen im Umkreis vor einer Gefahrenlage gewarnt. Welcher einzelne Bürger genau den Heulton wahrnimmt, ist für die Behörde nicht nachvollziehbar. Denn auch hier erfolgt die Kommunikation des Warnhinweises nur in eine Richtung.

Das Cell-Broadcast-Verfahren ist daher nur ein Element in der Hinweiskette des Bevölkerungsschutzes. Falls am Warntag keine Nachricht am Handy ankommt, kann das verschiedene Ursachen haben - zum Beispiel, wenn das Smartphone den technischen Anforderungen nicht entspricht oder der Flugmodus aktiviert ist.

Wie unterscheiden sich echte Warnungen von Betrugsmaschen?

Da mittlerweile Betrüger SMS-Nachrichten nutzen, um etwa persönliche Daten abzugreifen, erklären die Verbrauchzentralen, wie Bürger echte Warnmeldungen von Fälschungen unterscheiden. So werden als Warnungen ausschließlich reine Textnachrichten mit maximal 500 Zeichen übertragen - und keine mit einem Virus belastete Dateien. Daneben ertönt ein spezieller Signalton. Nachrichten über das Cell-Broadcast-Verfahren haben keine Handynummern als Absender, und es wird keine Möglichkeit zum Antworten angezeigt.

Nur Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen können Warnmeldungen über dieses System auslösen. «Der Absender - etwa eine bestimmte Rettungsleitstelle - wird in der Meldung genannt», erklären die Verbraucherzentralen. Zudem verweisen die echten Warnmeldungen auf einen Link zum offiziellen Warnportal des Bundes, das unter «warnung.bund.de» erreichbar ist. «In einer echten Warnung werden Sie nicht dazu aufgefordert, eine Internetseite zu öffnen und von dort eine App zu installieren», betont der Verbraucherschutz.

Und was hat es mit der «Stillen SMS» auf sich?

In Social-Media-Beiträgen wird der Warntag derweil teils mit einem Artikel des Online-Portals «Chip» über «Stille SMS» in Verbindung gebracht. In dem Beitrag geht es um eine umstrittene Ermittlungsmethode der Strafbehörden, um den Standort einer verdächtigen Person aufzuspüren oder deren Bewegungsprofil zu erstellen. Bei der Methode spielen auch Funkzellen eine Rolle.

Wie die Seite «netzpolitik.org» erklärt, sind «Stille SMS» Textnachrichten, deren Empfang das Mobiltelefon nicht anzeigt. Die Nachrichten generieren aber einen Kommunikationsvorgang mit der eingeloggten Funkzelle, den die Telefonanbieter protokollieren. Mit einer richterlichen Anordnung fragen Sicherheitsbehörden diese Datensätze ab - auch Funkzellenabfrage genannt. 2018 hat der Bundesgerichtshof (BGH) den Einsatz «Stiller SMS» und die Erhebung daraus generierter Standortdaten erstmals für rechtmäßig erklärt.

Mit dieser Überwachungsmethode ist zwar möglich, eine Person zu orten. Um das heimliche Auslesen von privaten Daten auf dem Smartphone geht es dabei jedoch nicht. Für die Maßnahme bedarf es außerdem immer eines richterlichen Beschlusses.

Disclaimer

Die mecom Medien-Communikations-Gesellschaft mbH, ein Tochterunternehmen der dpa, entwickelt und betreibt u.a. das Modulare Warnsystem MoWaS für die Bundesrepublik Deutschland. Mit MoWaS werden amtliche Warnmeldungen für die Bevölkerung erfasst und an eine Vielzahl von Warnmultiplikatoren, darunter Medien, Warn-Apps wie NINA usw., gesichert verteilt. Teile der Warn-App NINA werden von der dpa-Abteilung Custom Content im Auftrag des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit amtlichen Informationen bestückt, die öffentlich verfügbar sind.

(Stand: 9.12.2022)

Links

Bundesamt für Bevölkerungsschutz über Cell Broadcast (archiviert)

Verbraucherzentrale Bundesverband über das Cell-Broadcast-Verfahren (archiviert)

bpb zur Funktionsweise des Mobilfunks (archiviert)

Telekom zum Mobilfunk und Funkstationen (archiviert)

Bundesamt für Bevölkerungsschutz über Sirenen (archiviert)

«Chip»-Artikel über «Stille SMS» (archiviert)

«netzpolitik.org»-Bericht über «Stille SMS» (archiviert)

«Spiegel»-Bericht über Einsatz heimlicher SMS-Nachrichten (archiviert)

BGH-Urteil vom 8. Februar 2018 (archiviert)

Facebook-Post mit Falschbehauptung (archiviert)

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